Rock wie Hose. Holger Hähle

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Rock wie Hose - Holger Hähle

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auch, dass sie berechtigt ist. Trotzdem kann ich mich nicht überwinden, die Perücke zu verwenden. Als Kompromiss biete ich dezenten Lippenstift an. Letztlich setze ich mich durch. Man merkt halt, dass ich nicht anders kann. Ich bin eben ein Mann mit langer Verhaltensprägung als solcher. Einen größeren Kontrast zum Gewohnten halte ich nicht aus.

      02 Aufschub für ein Versprechen

      Die Show könnte heute beginnen. Trotzdem mache ich im Unterricht nur die Ankündigung, dass es nächste Woche ernst wird. Ich erzähle von der Unterstützung durch die Studenten, ohne deren Hilfe die Aktion vielleicht nicht zustande gekommen wäre. Ich erwähne die Schwierigkeiten, Kleidung in der passenden Größe zu finden und das nicht nur meine Taille daran schuld ist.

      „Nicht der Rock war das größte Problem“, erkläre ich, „sondern die Bluse.“

      Gelächter macht sich breit. Ich schaue in zufriedene Gesichter und weiß, es gibt kein Zurück mehr. Noch eine Warteschleife geht nicht.

      Ich brauche den Aufschub, um noch etwas Überzeugungsarbeit gegen meine Bauchgefühle zu leisten. Mein Magen rebelliert wieder. Es scheint immer schlimmer zu werden, je näher der Termin rückt. Auch Enya und ihr Hochschulteam können mit ihrer Unterstützung nicht verhindern, dass ich ein Gefühl habe, als würde ich ein Verbrechen begehen. Ein schlechtes Gewissen habe ich – und das schon vor der Tat. Meine Intuitionen sprechen mit mir. Sie flüstern in mein Ohr: „Lass das bloß sein. Tu das nicht. Du bist verrückt, frag doch mal die Nonnen. Du wirst dich lächerlich machen.“

      Gegen den Imperativ der Einflüsterungen wehre ich mich, in dem ich meine Ratio zuschalte. Die beruhigt: „Was soll die Panikmache. Halte mal den Ball flach. Worum geht es hier eigentlich? Die Nonnen sind doch nicht Jesuiten der Heiligen Inquisition. Nicht im 21. Jahrhundert. Das ist doch alles nur ein Spaß, den du versprochen hast. Du willst doch bei deinen Schülern beliebt sein. Also drücke dich nicht. Steh zu deinem Wort.“

      Alle Streitgespräche gewinnt mein Verstand. Das ändert aber überhaupt nicht meine Gefühlslage. Ich bin beeindruckt. So einen Fall habe ich noch nicht erlebt. Ich bin drauf und dran mich wider die Vernunft zu entscheiden, obwohl meine Gefühle in diesem Streit die klaren Verlierer sind. Sie sind weiterhin so allgemein und diffus. Sie leisten keinen qualitativen Beitrag zur Lösung und stehen doch kurz vor einem Sieg, wenn ich nicht aktiv dagegen steuer.

      Die Macht des Körpers ist gewaltig. Ich hätte nicht gedacht, dass unser evolutionäres Erbe, meine kulturelle Prägung und auch die Erziehung einen so massiven Einfluss auf den freien Willen haben können. Bislang habe ich immer an die freie Koexistenz von Kopf und Bauch geglaubt. Da kann man philosophisch werden und fragen: Wie frei sind wir wirklich, wenn Instinkte ein Veto-Recht gegen die Vernunft haben?

      Kurz darauf treffe ich Juliane vor der Bibliothek. Sie war vor Jahren meine Schülerin in einer Abschlussklasse des College. Jetzt studiert sie an der Fachuni. Ich grüße sie nicht einfach nur im Vorbeigehen, denn ich will ihr von meinem Karnevalsprojekt erzählen. Dafür gibt es einen Grund. Als ich damals in ihrer Klasse den Karnevalsvortrag zum ersten Mal hielt, war sie es, die die Idee mit der Schuluniform für den Lehrer hatte. Diesen kleinen Schock habe ich noch nicht vergessen. Damals gab es für ihre Idee gleich Zustimmung von allen Seiten. Ich war natürlich auf einen solchen Vorschlag nicht vorbereitet. Es fiel mir schwer, mich aus der Affäre zu ziehen. Meine Bauchgefühle reagierten danach erleichtert. Meine Ratio hatte aber schon damals eine klar andere Meinung. Die ließ sich in einem Wort zusammenfassen: Feigling.

      Heute sage ich ihr: „Diesmal tu ich es.“

      Und Juliane findet das toll.

