Der Sohn des Verderbens. Paul Baldauf

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Der Sohn des Verderbens - Paul Baldauf Wagner und Rehles

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      3. Kapitel

      Am nächsten Morgen verließ Oberkommissar Wagner Schramm’s Kaffeerösterei in der Gilgenstraße. Er spürte, wie die Tasse Columbian Medellin ihre Wirkung zu entfalten begann. Ah…, das tut gut! Die Luft war angenehm frisch und kühl, Straßen glänzten von frisch gefallenem Schnee, es atmete sich leicht. Er hüllte sich tiefer in seinen Mantel und rieb sich die Hände. Während er vor seinem geistigen Auge einen Kalender überflog und die Anzahl der noch freien Tage ausrechnete, steuerte er auf den Durchgang am Altpörtel zu. Ein Mädchen huschte aus einer Tür von Blumen Nothhelfer und ließ, eine Passantin begrüßend, ihren Charme spielen. Speyer, wahrlich kein schlechtes Pflaster… Ob ich für immer hier bleibe? Er blickte auf Schnee, der ringsum gut verteilt war. Was nun? Sehen, ob irgendein Bistrot aufhat, in dem ich ein vernünftiges Frühstück bekomme? Auf einmal wurde ihm bewusst, dass er seit etlichen Tagen einen Termin vor sich herschob: Es hilft ja alles nichts, muss mal wieder zum Friseur. In der Wormser Straße angekommen, passierte er die alteingesessene Buchhandlung Oelbermann, überquerte die Straße und lenkte dann seine Schritte zum Haarparadies Hammer. Er schaute hinein: Noch war kein anderer Kunde da. Er trat ein, hängte seinen Mantel auf. Ein junger Mann begrüßte ihn freundlich. „Nehmen Sie Platz. Ich komme gleich.“ Es dauerte nicht lange – „So, jetzt!“ – und der Friseur stand hinter ihm. Er holte einen Umhang und brachte ihn so an, wie es sich gehörte. Eine flinke Handbewegung und schon entdeckte Wagner einen Spiegel hinter sich. „Wie sollen wir’s schneiden?“ Wagner sah sich um. Wir? Ist noch jemand da? „Kürzer.“ Der Friseur lachte, gut gelaunt, hell auf. „Und ich dacht’ schon, ich soll’s Ihne länger mache.“ Er trat näher und fügte leiser hinzu: „Ä Spässel.“ Der Friseur stellte das Radio etwas leiser −…auf der A6…, bitte fahren Sie vorsichtig − und ergriff ein kleines Sprühgerät. „So, jetzt wird’s graad e bissje nass.“ Wagner verdrehte die Augen. Der Friseur, der behutsam vorging, sprühte nichtsdestoweniger so lange, bis die Haare feucht genug waren. Da komme ich mir ja vor, als wäre mein Kopf eine Topfpflanze… „So kann ich einfach besser schneide, als wenn’s ganz trocke iss.“ Wagner nickte. Am besten nicht widersprechen, lag ja außerhalb seines Kompetenzbereichs.

      „Unn um die Ohre rum…? Halb bedeckt oder alles freimache?“

      „Wäre gut, wenn Sie die Ohren dran lassen: Spässel!“

      Der Friseur lachte vergnügt auf.

      „Alla guut.“

      Er kämmte und schnitt, schob Haare hin und her, veränderte den Blickwinkel, schnitt weiter. Doch der Gast blieb stumm. Nun sah er, dass er sogar die Augen geschlossen hielt. Der wird mir doch am Ende nicht hier einschlafen…Da hörte Wagner vorderpfälzischen Singsang:

      „Ä Tässel Kaffee?“

      „Nein, danke. Ich war vorhin in Schramm’s Kaffeerösterei.“ „Ich dacht’ nur, weil Sie so still sinn.“ „Ach, wissen Sie…, wenn man beruflich immer so viel reden muss…“ „Wem sagen Sie das? Des iss ganz klar, dess versteh ich. Da iss mer als froh, wenn man mal sei Ruh hat. Nur manche Kunde, die erwarten einfach, dass man sich nach Ihne erkundigt und sich unnerhält.“ „Da können Sie bei mir beruhigt sein.“

      Langsam wurde er doch ein wenig neugierig. Würd’ mich schon mal interessieren, was der beruflich so macht…

      „Da haben Sie einen Beruf, in dem man viel rede muss? Ich versteh…“

      Was könnt’n der sei: Anwalt?

