Eine Studentin. Peter Schmidt
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„Schon gut“, sagte Carolin und strich ihr übers Haar. „Alles wird gut. Wenn wir deine Eltern gefunden haben, kommst du mich jeden Tag besuchen, versprochen?“
Arbeitskreis
„Religiöser Glaube ist eine Form irrationaler Gefühlsgewissheit, über deren Wahrheitswert wir keine Informationen besitzen“, sagte Professor Hollando.
Er blickte fragend in die Runde …
Ihr Arbeitskreis bestand aus dreizehn Studenten, allerdings fehlte Anna Schwartz.
Deutete das schon auf das Ende ihrer Beziehung hin? Wegen der Blamage in der Diskussion um Willensfreiheit? Weil sie eigentlich ein Dummerchen war?
Dann gehörten nur noch zwölf Mitarbeiter zum harten Kern – wie die zwölf Apostel … dachte Carolin. Und Cesare Hollando war ihr Jesus Christus.
Hollando hatte einige der begabtesten Köpfe um sich gescharrt – den bleichgesichtigen Computerfreak Lars Oberbaum, Paul den „Roboter“ mit dem Gedächtnis eines Autisten und ein ewig hüstelndes Bürschchen namens Sigmund Reck, dem Hollando eine steile Karriere in der Neurologie voraussagte.
Reck hatte gerade die Frage aufgeworfen, was wohl die Kirche von Hollandos bahnbrechender Entdeckung hielt, schon wegen der Erbsünde. Und wo blieb die christliche Moral in einer Gesellschaft, die sich von der Geißel des negativen Fühlens befreit hatte?
Christus am Kreuz ohne Schmerzen?
Stellte das nicht eine zentrale religiöse Tradition in Frage?
Carolin hätte eigentlich lieber mehr darüber erfahren, wie man den Aversio-Genetic-Toggle-Switch steuerte – das Thema des heutigen Arbeitskreises. Und gab es dabei gesundheitliche Risiken?
„Fräulein Meyers …?“, fragte Professor Hollando. „Irgendwelche Einwände?“
Carolin schüttelte unmerklich den Kopf.
„Heute ganz ohne Kommentar?“ Hollando blickte belustigt in die Runde. „Ein Datum, das wir uns womöglich notieren sollten.“
„Ihre Charakterisierung religiösen Glaubens als irrationale Gefühlsgewissheit dürfte bei strenggläubigen Dominikanern aber zu Irritationen führen“, sagte Carolin.
„Dominikaner zu sein bedeutet, dass man über unerschütterlichen Glauben verfügt?“
„Oder Zweifel für sich behält.“
„Auch eine Antwort, Carolin … meine Gewissheit begann in dem Augenblick zu schwinden, als ich entdeckte, dass ich ein Sünder wie alle anderen bin. Und dass nirgends ein Schalter für Indeterminismus zu finden ist. Wie steuert man seine Motivationen? Wie befreit man sich von den Verlockungen des Lebens?“
„Hatten Sie denn nicht kürzlich noch die Meinung vertreten, man solle aus praktischen Gründen alle Vorbehalte der neueren Hirnforschung gegen menschliche Willensfreiheit ad acta legen?“
„In der Tat hilft uns der Glaube manchmal weiter. Aber sind wir deshalb schon frei? Schauen wir uns doch nur mal genauer die Realitäten an“, fuhr Hollando fort. „Als Kettenraucher fällt es uns unendlich schwer, mit dem Rauchen aufzuhören. Und die Lust des Kinderschänders ist so stark, dass er selbst um den Preis, bestraft und gesellschaftlich geächtet zu werden, nicht von ihr lassen will.“
„Wäre denn dann nicht gerade Ihre Entdeckung des genetischen Schalters, der negative Gefühle abschaltet, ein wahrer Segen für die Menschheit?“
„Aber so bleibt immer noch die Abhängigkeit von der Lust? Als ich das entdeckte, war es der Beginn einer langen Suche nach Möglichkeiten, auch jene Gefühle abzuschalten, die so viel Leiden schaffen.“
Professor Hollando ging in den Kreis innerhalb der Tische und fuhr fort:
„Ich verrate Ihnen ein Geheimnis … meine eigentliche Suche war anfangs ein Gen-Schalter, der Sucht durch überstarke Lust abschaltet. Ich gelangte also eher zufällig zur Entdeckung des Aversio-Genetic-Toggle-Switchs.“
„Aber die Abschaltung von Suchtgefühlen blieb später auf der Strecke?“, erkundigte sich Carolin.
„Ein solcher Schalter wurde im Gehirn bisher nicht gefunden. Vielleicht befindet sich ja hier im Arbeitskreis ein künftiger Nobelpreisträger, der uns auch von dieser Geißel der Menschheit befreit? Sigmund, was halten Sie davon?“
Reck nickte hüstelnd und griff nach seinem Pferdeschwanz. Es wirkte nicht so, als wenn ihm die Herausforderung eine Nummer zu groß erschien.
„Es wäre ein wichtiger Fortschritt“, sagte Hollando.
„Ich arbeite daran …“
„Dabei denken Sie an alle Arten von positiven Gefühlen, die uns schaden, Professor Hollando?“, erkundigte sich Carolin. „Nicht nur sexuelle Perversion, sondern auch Habgier, Mordlust, Niedertracht, Lust am Bösen?“
„Genau das – und nicht weniger. Ich bewundere immer wieder Ihre Fähigkeit, Probleme auf den Punkt zu bringen, Fräulein Meyers.“
„Danke, immer aufgeschlossen für Komplimente. Besonders, wenn sie berechtigt sind …“
Gelächter in der Runde.
Ich hätte dir die Flasche Grappa doch lieber an den Kopf werfen sollen, dachte Carolin.
„Aber nun zum eigentlichen Thema unseres heutigen Arbeitskreises“, sagte Hollando. Er erhob sich und schaltete den Projektor ein.
Auf der Videoleinwand erschien ein Käfig, in dem ein Rhesusäffchen stand, die Arme ausgebreitet, den Körper fixiert.
Das Metallgerippe glänzte blauviolett wie Stahl, der geschweißt oder zusätzlich bearbeitet worden war, wohl, um ihm mehr Stabilität zu verleihen. Der Käfig konnte beliebig angeschrägt und in die Senkrechte oder Waagerechte gebracht werden. Das Tier steckte in einem Gewirr aus Infusionsschläuchen, Kathetern und Kabeln, die mit Apparaten verbunden waren. Aus dem beweglichen Arm über ihm ragte eine Bohrvorrichtung zum Auffräsen