Luca - Zwischen Nichts und Allem. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Luca - Zwischen Nichts und Allem - Billy Remie страница 7
»Fertig?«, fragte Mr. Olsson, als ich ihn an der Tür zur Halle einige Minuten später antraf. Er hatte mich im Flur gesehen und seinen Plausch mit Miss Martin unterbrochen. Das schien ihm nicht gefallen zu haben. Mir dafür umso mehr.
Er sollte nicht dieser Trine, sondern mir seine Aufmerksamkeit schenken.
»Fertig, ja.« Vor allem mit meinen Nerven. Ich reichte ihm das Blatt, das ich bereits den ganzen Tag mit mir herumschleppte. Es stand das Datum von gestern darauf. Eigentlich hatte ich es durchstreichen wollen, habe es aus Trotz dann doch gelassen. Es interessierte mich, ob er Gedanken dazu hatte. Ich wollte es einerseits provozieren, ihm Gelegenheit geben, über mein irrsinniges Verhalten zu grübeln, mir aber einen Ausweg offenlassen.
Vielleicht dachte er sich nichts dabei, vielleicht ja doch. Er könnte richtige Schlüsse ziehen, wäre er sehr aufmerksam. Dann kann ich immer noch behaupten, ich hätte mich vertan.
Er bemerkte es nicht, und meine Gedanken waren völlig sinnlos gewesen. Es enttäuschte mich, dass er es nicht sah, dass er nicht begriff, dass ich die Hausaufgaben aus Scham vor ihm versteckte. Weil ich etwas Intimes damit verband. Beinahe als würde ich seine Unterwäsche anziehen.
Ob er wusste, dass ich hart wurde, wenn ich mich an die Geschichtshausaufgaben setzte, nur weil ich brav das tat, was er von mir verlangte?
Ich wollte, dass er mich danach fragte.
Und obwohl ich nie den Mut hätte, ihm eine ehrliche Antwort darauf zu geben, wollte ich dennoch kurz diese gewisse Spannung zwischen uns spüren. Ich wollte es knistern fühlen.
Aber von seiner Seite aus schien sich kein Sturm auftun zu wollen, nicht einmal ein warmes Lüftchen. Es schien, als würde ich der wilden und freien Natur ausgeliefert sein, während er mich durch einen sterilen Kasten heraus beobachtete.
Ich war der peitschende Wind, und er der Fels, dem ich nichts anhaben konnte.
»Ist das alles?«, fragt er mich herablassend.
Ich war sprachlos. Immerhin hatte ich eine ganze halbe Seite zu Stande gebracht. Ich war wirklich stolz darauf. Selbst auf die geistreiche Einleitung: Hitler war ein krankes Arschloch.
»Wieso?«, fragte ich entsetzt, es machte mich traurig, dass ich es versucht hatte und gescheitert war. »Was ist falsch daran?«
»Es ist etwas kurz«, gab er zu bedenken, »und es steckt kein Leben darin.«
»Ja, das ist nun mal Geschichte«, belehrte ich ihn. Ich musste mich immerhin verteidigen.
Er nickte zustimmend, versuchte mir aber sachlich zu erklären: »Aber erweck die Geschichte zum Leben, Luca! Wie kam es zu alledem? Warum tat er, was er tat? Wer war der Mann, wie kam es zu seinen Gräueltaten, wann und aus welchem Grund geschah dies und das. Und vergiss dabei nicht, dass Geschichte nicht verurteilend ist. Die Geschichte ist unparteiisch, sie erzählt uns nur die Ereignisse. Nur die Tatsachen. Ich will nicht deine Meinung darüber hören, Luca, ich will wissen, was von dem, was ich dir beibrachte, du noch weißt.«
Da war es wieder, das Gefühl, dass sich jemand für mich Zeit nahm. Er hätte mir auch einfach sagen können, ich sollte mich mehr anstrengen, doch das tat er nicht. Er nahm sich eine Minute, um mich zu beachten. Mir zu erklären, was er denn eigentlich von mir erwartete.
