Eine Studentin. Peter Schmidt
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„Es wäre ein perfektes Werkzeug zur Folter“, gab Carolin zu bedenken. „Geheimdienste, Verbrecher, auch Perverse, könnten es missbrauchen.“
„Dazu muss man erst einmal über die erforderliche Technik verfügen.“
„Das hat man bei der Erfindung der Atombombe auch geglaubt. Aber dann bauten die Russen die stärkste jemals gezündete Wasserstoffbombe, die Zar-Bombe. Ihre Druckwelle umrundete zweieinhalb Mal den Globus.“
„Auch wenn der Vergleich – bedenkt man, worum es im Leben eigentlich geht, nämlich um Glück und Leiden – nicht ganz abwegig ist – es ehrt mich, Carolin, dass Sie meine Entdeckungen in der Neurologie mit einer theoretischen Meisterleistung wie die der Kernspaltung gleichsetzen …“
„Schauen Sie sich nur die Augen dieses armen Rhesusaffen an“, sagte Carolin. „Ist es nicht entsetzlich, wie schrecklich Tiere für unsere menschliche Hybris leiden müssen?“
„Die Regierungen haben leider Versuche an Menschenaffen verboten.“
„Forschung an Affenhirnen erlaubt oft nur Aussagen über die Funktion des Affenhirns. Will man etwas über das menschliche Gehirn erfahren, muss der Mensch untersucht werden, nicht irgendein Tier. Die menschliche Hirnrinde ist meines Wissens zehnmal so groß wie die des Affen.“
„Wegen ihrer genetischen Nähe zum Menschen wären Menschenaffen allerdings geeigneter …“
„Auch, wenn sie leiden?“, fragte Carolin.
„Das ist zunächst einmal ein moralisches Problem. Wie überhaupt die generelle Frage, was uns zu Versuchen an Tieren berechtigt. Schauen Sie in meine Publikationen, falls Sie die Frage beschäftigt.“
„Sie waren schließlich mal Vorsitzender der Ethikkommission, Hollando …“
Schweigen …
Man konnte in den Gesichtern im Arbeitskreis lesen, dass dies in den Augen einiger Studenten womöglich das Aus für Carolins Mitarbeit bedeutete.
„Menschenaffen stehen Menschen in ihren Gefühlen aller Wahrscheinlichkeit viel näher als niedere Tiere“, sagte Carolin. „Ihr Leiden könnte ähnlich problematisch sein. Schließlich finden Sie ja auch keine menschlichen Versuchspersonen für Ihre Experimente.“
„Nun, bei meinen gegenwärtigen Untersuchungen geht es ja um nichts Geringeres, als Leiden zu vermindern“, sagte Professor Hollando.
„Auf Kosten unschuldiger Lebewesen.“
„Aber wir verspeisen doch auch Tiere?“
„Wenn möglich, ohne sie zu quälen.“
„Moral ist nun einmal letztlich subjektiv, Carolin, auch wenn das dem überzeugten Moralapostel nicht gefällt. Moralische Grundsätze sind keine Beschreibungen objektiver Eigenschaften oder Prozesse, sondern lediglich Wünsche und Meinungen und hängen von individuellen Gefühlen ab. Aus dem Sein folgt niemals ein Sollen, wie ein kluger Kopf schon vor über zweihundert Jahren erkannt hat.“
„Und es läuft der Vernunft nicht zuwider, wenn ich lieber die Zerstörung der ganzen Welt will, als einen Ritz an meinem Finger – ja, David Hume.
Aber mit solchen Argumenten aus der Moralphilosophie arbeiten Sie auch politischen Verbrechern wie Hitler, Stalin und Mao in die Arme …“
Hollando warf ihr einen überraschten Blick zu. Schwer zu sagen, ob wegen ihres Widerspruchs oder ihrer Hartnäckigkeit.
„Wären denn nicht nach allem was wir wissen Menschen als Studienobjekte viel besser geeignet? Gingen wir damit nicht wissenschaftlich eher auf Nummer sicher?“, fragte sie.
Hollando schüttelte unwillig den Kopf.
„Was mich eher interessieren würde – neben solchen ethischen Spekulationen“, meldete sich Sigmund Reck, „wäre die Stromversorgung des Implantats, weil es so klein und unscheinbar ist.“
„Gute Frage, Sigmund. Sehen wir uns die Technik einmal genauer an … falls Sie einverstanden sind, Carolin?“
Auf der Videoleinwand erschien das Bild eines winzigen metallischen Körpers, abgeflacht wie eine Linse. Daneben der elektrischer Impulsgeber mit ausziehbarer Antenne, etwa halb so groß wie eine Zigarettenschachtel, den sie auch schon am Käfig des Rhesusaffen bemerkt hatte.
„Unser äußerer Impulsgeber funktioniert über Funk“, erklärte Professor Hollando. „Das heißt, wir benötigen keine Eingriffe ins Gehirn, weder durch Operationen, Injektionen noch Katheter.
Die Aufladung des Akkus in der Linse – die übrigens wegen ihrer sparsamen Impulse nur alle drei Jahre nötig ist – erfolgt nicht mittels elektrischer Leitungen, sondern über elektromagnetische Felder, wie wir es von kontaktlosen Ladegeräten kennen. Der Impulsgeber wird für kurze Zeit auf den Stirnknochen aufgesetzt.“
„Heißt das, jeder von uns könnte demnächst so einen Abschalter oder Gefühls-Schrittmacher in der Tasche tragen, wenn es ihm mal wieder richtig dreckig geht?“, erkundigte sich Reck. Seinem Gesicht war anzusehen, dass ihn der Gedanke begeisterte.
„In der Tat, ja – berücksichtigen Sie aber, dass negative Gefühle wie Angst, Trauer, Depression und selbst starke Schmerzen auch wichtige Funktionen im Leben haben.
Die Evolution hat sich zwar nichts dabei gedacht. Schon deswegen, weil sie gar nicht denken kann und über kein planendes Bewusstsein im teleologischen Sinne verfügt wie Gott, sondern nur determiniert ist aus den jeweiligen Fakten und potentiellen Möglichkeiten der Materie und den Kräften, also Keimen der Entwicklung sozusagen, die in den Elementarteilchen, den Schwachen und Starken Kräften – wohl auch in der Dunklen Energie und Materie –, also im gesamten Seienden, bereits angelegt sind.“
Reck nickte verstehend … aber nach Carolins Eindruck sah er nicht sehr glücklich aus über Professor Hollandos Ausflug in die Philosophie des Universums.
„Der klügere Umgang mit dem Gen-Schalter“, fuhr Hollando fort, „wäre also, ihn erst dann zu nutzen, wenn uns das Leiden über den Kopf zu wachsen droht.