      „Manchmal bin ich auch lange Zeit still und grübele nur.“

      „Und dafür wer’n Sie bezahlt? Dess deed mer aah gefalle! Ich grübel als auch viel, aber mir zahlt niemand was dafür. Das iss der Unnerschied.“ „Die Lebensschicksale sind sehr unterschiedlich.“ „So isses!“

      Der Friseur setzte mit einer letzten Schnittoffensive gleichsam das Fanal zum Endspurt.

      „Ein paar graue hab ich schon entdeckt. Iss abber net schlimm.“

      Wagner zog die Mundwinkel nach unten.

      „Wenn’s Ihne mit der Zeit mit dem Grau zuviel wird, kummen Se halt zu mir und dann mache mer die Packung druff.“

      Der Friseur raunte unter dem Siegel der Verschwiegenheit:

      „Sie wer’n lache, dess machen immer mehr Männer. Oft die, wo mer’s gaar net denkt.“

      „Ich fürchte, ich werde nicht lachen.“

      Der Friseur holte flugs einen großen Spiegel und zeigte seinem Neukunden das Resultat seiner Haarpflegekunst.

      „Zufriede?“

      „Sehr gut!“

      In diesem Moment ging die Tür auf, ein Mann trat ein. Wagner blickte in den Spiegel und war bestürzt.

      „Was machen S I E hier?!?“

      Hinter ihm stand Kommissar Rehles, der Mann, den ihm sein berufliches Schicksal vor einigen Jahren über den Weg führte.

      „Äh, ich wollte gerade zum Friseur.“

      Rehles starrte vor sich hin, als habe er sich in der Zimmertür eines Büros geirrt. Dann deutete er auf die vielen Haare am Boden:

      „Das hat sich aber gelohnt.“

      Wagner verzog das Gesicht. Dann nahm er den Haarschopf seines Mitarbeiters in den Blick. Diese verwegene Locke gehört auch mal ab.

      „Ich dachte, Oksana schneidet Ihnen die Haare?“

      „Das war einmal. Seit sie im Eiscafé Roma arbeitet…“ Wagner bewegte sich zur Kasse. „Stimmt so.“ „Danke!“ An der Tür drehte Wagner sich noch einmal zu Rehles um. „Bin jetzt schon gespannt, wie Sie am Montag aussehen...“

      4. Kapitel

      Die Buchhalterin zog eine kleine Fingerkappe über und blätterte in unglaublichem Tempo durch einen Stapel Rechnungen. Zwischendrin seufzte sie auf. Irgendetwas stimmte hier nicht. Nochmals. Was war ihr hier durch die Lappen gegangen? Mit der Zeit kannte sie ihre Pappenheimer. Habe ich doch alles sofort angelegt, ’Debitorenbuchhaltung’, da bin ich mir sicher. Sie überflog Daten, Rechnungs- und Kundennummern, warf einen Blick auf Beträge, addierte Summen, verglich mit Ausdrucken, ächzte tief auf. Verflixt. Ein typischer Montag. Irgendetwas lief da schief, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Diese Migräne! Und dann hatte man ihr auch noch diese langhaarige Kollegin vor die Nase gehockt, die sich oft genug unter dem Deckmantel ihrer Mähne merkwürdig nach vorn beugte, so als fische sie etwas aus der Schublade heraus. Bestimmt Kuchen, jede Wette. Na, warte. Nein…., nicht gleich… Die soll sich erst mal in Sicherheit wiegen und dann, schnelle ich hervor und erwische sie! Dann heißt es: Gibst du mir sofort die Hälfte vom Kuchen ab oder du kannst was erleben! Erpressung? Nein, nein. So etwas nennt man ’christlich teilen’. Ich muss sie zu einer guten Tat zwingen, da tue ich sogar noch ein gutes Werk. Sie lachte boshaft in sich hinein. Wo drückt sie sich jetzt wieder rum? Mittagspause? Ist doch längst vorbei. Na, soll mir recht sein. Sonst fängt sie wieder an mit ihrem: ’Glaaben-se, ich hann widder sooo de Lääde!’-Gejammer: De Lääde? Habe ich am Anfang gar nicht verstanden, was sie meinte. Die gehen einfach davon aus, dass jeder aus der Pfalz stammt. ’De Lääde’. Sie

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