Vom Winde verweht. Margaret Mitchell
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»Ich habe es ihr versprochen, weil ich keine Ahnung hatte, was das alles bedeutet«, gestand Scarlett. »Wassind denn überhaupt Lazarettkomitees?«
Der Doktor und seine Frau waren beide über ihre Unwissenheit befremdet.
»Nun ja, Sie sind natürlich auf dem Lande vergraben gewesen und können es nicht wissen«, entschuldigte Mrs. Meade sie. »Wir haben Pflegekomitees für verschiedene Lazarette und für verschiedene Arbeitstage. Wir pflegen die Verwundeten, wir helfen den Ärzten und nähen Bandagen und Anzüge, und wenn die Leute so weit wiederhergestellt sind, daß sie entlassen werden können, nehmen wir sie zu uns ins Haus und pflegen sie so lange weiter, bis sie wieder an die Front können. Wir sorgen auch für die Frauen und Kinder der mittellosen Verwundeten - einige sind wahrhaftig noch elender als mittellos. Doktor Meade ist am Institutslazarett tätig, für das auch mein Komitee arbeitet, und alle sagen, er sei großartig und ...«
»Nun, nun«, sagte der Doktor, »du darfst vor den Leuten nicht mit mir prahlen. Ich kann ja nur so wenig tun, da du mich durchaus nicht an die Front lassen willst.«
»Ich lasse dich nicht? Ich?« Sie war empört. »Die Stadt läßt dich nicht, das weißt du sehr gut. Denken Sie, Scarlett, als die Leute hörten, daß er als Militärarzt nach Virginia wollte, haben alle Damen eine Bittschrift unterzeichnet, er möge hierbleiben. Die Stadt ist es, die dich nicht entbehren kann.«
»Nun, nun, Mrs. Meade.« Der Doktor sonnte sich sichtlich in ihrem Lob. »Vielleicht haben wir mit einem Jungen an der Front fürs erste genug getan.«
»Nächstes Jahr gehe ich ins Feld!« rief der kleine Phil voller Aufregung. »Als Trommler! Ich lerne jetzt trommeln. Wollen Sie es hören? Ich hole rasch meine Trommel.«
»Nein, jetzt nicht«, sagte Mrs. Meade und zog ihn mit einem plötzlich gespannten Gesichtsausdruck an sich. »Nächstes Jahr noch nicht, Liebling, vielleicht übernächstes.«
»Aber dann ist der Krieg vorbei!« Ungeduldig riß der Kleine sich von ihr los. »Du hast es mir doch versprochen.«
Über seinen Kopf hinweg sahen die Eltern einander ins Auge. Scarlett gewahrte den Blick. Darcy Meade stand in Virginia, und um so fester klammerte sich die Liebe der Eltern an den Kleinen, der noch im Hause war.
0nkel Peter räusperte sich. »Miß Pitty hatte ihren Zustand, als ich wegfuhr, und wenn ich nicht bald wiederkomme, liegt sie ohnmächtig da.«
»Auf Wiedersehen, ich komme heute nachmittag hinüber!« rief Mrs. Meade ihnen nach. »Und bestellen Sie Miß Pitty von mir, wenn Sie nicht in mein Komitee eintreten - dann wehe ihr!«
Der Wagen glitt und rutschte die schmutzige Straße hinunter. Scarlett lehnte sich in die Kissen zurück und lächelte. Sie fühlte sich glücklicher als seit Monaten. Atlantas Lebendigkeit munterte sie auf.
Wieviel schöner war es hier als auf der einsamen Plantage vor den Toren von Charleston, wo die Alligatoren durch die stillen Nächte bellten! Schöner als in Charleston selbst, das in seinen Gärten hinter hohen Mauern träumte. Schöner als in Savannah mit seinen breiten Palmenstraßen und mit seinem schlammigen Fluß. Vielleicht schöner sogar als Tara, mochte sie Tara auch noch so liebhaben. Diese Stadt mit ihren engen und schmutzigen Straßen mitten im welligen Hügelland hatte etwas Erregendes, Rohes und Ungeschliffenes, verwandt jenem Rohen unter der feinen Politur, mit der Ellen und Mammy Scarlett versehen hatten. Plötzlich hatte sie das Gefühl, hierher gehöre sie und nicht in die ruhigen, abgeklärten alten Städte, die flach an den gelben Flüssen lagen.
