Der Sohn des Verderbens. Paul Baldauf

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Der Sohn des Verderbens - Paul Baldauf Wagner und Rehles

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zugestellt worden waren. Er presste ein Auge zusammen, um unleserliche Bezeichnungen entziffern zu können, schimpfte über zu spät eingegangene Bedarfsanmeldungen – „Die Bestellung iss doch schon raus, wie oft soll ich’s noch sagen, dass ihr euch mehr beeilen müsst!“ – und griff erhitzt zum Telefon. Sein ganzer Körper pulsierte nun geradezu von aufgeladener Energie, die sich nun zum Teil verbal äußern musste:

      „Ja, Sie wollte ich! So kann ich das nicht brauchen! Ich hab Euch doch schon s o o f t gesagt, dass ihr euch früher melden müsst! Die schicken ihre LKWs zu bestimmten Zeiten raus und dann pfeift die keiner mehr zurück, nur weil ihr ein paar Ries Papier…Wie? Ich kann auch nicht dauernd unten bei euch herumlaufen und die Bestände kontrollieren, dafür haben wir ja einen Lagerverwalter. Also, bitte! Nächstes Mal meldet euch früher!“

      Er legte ungestüm auf. Dann erhob er sich geradezu federnd-ruckartig, überprüfte Knöpfe seines Sakkos, das er alter Gewohnheit gemäß immer noch einmal geradestrich und verließ sein Büro. Im Gang angekommen, zeigte er nach wie vor ein verdrossenes Gesicht, das auch keinen anderen Ausdruck annahm, als ihm eine der Buchhalterinnen über den Weg lief.

      „Sie machen schon Mittagspause: Haben Sie das auch verdient?“

      Sie sah ihn groß an, schaute dann vielsagend hin und her und suchte das Weite. Er nahm nun einen geradezu zackigen Schritt an und stieß fast mit einem der Sachbearbeiter aus der Auftragskalkulation zusammen:

      „M a a a h l z e i t!“ Er zog das Wort gerne in die Länge, um so schon rein akustisch die damit verbundene besondere kulturelle Bedeutung zu unterstreichen. Der Angesprochene erwiderte so, wie erwartet, mit einem etwas mundfaul vorgebrachten: „Mahlzeit.“ Herr Riesbacher war der Auffassung, dass der Kalkulator da durchaus etwas mehr Entschlossenheit und Schwung hätte hineinlegen können! Warum orientierte er sich nicht an seiner Vorgabe? Er zog erst so, wie es sich gehörte, das ’M a h l’ stark in die Länge, um dann mit einem schneidig-zackigen ’z e i t!’ noch nebenher anzudeuten, dass hierfür eine genau bemessene Zeit vorgesehen war, die exakt einzuhalten war.

      Deshalb legte er auf die zweite Silbe des Wortes ein besonderes Gewicht und sprach sie zuweilen fast schon provokativ überbetont aus. Nun aber lief ihm noch eine der Damen über den Weg, die im Umfeld von Unterberger arbeitete. Die kam ihm gerade recht.

      „M a a a h l ZEIT!“ sagte er schnittig, worauf sie – unter freundlichem Kopfnicken – so wie in der Firma gelernt, mit einem ’Mahlzeit’ antwortete, das Herr Riesbacher gerade noch durchgehen lassen konnte. Innerlich freilich schüttelte er den Kopf: Warum so lasch? Doch blieb ihm keine Zeit, diesen Gedanken zu vertiefen, kroch doch in diesem Moment eine weitere Buchhalterin aus ihrem Zimmer hervor: „MAHLZEIT!“ stieß er mit kräftiger Stimme aus, worauf sie origineller Weise mit ’Mahlzeit’ antwortete. Nun erblickten sich die beiden Damen und quittierten dies mit mehreren ‘Mahlzeit!‘ die, so schien es Riesbacher, etwas bieder klangen. Er wandte sich verstimmt ab und trat den Weg an, der ihn zu der nach unten, in die Kantine, führenden Treppe brachte. Er überprüfte seinen Anzugskragen, trippelte, geradezu jungenhaft in seinen Bewegungen, nach unten und warf einen Blick auf die Empfangsdamen, zu denen gerade Mitarbeiterinnen der Anzeigenabteilung stießen. Die Damen blickten auf, erspähten ihn, so dass er ganze Salven von ’Mahlzeit!’ anbringen konnte. Nun ging es kreuz und quer, ’Mahlzeit’, ’Mahlzeit’, Sachbearbeiter aus angrenzenden Büros traten hinzu, ’Mahlzeit’, bahnten sich ihren Weg in Richtung Kantine, ’Mahlzeit’, grüßten und erwiderten: ’Mahlzeit!’.