»Geschichte bedeutet, Fakten zusammen zu tragen, ganz genau! Das habe ich doch auch getan! Was Sie jetzt aber von mir verlangen, gehört wohl doch ehe zum Bereich Deutsch und Psychologie. Aber rein geschichtlich habe ich meine Aufgabe doch erfüllt. Sehen Sie, es stehen alle wichtigen Daten da! Wenn es Ihnen so wichtig ist, streiche ich gerne die persönliche Meinung, aber dann wird die Seite auch nicht voller.«
Ich war ein unverbesserlicher Klugscheißer.
»Ich erwartete einen Aufsatz, keine Stichpunktliste.« Aber ich hatte ihn zum Schmunzeln gebracht, und ich schmunzelte zurück. Während jenem stillen, lachenden Blick waren wir auf einer Wellenlänge. Und ich freute mich bis tief in meinen Bauch, der unter seinem Lächeln warm glühte, als hätte ich einen Schluck Alkohol genommen.
Schließlich sah er sich das Blatt noch einmal an und seufzte schwer. »Gut, ich lass es durchgehen.«
»Echt jetzt?« Ich war überrascht.
Er schmunzelte wieder. »Echt jetzt«, äffte er mich nach, und ich grinste breit.
»Dann mach jetzt die anderen.«
Mein Lächeln verschwand. »Wie?«
»Die Hausaufgaben für die anderen Fächer«, erklärte er mir. »Deutsch. Mathe. Los, setz dich dran. Und mach auch die, die du für Morgen brauchst.«
»Die kann ich doch zu Hause machen!«, warf ich ein. »Sport ist übrigens auch wichtig!«
Er musterte mich plötzlich. Was sollte dieser grübelnde Blick bedeuten? War ich ihm nicht sportlich genug? Nicht muskulös genug?
»Ich mache gerne Sport!«, protestierte ich und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Mein herausfordernder Blick sprühte Blitze zu ihm rauf.
Mr. Olsson lächelte nachsichtig. »Gewiss. Aber das Vergnügen kommt nach der Arbeit.«
So einer ist er also. Das ist ja langweilig … und enttäuschend.
»Außerdem wissen wir beide, dass du zu Hause gar nichts machen wirst. Jetzt setz dich ran, dann kannst du die zweite Stunde vielleicht noch mitmachen.«
Er wurde abgelenkt, weil sich zwei meiner Mitschüler wegen eines angeblichen Fouls rauften. Ich sah ihm böse nach, gehorchte aber und ging wieder zurück an meinem Platz.
Ich wollte mich natürlich beeilen, doch bereits bei Deutsch verzweifelte ich. Wir sollten eine Personenbeschreibung formulieren. Doch es frustrierte mich zunehmend, dass ich die Schreibweise der Wörter, die ich in meinem Kopf hatte, nicht kannte, dass ich es sein ließ. Meine alte Deutsch-Lehrerin in der Grundschule sagte immer, ich hätte eine Rechtschreibschwäche. Keine Ahnung, was das ist, und ob sie recht hatte. Meine Mutter hatte dazu immer nur gesagt: »Ach so ein Quatsch, der Junge ist einfach nur faul.«
Faul. Das war ich immer. Wenn mich jemand beschrieb, war ich immer nur der Faule. Insgeheim gefiel mir es nicht.
Ich seufzte und setzte mich an Mathe. Da ich nicht aufgepasst hatte, kamen mir die Formeln vor, als würde ich versuchen, ägyptische Grabinschriften zu entziffern. Warum sind da so viele Buchstaben? Das ist doch Mathe, kein Deutsch!
Verdammt. Ich schmiss den Bleistift hin und schlug die Stirn auf die Tischkante. »Ich bin so dumm«, klagte ich leise. Ich musste schniefen, weil mir meine geringe Intelligenz Tränen in die Augen trieb. Frusttränen. Schamtränen.
»Klappt es nicht?«
Mir gefror das Blut in den Adern zu Eis, als ich seine Stimme hörte. Schnell rieb ich meine Augen trocken und hob den Kopf.
»Ich hab mich nur kurz ausgeruht«, gab ich zurück. Ich wollte mir keine Blöße geben, weder vor ihm noch vor sonst jemanden, nicht einmal vor mir. Ich wollte meine Gefühle unter einer