Die Zwischenräume zwischen den Häusern wurden immer größer, und als Scarlett sich aus dem Wagen lehnte, sah sie Miß Pittypats rotes Backsteinhaus mit seinem Schieferdach auftauchen. Es war fast das letzte Haus im Norden der Stadt. Weiterhin wurde die Pfirsichstraße schmäler und verlor sich in die stillen dichten Wälder hinein. Der saubere weiße Lattenzaun war frisch gestrichen. In dem Vorgarten, den er einschloß, blühten die letzten Narzissen des Jahres. Auf der Haustreppe standen zwei Frauen in Schwarz, hinter ihnen eine große braune Frau mit den Händen unter der Schürze und einem breiten Lächeln, das die weißen Zähne entblößte. Die rundliche Miß Pittypat wippte aufgeregt auf ihren winzigen Füßen. Die eine Hand hielt sie an den vollen Busen gepreßt, um ihr klopfendes Herz zu beruhigen. Neben ihr stand Melanie. In Scarlett regt e sich der Widerwille, und ihr wurde klar, daß diese feine kleine Person im schwarzen Trauerkleid mit den fraulich geglätteten, widerspenstigen Locken und dem herzförmigen Gesicht, das jetzt ein liebevolles glückliches Willkommenlächeln erhellte, in Atlanta das Haar in der Suppe für sie sein würde.
Wenn jemand aus den Südstaaten einmal seinen Koffer packte und zwanzig Meilen auf Besuch reiste, so dauerte ein solcher Besuch selten kürzer als einen Monat, meist aber länger. Die Leute waren ebenso begeistert Gast wie Gastgeber, und es war nichts Ungewöhnliches, daß Verwandte zu den Weihnachtsferien kamen und bis in den Juli hinein blieben. Junge Paare, die auf der Hochzeitsreise ihre übliche Besuchsrunde machten, blieben oft, wenn es ihnen irgendwo gefiel, bis zur Geburt des zweiten Kindes. Häufig kamen ältere Tanten und 0nkel am Sonntag zum Mittagessen und blieben, bis sie Jahre später begraben wurden. Ein Gast war kein Problem. Das Haus war groß, die Dienstboten waren zahlreich, und einige Mäuler mehr zu sättigen war in dem Lande des Überflusses eine Kleinigkeit. Jedes Alter, jedes Geschlecht fuhr auf Besuch, Hochzeitsreisende, junge Mütter, die ihre Kleinen herumzeigten, Erholungsreisende, Trauernde, Mädchen, deren Eltern Wert darauf legten, sie den Gefahren einer törichten Heirat zu entrücken, andere Mädchen, die unverlobt das gefährliche Alter erreicht hatten und nun unter Führung auswärtiger Verwandten eine passende Partie machen sollten. Gäste brachten Anregung und Abwechslung in das langsam fließende Leben des Südens und waren immer willkommen.
So war auch Scarlett ohne eine Ahnung, wie lange sie bleiben würde, nach Atlanta gekommen. War es dort so langweilig wie in Savannah und Charleston, so kehrte sie nach einem Monat wieder nach Hause zurück. War es aber schön, so konnte sie unendlich lange bleiben. Aber kaum war sie angekommen, so begannen Tante Pitty und Melanie einen Feldzug, um sie zu überreden, sich für die Dauer bei ihnen niederzulassen. Jeden nur erdenklichen Grund führten sie an. Um ihrer selbst willen wollten sie sie dabehalten, weil sie sie liebhätten. Sie wären so einsam und fürchteten sich oft nachts in dem großen Hause; sie aber sei tapfer und mache ihnen Mut. So reizend sei sie, daß sie sie in ihrem Kummer richtig aufmuntern könne. Seitdem Charles nicht mehr lebe, sei ihr und ihres Sohnes Platz bei seinen Verwandten. Außerdem gehöre ihr jetzt laut Charles' Testament die Hälfte des Hauses. Und schließlich brauche die Bundesregierung jede Hand zum Nähen, Stricken, Scharpiezupfen und zur Verw undetenpflege.
Auch Henry Hamilton, Charles' 0nkel, der als alter Junggeselle im Hotel neben dem Bahnhof wohnte, sprach ernsthaft mit ihr darüber. Er war ein untersetzter, unzugänglicher alter Hagestolz mit dickem Bauch, rosigem Gesicht und vollem Silberhaar. Für weibliche Schamhaftigkeiten und Grillen war er ohne jegliches Verständnis. Deshalb sprach er auch kein Wort mit seiner Schwester Pittypat. Von der Kinderzeit an waren die beiden in ihrem ganzen Naturell Gegensätze gewesen und hatten sich dann durc h seine Einwendungen gegen ihre Art, Charles aufzuziehen, noch weiter entfremdet. »Einen richtigen Waschlappen machst du aus einem Soldatenkind!« Vor Jahren hatte er Pitty dermaßen beleidigt, daß sie seitdem nur mit solcher Scheu und so verstohlen von ihm sprach, daß ein Fremder den armen alten Rechtsanwalt mindestens für einen Mörder halten mußte. Zu dieser Beleidigung war es gekommen, als Miß Pitty von ihrem Vermögen, das er verwaltete, fünfhundert Dollar abzuheben und in einem gar nicht vorhandenen Goldbergwerk anzulegen wünschte. Er hatte darauf hitzig erklärt, daß sie nicht mehr Verstand als ein Maikäfer habe, und es mache ihn nervös, länger als fünf Minuten mit ihr zusammen sein zu müssen. Seitdem sah sie ihn nur noch