Luca - Zwischen Nichts und Allem. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Luca - Zwischen Nichts und Allem - Billy Remie страница 3
Er beugte sich zu mir hinab, der Geruch von Kaffee und altem Leder schlug mir entgegen. »Dann hängen Sie gefälligst nicht so schlaff wie ein nasser Sack auf ihrem Platz! Und heucheln sie wenigstens Interesse, Mr. Vogt!«
Ich richtete mich sofort gerade auf und rückte mit dem Stuhl an die Tischkante heran. »Ja, Mr. Olsson«, murmelte ich kleinlaut, mein Lächeln war verflogen.
Er ging weiter, einige meiner Klassenkameraden kicherten über mich, aber er wusste dies mit einem einzigen, stummen Blick zu unterbinden.
Herrgott, er ist so streng … Ich fand seine herrische Ader unglaublich anziehend. Und obwohl ich mich etwas gedemütigt fühlte, geilte mich seine ganze Art mal wieder derart auf, dass ich auf meinem Stuhl herumrutschte, um Platz in meiner Hose zu schaffen.
Kaffee und Leder. Ich schloss für einen flüchtigen Augenblick genüsslich die Augen. Er roch nach Kaffee und Leder. In jenem Moment war es mir noch nicht bewusst, aber ich würde diesen Geruch niemals wieder vergessen.
Nachdem er mir so nahe gekommen war, konnte ich seinem Unterricht nur noch körperlich beiwohnen. Meine Gedanken waren weit fort, gemeinsam mit ihm. Oder nein, eigentlich waren wir immer noch im selben Raum, allerdings allein, und statt der ganzen Klasse etwas über die Nazi-Zeit zu erzählen, erzählte er mir, dass er meinen Leib ebenso begehrte, wie ich den seinen.
Ich seufzte gelegentlich leise, aber nur, wenn ich sicher war, dass er mich gerade nicht beachtete. Seltsamerweise kam es mir an jenem Tag zum ersten Mal so vor, als sähe er immer wieder in meine Richtung. Nicht streng, sondern grübelnd. Als hätte ich etwas gesagt oder getan, das ihn sehr zum Nachdenken brachte.
Und tatsächlich sprach er mich in jener Stunde häufiger als üblich an, als hätte er durchgehend ein waches Auge auf meine Haltung. »Gerade sitzen, Mr. Vogt!«, ermahnte er mich eins ums andere Mal. Ich bildete mir ein, ein amüsiertes Aufblitzen in seinem Gesicht zu erkennen, wenn ich daraufhin ertappt zusammen zuckte und mich gehorsam aufrichtete.
»Halten Sie den Kopf oben«, trug er mir auf, wenn ich mein Kinn auf meine Hand stützte, ganz beiläufig, während er unterrichtete, sodass kaum jemand Notiz davon nahm, wie sehr er sich an mir festgebissen hatte.
»Nicht Träumen«, warf er gelegentlich in meine Richtung, und ich blinzelte mich aus Tagträumen, in denen er die Hauptrolle spielte, zurück in die Gegenwart.
Ich hatte mich noch nie aggressiv gegen Regeln aufgelehnt, zumindest nicht gegenüber Lehrern, aber ich war doch noch nie derart bestrebt gewesen, zu tun, was sie von mir verlangten. Bei ihm war es anders. Einerseits wollte ich ihm imponieren, er sollte mich sehen, mich bemerken, er sollte erkennen, dass ich nicht so dumm war wie ich mich oftmals gab. Aber andererseits wollte ich Dinge tun, die ihm missfielen, damit er mich wieder zurechtweisen konnte, denn auch dadurch erlangte ich seine Aufmerksamkeit.
Als die Stunde zu Ende ging, fühlte ich mich emotional ausgepowert und auf eine wohlige Weise erschöpft, wie nach einem Onanier-Marathon an einem heißen Samstagnachmittag, wenn mir langweilig gewesen war. Dieses Spiel zwischen ihm und mir hatte etwas von einer Tischtennis-Partie, bei jener eindeutig er gewonnen hatte, denn ich war müde geworden, und er hatte mich ausgestochen.
In diesem Fall verlor ich jedoch gern, denn als ich nach der Stunde an seinem Pult vorbei ging, glaubte ich, ihn lächeln zu sehen, als er mir verstohlen nachblickte.
