Der Sohn des Verderbens. Paul Baldauf

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Der Sohn des Verderbens - Paul Baldauf Wagner und Rehles

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spürte, merkte er, wie es sie einerseits mit Genugtuung und andererseits mit starkem Widerwillen erfüllte. Es kam ihm vor, als brauche sie ihn, damit sie an der für ihn empfundenen Geringschätzung wachsen könne. Wenn er aber dann, in dieser Gewissheit, irgendwo gebraucht zu sein, forscher auftreten wollte, wies sie ihn schnell und resolut in die Schranken und ruhte nicht, bis er gleichsam wieder klein genug war. Er öffnete die Haustür, lauschte ins Treppenhaus, betrat die erste Treppenstufe. Es roch, als habe hier jemand das ganze Treppenhaus gebohnert. Stufe um Stufe stieg er die knarrende Treppe empor.

      In einer Hand hielt er eine schon ziemlich ausgebeulte Tasche, in der er immer seine Brote, manchmal auch zurechtgeschnittene Apfelstücke oder Joghurt mit sich schleppte. Davon verzehrte er manchmal enorme Mengen, was den Leuten in der Firma nicht entgangen war und erneut Kopfschütteln, Getuschel und Befremden auslöste. Aber wenn ihn dieser Heißhunger überkam, verlor er die Gewalt über sich und schlang alles in sich hinein. Es kam ihm zuweilen vor, als drücke sich darin ein anderer Hunger aus, den er nicht genauer bezeichnen konnte. Seiner Frau war sein Heißhunger ein willkommener neuer Stoff, mit dem sie ihre Vorwürfe nährte: ’Du müsstest dich einmal sehen. Irgendwann passt du nicht mehr in die Tür. Wie kann man nur so unbeherrscht sein!’ Aber ihm schien, dass ihre Entrüstung nicht ganz ehrlich war, dass sie insgeheim an seinem zunehmenden, sicher nicht sehr vorteilhaft aussehenden Gewicht, ihre klammheimliche Freude fand. So nahm auch ihre Verachtung zu und konnte sich umso ungehemmter ausdrücken.

      9. Kapitel

       Einige Tage waren vergangen…

      Kommissar Rehles stellte eine schwere Tüte ab, wischte sich die Stirn. Schon wieder ging ein Jahr zu Ende. Oksana tauchte aus der Küche auf und blickte neugierig. Ihr Mann bewegte einen Finger hin und her:

      „Das ist geheim. Die Überraschung kommt heute Nacht.“

      Oksana tat ganz enttäuscht und verschwand wieder in der Küche. Ihr Mann verstaute die Raketen erst einmal in einer Ecke des Balkons und verbarg sie unter einer Decke. Heute Sylvester, morgen Neujahr und dann noch ein paar Tage frei. Er reckte und streckte sich. Ah, das tat gut! Dann kam noch Dreikönige…, Wochenende…, bis ein Neues Jahr seine Fähigkeiten, seine Kraft und Erfahrung im Beruf wieder voll in Anspruch nehmen würde. Während er einen Beipackzettel überflog, der in den fachmännischen Umgang mit Feuerwerk einwies, gähnte er. Kenn ich doch alles schon, ist ja nicht das erste Mal.

      Nach einiger Zeit kam Oksana aus der Küche hervor. Ihre Hände trieften noch, sie trocknete sie ab.

      „Bin ich schon fast fertig mit Essen. Was macht eigentlich deine Wagner an Sylvester?“

      Ihr Mann war von der Frage überrascht.

