Der Sohn des Verderbens. Paul Baldauf

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Der Sohn des Verderbens - Paul Baldauf Wagner und Rehles

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über ’Alfred Adler’, ’Johann Amos Comenius’ und ’Die Frankfurter Schule’. Für einen Moment beschlich sie der Gedanke, dass ihr mehr geholfen wäre, wenn er – anstatt sich in Fachlektüre zu vertiefen – die vom Markt hierher geschleppten, schweren Taschen zumindest in die Küche tragen würde. Aber sie traute sich nicht, etwas zu sagen. Vermutlich hätte er auch hierfür wieder eine Theorie parat, nach der derlei Arbeiten eher dem Naturell einer Frau entsprachen. Und wie sollte sie seine Theorien entkräften? Wenn er etwa eine ’Klärung im herrschaftsfreien Diskurs’ in Aussicht stellte, war sie mit ihrem Latein am Ende, zumal sie gar kein Latein konnte. Vor längerer Zeit legte sie sich mehrmals mit ihm an, sah dann aber schnell ein, dass dies nur längere Diskussionen zur Folge haben würde, die in keinem Verhältnis zum Anlass standen. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie ohnehin kaum zu Wort kam. Also schleppte sie auch diesmal die schweren Taschen und entschied auf dem Weg in die Küche, dass sie doch einmal bei Alina vorbeischauen würde. Vielleicht saß sie an den Hausaufgaben und brauchte Hilfe? Auf jeden Fall spürte sie den starken Wunsch, ihre Tochter zu sehen und zu begrüßen, ihr über das Haar zu streichen und sie an sich zu drücken.

      Sie klopfte an und wartete, bis ihre Tochter ’herein!’ sagte. Die Idee mit dem Anklopfen ging auch auf ihren Mann zurück, der ihr dafür vor Jahren den genauen Zeitpunkt angab. Er dozierte in diesem Zusammenhang über ’die Persönlichkeitsentwicklung Heranwachsender unter besonderer Berücksichtigung der Sozialisation in einer Kleinfamilie’ und versäumte nicht, sie auf Pädagogen hinzuweisen, die sein Denken maßgeblich beeinflusst hätten. Also klopfte sie an, obwohl sie nicht klar erkennen konnte, wieweit sich dies auf die Persönlichkeitsentwicklung Alinas auswirkte. Sie trat ein und blickte ihre Tochter voller Wohlwollen an. Nun bist du schon dreizehn, mein Augenstern. Alina schrieb gerade einen Brief an eine Austauschschülerin aus Dänemark, die letztes Jahr zu Besuch gekommen war. Sie legte den Brief zur Seite, stand auf und umschlang ihre Mutter. Diese sah nach unten, strich Alina über das Haar. Sie ist etwas klein für ihr Alter…

      „Was machst du, Schatz?“

      Alina wirkte froh und munter. Sie zeigte zu ihrem kleinen Schreibtisch.

      „Ich schreibe gerade einen Brief.“

      „An Sofie?“

      „Ja. Sie kann schon so gut Deutsch. Es ist gar kein Problem.“

      „Schön, dass ihr euch noch Briefe schreibt. Wo doch heute alle nur noch E-mails schreiben.“

      Alina wurde hellhörig.

      „Ja, sie mag es auf diese Art. Es ist irgendwie spannender, zu warten, bis endlich ein Brief kommt. Aber, da wollte ich dir gerade erzählen. Weißt du was?“

      „Was denn?“

      Sie bückte sich ein wenig, da sie ihre Tochter deutlich überragte.

      „Sofie bekam ein Notebook geschenkt und fragte mich auf einmal, ob sie mir, ab und zu, auch E-mails schicken kann. Ein Notebook wäre mir lieber als ein Smartphone. Du weißt ja, dass ich damals mein Handy verloren habe. Bei einem Notebook ist auch das Display viel größer. Da kann ich viel besser lesen.“

      Ihre Mutter grübelte. Sie hatten doch schon einen Computer. Als habe Alina ihre Gedanken erraten, sagte sie:

      „Auf Papis Computer geht es nicht.“

      „Warum nicht?“

      „Er nutzt ihn selbst so oft und außerdem…“

      Sie blickte ihre Mutter treuherzig an.