      „Können wir auch vorbeikommen?", fragt sie sofort.

      „Wen meinen Sie mit wir?“

      „Na ja, die anderen, die auch aus meiner Klasse an die Fachhochschule gewechselt sind.“

      „Sind Sie sicher, die interessiert das?“

      „Klar, das interessiert doch jeden. Und Sie ziehen die komplette Uniform an? Nicht einfach nur den Rock über die Hose?“

      „Natürlich, wenn ich schon zusage, dann richtig. Halbe Sachen lohnen die Aufregung nicht.“ Ein wenig enttäuscht ist Juliane aber, weil ich keine weiteren Zuschauer möchte. Ich erkläre ihr, dass ich keine allzu große Welle machen will. Wir müssen damit rechnen, dass es Lehrer gibt, die meine Aktion nicht billigen. Bei so viel Anteilnahme fällt es mir schwer, sie und ihre Kommilitoninnen von dem Ereignis auszuschließen. Ich verspreche aber, wenn ihr oder mir ein alternativer Rahmen einfällt, dann werde ich mich noch mal extra für sie und ihre Kommilitonen verkleiden.

      Dieses Treffen tat richtig gut. Julianes Begeisterung beflügelt meinen Geist und lässt mich meine Bauchgefühle vorübergehend vergessen. Auch wenn mich das Wechselbad von Bauch und Kopf zum Für und Wider der Verkleidungsaktion noch mehrere Tage und ein Wochenende hindurch begleiten wird, eines ist jetzt aber klar. Das Kräfteverhältnis hat sich verschoben. Die Vernunft wird die Oberhand behalten.

      Ich nutze den wachsenden Stimmungswechsel in mir und entscheide Sven zu engagieren, während des Unterrichts in Uniform Fotos zu machen. Sven studiert Deutsch an der Universität von Wenzao. Er läuft ständig mit einer großen Kamera herum und fotografiert alles Mögliche. Bei Facebook hat er einige hundert Bilder gepostet mit Stillleben vom Campus und Close-ups von Schülerinnen und Studentinnen.

      Er sagt zu. Wir vereinbaren, dass er erst zehn Minuten vor dem Unterrichtsende kommen wird, um den normalen Ablauf der Stunde nur wenig zu stören. Er wird ohne Gruß eintreten und einfach los fotografieren. Ja, so machen wir das, denke ich und freue mich, dass das Ereignis gebührend dokumentiert wird.

      Für eine letzte begleitende Aktion nehme ich mir den Rest der Woche vor. Ich werde eine kleine Power-Point-Präsentation vorbereiten. Damit will ich meinen Unterricht beginnen, bevor ich zum grammatischen Teil komme. Meine Absicht ist aufzuklären und mein Verhalten zu rechtfertigen. So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich schließe eine Wissenslücke und beruhige mein immer noch rumorendes Gewissen, in dem immer noch meine Bauchgefühle ein gewichtiges Wort haben.

      Immerhin muss auch meine Ratio eingestehen, dass wir aktuell in einer Zeit leben, in der ganz überwiegend nur noch Frauen Röcke tragen. Da kann ich schon verstehen, dass einigen Leuten, die einen Mann im Rock sehen, nur ein einziges Motiv einfällt. Für sie kann es sich nur um jemanden handeln, der eine Frau sein will. Es besteht also akuter Handlungsbedarf.

      Der Vortrag soll eine Einführung in die Modegeschichte sein. Im Mittelpunkt stehen Rock und Hose im Kontext ihrer sozio-kulturellen Bedeutung. Es soll deutlich werden, dass der Rock eine lange Tradition als universelles Kleidungsstück hat für Frauen und Männer.

      03 Der Tag X ist da

      Es ist soweit. Heute geht es los. Die Tasche mit den Klamotten habe ich bereits gestern Abend gepackt. Den Rock habe ich vorsichtig gefaltet und locker oben drauf gelegt. Ich habe natürlich keine Ahnung, wie empfindlich die Falten sind und ob sie leicht verknittern. Gehört habe ich jedenfalls, dass das Bügeln der schmalen, ungefähr fünfzig Falten immer wieder notwendig und jedes Mal umständlich ist, weil die Falten nicht abgenäht sind.

      Geschlafen habe ich gut. Als ich realisiere, welcher Tag ist, stellt sich wieder diese merkwürdige Gemengelage ein aus Bedenken und Zuversicht aus Bauch und Kopf. Auch wenn meinem Vorhaben nichts mehr im Wege steht, ein - wenn auch reduziertes - schlechtes Gewissen habe ich trotzdem. Auch weiterhin muss ich mir aktiv versichern, dass

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