      8. Kapitel

      Morgur verließ das Firmengelände durch den Hinterausgang. Dazu musste er an Druck- und Schneidmaschinen, an Druckern, Buchbindern, an Arbeiterinnen vorbei, die ihn allerdings kaum beachteten. Ganz anders war es, wenn er den normalen Weg zum Ausgang, an den Empfangsdamen vorbei, wählte. Dann beschlich ihn immer das Gefühl, dass sie ihm nachsahen, Köpfe zusammensteckten, über ihn tuschelten. Auch konnte es vorkommen, dass er auf diesem Weg, im Freien angekommen, auf andere Angestellte traf, die gerade lässig in ihre Sportwagen stiegen, während er den Fußweg zum Bus antrat. Oh, er kannte die Häme, mit denen sie ihn manchmal in aller Offenheit, manchmal hinter seinem Rücken, übergossen, da er auf den Bus angewiesen war. Nach drei gescheiterten Versuchen, den Führerschein zu erwerben, hatte er es aufgegeben. Einmal nahm ihn ein Kollege mit. Morgur erinnerte sich mit Grauen an diese Fahrt mit dem Angestellten, der unterwegs die Leistung seines Autos in höchsten Tönen pries und nach einiger Zeit beiläufig, mit fast verdächtigendem Unterton, fragte: ’Warum kommen Sie eigentlich nicht mit dem Auto?’ Der alte Heuchler. Dabei wusste er doch genau, warum.

      Diesmal aber gelang es ihm, sich davonzustehlen. Das Gespräch mit dem Geschäftsführer hallte in ihm nach, bis er von sich steigerndem Grimm erfasst wurde: Alter Windbeutel! Es kam ihm vor, als betrachte der Chef das Personal wie Schachfiguren, die man je nach erhofftem Vorteil, nach strategischer Idee, nach Wohlgefallen oder Missfallen einfach hin und her schieben, versetzen oder umstoßen konnte. Diese lauernde Falschheit im Blick, hinter der sich kaltes Kalkül und scharfe Beobachtung verbarg…War das eine versteckte Drohung? Der muss heimlich in meinen Kabuff gegangen sein und meine Papiere durchwühlt haben. In der Mittagspause? Er dachte daran, wie er sich oft mit einigen Broten in einer Ecke der Kantine oder – besser noch – außerhalb, in einem stillen Winkel des Firmengeländes verdrückte. Er muss diese Zeit genutzt haben, um zu sehen, was ich mache, wieweit die von mir geführten Listen und Zahlen stimmen. Es scheint, er führt über alles Buch…Was sollte dieser versteckte Hinweis, den er unter falschem Lachen vorbrachte: ’Sie wissen ja, Herr Morgur, nichts im Leben ist sicher…’ Und dann sein Palaver um nötige Erhöhung der Produktivität, Reduzierung der Personalkosten, wobei sich ja am mehr oder weniger erkennbaren Willen zur Leistung die Spreu vom Weizen trenne. Und was sollte der Spruch am Ende: ’Wenn’s eng wird, nicht wahr, Herr Morgur, dann nimmt man auch mal einen Schwung Arbeit mit nach Hause…’ Wollte er mich provozieren, verunsichern, um zu sehen, wie ich reagiere? Wie kam er auf die Idee, gezielt nach meinen Excel-Kenntnissen zu fragen? Wo jeder im Haus weiß, dass mir da niemand etwas vormacht? Will er am Ende jemand anderen entlassen und mir mehr Arbeit aufbürden? Arbeit mit nach Hause nehmen? Während er noch auf den Bus wartete, trat er unruhig von einem Bein auf das andere. Wenn die Zeit erfasst wird, ich dafür bezahlt werde oder an anderer Stelle kürzertreten kann…, vielleicht gar keine schlechte Idee. Er stellte sich vor, wie er mit einem Packen Arbeit beladen, zu Hause einmarschieren würde. Dann hätte ich eine Ausflucht, ein Mittel um ihr zu entkommen…Ich könnte einfach damit in mein Zimmer verschwinden, , aus einem Kabuff in den anderen…Dagegen hätte sie bestimmt nichts einzuwenden…. Und wenn sie dann nach einem Vorwand sucht, um mich zu erniedrigen, dann deute ich auf meinen Schwung Arbeit und ziehe mich zurück, hänge ein Schild an die Tür: BITTE NICHT STÖREN, ARBEIT!

      Ein wohliges Gefühl überkam ihn, eine geradezu wilde Vorfreude, die bald wieder einem Gefühl der Niedergeschlagenheit wich. Der Bus wollte einfach nicht kommen. Zu Fuß war es zu weit und nun lief er Gefahr, dass der ein oder andere Kollege in seinem protzigen Wagen vorbeifuhr, ihn sah, hämisch winkte oder gar anhielt…Sollte ich Windbeutler nochmals darauf ansprechen? Nein, nein. Am Ende deutet er das als schlechtes Gewissen. Der Bus tauchte endlich auf…

      Als Morgur am selben Abend den Innenhof betrat, von dem aus eine Treppe zur Wohnungstür führte, war kein Laut zu hören. Das Haus war mehrstöckig. Seine Frau ließ einen Teil des von ihr geerbten Hauses einfach leer stehen. Ein Stockwerk war in verschieden große Wohnungen unterteilt und komplett vermietet. Es verstand sich bei ihr von selbst, dass sie ihn weder über Mieter noch Einkünfte unterrichtete. Ebenso wusste er nicht, was sie mit dem Geld machte. Ihm gab sie zwischen den Zeilen immer wieder das Gefühl, dass er eigentlich froh sein könne, dass sie ihn hier im Haus dulde. Auf einen Teil seines Gehaltes griff sie zu, ohne mit der Wimper zu zucken, verfügte sie doch über eine entsprechende Kontovollmacht, die er ihr einst, auf ihren Druck hin, ausstellte. Mittlerweile

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