»Mr. Olsson?« Es brach aus mir heraus, bevor ich mich bewusst entschieden hatte, mich noch einmal zu ihm umzudrehen.
»Ja?« Er blickte von seinen Unterlagen auf, das Klassenbuch lag aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch. Er hielt einen Kugelschreiber bereit.
Wird er meine Träumerei etwa aufschreiben?
So pingelig kann doch nicht einmal er sein, glaubte ich.
Ich würde es wohl nie erfahren.
Ich warf einen flüchtigen Blick über die Schulter. Die Klasse leerte sich einem beständigen Strom gleich, wie ein reißender Fluss. Eine Kolonie Ameisen, die den Bau verließ, wenn er in Brand steckte. Keiner nahm Notiz davon, dass ich stehen blieb. Ich war nur ein Schüler, und er war nur ein Lehrer. Es war nicht ungewöhnlich, noch zu bleiben, und doch fühlte ich mich, als täte ich etwas Verbotenes.
»Ich wollte nur …«, begann ich und sah ihn wieder an. Aber er bedachte mich mit einem seiner berühmten Blicke, die sich in mich zu bohren und zu strafen schienen, für etwas, das ich mir nicht erklären konnte. Es sei denn, es galt bereits als verwerflich, dass ich es wagte, ihn auch nur anzusprechen.
»Ich finde Ihren Unterricht nicht langweilig«, versuchte ich, mein Verhalten zu erklären, denn ich wollte auf keinen Fall, dass er sich dadurch gekränkt fühlte.
Er zog eine Augenbraue nach oben, als wäre es ihm gleich. Mir doch egal, schien er sagen zu wollen. »In Ordnung«, tat er die Sache ab und senkte wieder den Kopf über dem Klassenbuch.
»Ich meine«, hielt ich ihn auf und machte einen Schritt auf ihn zu, damit er mich nicht einfach so abspeisen konnte, »ich finde jeden Unterricht langweilig. Aber das liegt nicht an Ihnen, ich wollte nicht …«
»Sagst du das zu jedem Lehrer?« Er blickte nicht auf, als sei es ihm egal, ob wir dieses Gespräch weiter führten.
Ich schüttelte irritiert den Kopf. »Ähm … Nein!?«
»Ähm«, wiederholte er mich, dieses Mal glaubte ich, ein wenig Belustigung aus seiner Stimme heraus zu hören. Er schielte zu mir auf, ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen.
Ich grinste und zuckte mit den Schultern. »Ich meine: Nein.«
Das schien ihn zufriedenzustellen. Er seufzte, legte den Kugelschreiber in die Falte zwischen den Seiten des Klassenbuchs und lehnte sich zurück. Die Art und Weise wie er den Fuß über das Knie legte und die Hände über seinem Bauch faltete, wirkte derart lässig und selbstsicher, dass ich ihn noch anziehender fand.
Ebenso signalisierte mir seine gesamte Körpersprache: Ich höre dir zu.
Von jetzt auf gleich, als hätte ich die Zauberformel entschlüsselt, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Als hätte ich eine Prüfung bestanden, die mich in den Rang der zu beachtenden Personen erhob. Dies war so völlig neu für mich, dass ich stockte. Denn ich war es absolut nicht gewohnt, dass Erwachsene mir derart ihre Aufmerksamkeit schenkten. Die meiste Zeit fühlte ich mich in der Welt ziemlich unsichtbar. Ich war weder Kind genug, um beachtet zu werden, noch gehörte ich bereits zu den Erwachsenen, um von jenen ernst genommen zu werden. Und dieses einsame Gefühle wurde mir in dem Moment bewusst, als er mich aufmerksam betrachtete und mich ansah, als wäre ich wie er. Ein Mann.
Ich bin mir nicht sicher, ob er mir meine Gefühle anhand meiner Angespanntheit ansehen konnte, jedenfalls erleichterte er mir dieses Gespräch, indem er anfing: »Deine Noten sind nicht gerade gut.«
Das war noch nett ausgedrückt. Sie waren unter aller Sau.
»Ich kann mich nicht so gut konzentrieren.« Ich senkte verlegen den Blick. Er hält mich für dumm, dachte ich ernüchtert.
»Du hast nie deine Hausaufgaben und träumst im Unterricht«, es klang nach einem strengen Tadel. Nach einem ernsten Tadel, nicht nach den lauten Schimpftriaden meiner Mutter