      „Nun?“

      „Er will bestimmt nicht, dass ich seinen Computer durcheinander bringe.“

      Sie setzte sich auf einen Stuhl und betrachtete ihre Tochter. Wie blass ihre Haut war…Manchmal sah sie ein wenig aus wie eine kostbare Porzellanpuppe.

      „Und, hast du mit ihm darüber gesprochen?“

      Alina strahlte und streckte einen Finger in die Höhe.

      „Ja und weißt du was?“

      Sie machte es spannend.

      „Sag schon.“

      „Er sagt, er kauft mir eines!“

      „Ach!“

      Alina umschlang ihre Mutter aufs Neue, legte ihren Kopf an ihren Arm. Was für ein Glück haben wir mit unserer Tochter. Doch Computer…, Internet…, man hörte da ja so einiges. Es ist doch nicht ganz ungefährlich…

      „Was sagte er noch?“

      Alina besann sich.

      „Hm, es war kompliziert. Ich meine…, er hat viel gesagt, aber ich weiß gar nicht mehr was…“

      Ihre Mutter lachte.

      „Also ist er dafür. Ich spreche mal mit ihm.“

      Alina hüpfte vor Vorfreude.

      „Dann kann ich Sofie schreiben und es dauert gar nicht lange, bis sie meine Post hat!“

      „Und umgekehrt auch.“

      „Ja! Dann ist es, als ob sie näher wohnen würde.“

      Ihre Mutter wurde gerührt. Wenn du wüsstest, wie gerne ich dir ein Geschwisterchen geschenkt hätte. Sie bemühte sich, jetzt nicht traurig zu werden. Ja, es war bestimmt eine gute Sache. So konnte Alina mit ihrer Freundin regen Kontakt halten. Obwohl sie weit weg wohnte, schien es, dass sie sich mit ihr am besten verstand. Schließlich hatten sie sich beide schon besucht. Ab und zu telefonierten sie sogar. Sie blickte in das strahlende Gesicht ihrer Tochter: An mir soll es nicht scheitern.

      13. Kapitel

      Als Morgur zu Beginn der folgenden Woche Treppenstufen erklomm, die zu seinem Arbeitszimmer führten, hörte er hinter sich Schritte. Er schloss aus der Stärke des Geräusches schnell auf die mögliche Entfernung und überlegte, ob er nun schneller gehen solle. So wie ein mögliches Beutetier in Gefahr zu einer Fluchtstrategie greift, so tat er, als sei er sich der Person hinter ihm nicht bewusst und legte einen Schritt zu.

      „Warum so schnell?“

      Er drehte sich zögerlich um. Hinter ihm stand Frau März, eine der Buchhalterinnen, die darüber erfreut war, dass sie ihn in seinem Gang aufhielt. Sie sah ihn an, in etwa so, wie man in einem Tierpark einen distanziert-interessierten Blick auf eine seltene Spezies wirft: Mit einem fast schon morbiden Interesse und dem beruhigenden Gefühl, dass man ja jederzeit gehen kann.

      „Na, wie gefällt es Ihnen in ihrem kleinen ‘Büro‘?“

      Ihre betont ironische Aussprache war Morgur nicht entgangen. Wie soll es mir darin schon gefallen…Auf jeden Fall besser als in deiner Nähe…Er schwieg, sie hakte nach.

      „Fühlen Sie sich da nicht ein bisschen einsam?“

      Morgur spürte, dass sie nicht aus Anteilnahme fragte. Warum dann? Es klang, als wolle sie etwas auskosten. Er sah, wie sie − wie immer − ihren Schlüssel auf eine bestimmte Art in der Hand hielt, die ihn reizte. Es sah nicht danach aus, als schließe sie damit ein Arbeitszimmer auf. Vielmehr schien sich darin ein provozierendes Überlegenheitsgefühl auszudrücken. Er registrierte ihre Dauerwelle, die auf ihn penetrant

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