      „Wagner?“

      „Ja, sage ich doch.“

      „Hm. Offen gesagt…“

      „?“

      „Ich weiß nicht, er hat nichts gesagt.“

      „Müssen wir einmal einladen. Glaube, nicht schön für diese Mann, so allein.“

      „Der hat bestimmt auch Verwandtschaft.“

      Er legte nach: „Glaube nicht, dass er allein feiert.“

      Während er Sekt, Orangensaft und einige Gläser schon mal in Reichweite postierte, geriet er ins Grübeln. Wagner an Sylvester…Ob der auch Raketen in den Himmel jagt? Schwer vorstellbar. Wer weiß, ob es ihm bei uns überhaupt gefallen würde? Wie kommt Oksana darauf? Als hätte sie seine Gedanken erraten, sagte sie: „Ich meine, er bekommt ja auch mit, dass jemand auf dich wartet, wenn du kommst nach Hause.“ „Nach Hause kommst.“ „Nach Hause kommst.“ „Ja, schon. Nur…“ „Was, nur?“ „Ich frage mich, ob es ihm hier gefallen würde. Ich meine, dann ist er zwar in Gesellschaft. Wenn er danach nach Hause kommt, wartet aber trotzdem keine Frau auf ihn. Vielleicht ist es dann sogar noch schlimmer: Er sieht hier, wie es sein könnte.“ Nun war er fast selbst überrascht, von der strengen Logik seiner Argumentation. Oksana war näher gekommen. Sie schien nachdenklich. „Mag ich Wagner, ist nette Mann. Wenn kommt in Eiscafé Roma, ist immer freundlich und lässt auch ganz schön Trinkgeld auf Tisch. Ich verstehe nicht, dass so eine Mann alleine ist. Sieht doch gut aus, ist höflich und – glaube ich – wie sagt man? hat hier ganz schön!“ Sie legte einen Zeigefinger an ihre Stirn. Rehles stutzte. Sieht doch gut aus? Hm. „Ja, er hat schon was im Kopf. Macht auch der Umgang.“ Der Hinweis auf das gute Aussehen von Wagner irritierte ihn. Zugegeben, Wagner sah nicht schlecht aus, aber Vorsicht vor Übertreibungen! Oksana legte ihren kleinen Finger ans Kinn und fügte hinzu:

      „Wenn kommt in Urlaub auf Ukraine, findet bestimmt eine. Sind schön die Frauen dort und… intelligent auch. Muss Urlaub machen in Ukraine, am besten kommt mal mit nach Lemberg. Findet sich leicht Fremdenführerin, zeigt ihm Stadt… und wer weiß…“ Sie lachte schelmisch und verschwand wieder in der Küche. Ihr Mann runzelte die Stirn: Fehlt mir gerade noch, dass er bei unseren Leuten aufkreuzt. Am Ende muss ich mit ihm Vodka trinken oder er plaudert aus dem polizeidienstlichen Nähkästchen…Dann geht der Schuss noch nach hinten los…

      Einige Stunden später – sie waren, auf Oksanas Wunsch, von einem orthodoxen Gottesdienst zum Jahresabschluss aus Kaiserslautern zurückgekommen – deckte Oksana festlich den Tisch. Wegen der Zeitdifferenz zur Ukraine stießen sie mehrmals auf ein Neues Jahr an. Er fürchtete, dass sie – wie schon im Vorjahr – wieder auf die Idee kommen könnte, zu Hause anzurufen und ihm gegen Ende des Telefonats den Hörer in die Hand zu drücken… Kurz vor Mitternacht gab ihr Mann ihr einen Wink, sie in den kleinen Vorgarten zu begleiten. Wie ein kleines Heer waren die Raketen schon postiert und warteten abschussbereit. Eine nach der anderen jagte er in den Nachthimmel. Die Überraschung sparte er sich für den Schluss auf. Er machte es spannend.

      „Oksana, jetzt kommt’s!“ Sie machte große Augen und hielt sich im Sicherheitsabstand. Die Raketen schossen unter Zischen in die Höhe und entfalteten prächtige Farben: Blau-Gelb!

      „Oh, sieht aus wie Flagge von meine Land!“

      Sie war sichtlich gerührt. Als die Gefahr vorüber war, trippelte sie schnell zu ihm. Dafür bekommst du extra Kuss. Was sag ich, zwei: Eine für Blau, eine für Gelb.

      10. Kapitel

      Sie war verschwunden, einfach so, hinterließ noch nicht einmal eine Nachricht auf dem Küchentisch. Sicher traf sie sich nun mit Freunden und Bekannten, um irgendwo eine rauschende Sylvesterparty zu feiern. Von ihrer Katze verabschiedet sie sich immer, krault ihr das Fell: Bin bald wieder zurück! Mich aber ignoriert sie, wie einen Mantel am Haken. Wenn man ihn braucht, benutzt man ihn, wenn er stört, gibt man ihn weg. Fühlte er zunächst Pein, so wich diese bald der stummen und hilflosen Wut eines Mannes, der sich erniedrigt fühlt. Er öffnete den Kühlschrank und schlug ihn wieder zu. Aus den Resten war kaum etwas Vernünftiges zu machen. Wohin jetzt? Er dachte an seinen Bruder, der vor einigen Jahren plötzlich verstorben war. Sein Haus stand immer für mich offen, doch diese Anlaufstelle ist für immer verschwunden. Seine Eltern waren schon länger verstorben. Der Rest der ihm noch verbliebenen Verwandtschaft stellte den Kontakt schon vor längerer Zeit ein oder zeigte offen Desinteresse. : Wohin jetzt? Ob seine Frau mit den Leuten, mit denen sie feierte, über ihn sprach? Vermutlich ignorierte sie ihn auch dort. Wer weiß, am Ende denken sie, dass ich verstorben bin. Das würde ich ihr zutrauen, dass sie eine solche Nachricht verbreitet. Er verließ die Küche und dachte nach. Sinnlos in die Stadt gehen? In den meisten Lokalen waren an solchen Tagen längst Tische reserviert:

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