Rock wie Hose. Holger Hähle

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Rock wie Hose - Holger Hähle

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an der Bushaltestelle die ersten Schülerinnen von Wenzao. Ich grinse, als ich mich frage, ob die sich wohl vorstellen können, dass ich heute die gleiche Uniform tragen werde? Die Jungs fallen weniger auf. Ihre Hosen haben kein auffälliges Tartanmuster. Auch Schüler anderer Schulen nutzen den Bus. An Hand der Schulröcke sind sie gut zu unterscheiden. Es werden überwiegend Faltenröcke getragen. Etwa siebzig Prozent der Schulröcke haben ein schottisches Karomuster.

      Als ich den Campus betrete, ist es noch früh. Die jüngeren Jahrgänge sind mit dem Ordnungsdienst beschäftigt. Sie fegen die Wege oder lesen Unrat auf. Zügig gehe ich zum Gebäude E. Mein Unterricht wird dort in einem der Computerräume stattfinden.

      Der Vorteil der Computerräume ist, dass sie eine kostenlose Klimaanlage haben. Man muss nicht wie in den anderen Klassenräumen eine Geldkarte einstecken. Der Nachteil ist, dass die Klimaanlage lange braucht, bis der sehr große Raum spürbar heruntergekühlt ist. Der Nachteil wiegt schwer, weil wir wie heute, einen sehr warmen Frühjahrstag haben. Das Thermostat zeigt für den Raum 31 Grad an. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Normalerweise starte ich einfach das Klima und gehe für einige Minuten nach draußen, wo meist ein leichter Wind oder der Zug im Treppenhaus die tropischen Temperaturen etwas erträglicher machen.

      Das geht heute nicht. Ich will mein Tafelbild schon vorzeichnen und muss noch einige Sachen für den Vortrag von einem speziellen Server herunterladen. Das ist deswegen nicht einfach für mich, weil die Benutzeroberfläche auf Chinesisch ist.

      Zuerst aber will ich mich umziehen, bevor ich noch stärker zu schwitzen beginne. Ohne Zögern fange ich an. Jetzt noch hadern, das geht nicht. Innerlich schalte ich auf Vollzug um. Das entzieht dem Widerstand der Bauchgefühle gegen die Verkleidungsaktion die letzte Kraft. Beim verschärften Vollzugsmodus wird durch die strenge Fokussierung das Bauchgefühl ausgeblendet. Das ist für mich ein eingeübtes Verfahren, das ich schon als Student anwandte, um mich durchzuringen, trotz Semesterferien mit der Vorbereitung auf Klausuren zu beginnen.

      Als Kind habe ich mich so im Schwimmbad ausgetrickst, um vom Sprungturm auch wirklich zu springen, wenn ich unsicher war und mich Angst zu blockieren drohte. Ich hatte mich doch schon entschieden zu springen. Also sollte es passieren. Erst habe ich mein Vorhaben lautstark angekündigt; und dann bin ich losmarschiert ohne anzuhalten, bis ich über den Rand des Sprungbretts trat. Ich glaube, schon damals funktionierte diese Strategie, weil ich mit meiner Ratio, die den Vorgang schon tausendmal durchgespielt hatte, im Reinen war. Damals wie heute kommt das Problem aus dem Bauch, der sich auch nach eingehender Prüfung durch den Verstand weiterhin uneinsichtig zeigt.

      Eigentlich schwitze ich bereits, was ich daran merke, dass ich das Poloshirt nicht einfach über den Kopf ziehen kann. Damit ich die Hose besser von den Beinen pellen kann, setzte ich mich hin. Danach habe ich das erste Aha-Erlebnis.

      Der Rock lässt sich so bequem anziehen. Eigentlich ganz klar. Röcke fallen als Beinkleid gegenüber Hosen dadurch auf, das sie viel mehr Weite haben als Hosenbeine. Das fühlt sich angenehmer an, als ich erwartet habe.

      Die Bluse hatte ich vorher nur mal so übergezogen, ohne sie zuzuknöpfen. Jetzt stelle ich fest, ich kriege die Knöpfe nicht so leicht zu. Den Grund habe ich schnell ausgemacht. Die Knopfleiste und Knopflöcher sind umgekehrt. So herum habe ich noch nie geknöpft. Schon interessant, mit welchen Details, dazu gehört auch der runde Kragen - gegenüber dem spitzen Kragen der Jungenhemden versucht wird, aus einem normalen Oberhemd eine weibliche Bluse zu machen. Nachdem ich die Schleife am Kragenknopf befestigt habe und meine Sandalen gegen schwarze Ballerinas getauscht habe, beginne ich mein Tafelbild vorzuzeichnen. Das Thermostat der Klimaanlage gibt die Raumtemperatur mittlerweile mit nur noch 29 Grad an.

      Obwohl ich spüre, wie Schweiß auf der Stirn aus den Poren perlt, fühle ich mich angenehmer als sonst. Die Gründe sind eindeutig. Es liegt an der Lüftung von unten und an der Rockbewegung beim Gehen. Dass die Temperatur über meinen Beinen unterm Rock wirklich niedriger ist als mit Hose, kann ich mir gut vorstellen. Die Luftbewegung ist durch den wogenden Stoff sicher höher. Der Tragekomfort ist gerade beim Gehen absolut überzeugend, denn durch die Dehnbarkeit der Falten ist die Bewegungsfreiheit maximal. Selbst ein Spagat wäre so möglich.

      Ich frage mich spontan, warum mit der Erfindung der Hose die Männer das Rocktragen aufgegeben haben? Als sich die Frauen das Recht erstritten haben, Hosen zu tragen, haben die das Rocktragen doch auch nicht aufgegeben. Für einen Erklärungsversuch und weitere Eindrücke habe ich aber keine Ruhe. Die Zeit schreitet voran und ich muss noch einige Einstellungen mit der chinesischen PC-Oberfläche vornehmen. Augenblicke später bin ich bereits so sehr mit dem Computer beschäftigt, dass ich vergesse, dass ich heute etwas anders angezogen bin.

      Erst als sich die Tür öffnet und mir ein „Tsao an lao shi“ (Guten Morgen, Herr Lehrer) zugerufen wird, erschrecke ich. Ich sehe vom Schreibtisch auf. Dann ergießt sich die Karawane der Schüler, die nach dem Ordnungsdienst in ihrem Klassenzimmer bis zum Klingelzeichen gewartet haben. Jetzt kommen sie in fast geschlossener Reihe durch die Tür. Einige raunen den Nachfolgenden etwas zu. Allgemeine Heiterkeit macht sich breit. Ich bin mir sicher, die Kommentare betreffen mich. In den Gesichtern lese ich Ausdrücke wie: ‚Er hat es tatsächlich getan.‘ Man setzt sich zügig hin wie immer, lächelt mich freundlich an oder schwätzt mit den Nachbarn. Ich spüre eine deutlich gehobene Stimmung. Man ist erwartungsvoll und wartet gespannt auf den Startschuss.

      Erst jetzt stehe ich auf und trete hinter meinem Computer hervor. Dann unruhige Stille. Noch nie habe ich gleichzeitig so viele Blicke an mir kleben gefühlt. Ich warte einen Moment, bis jeder mich gründlich von Kopf bis Fuß angeschaut hat, blicke in die Runde und grüße: „Guten Morgen.“

      „Guten Morgen“, schallt es wie ein Echo zurück. Dann wieder Tuscheln und Roswita bemerkt: „Sie sehen heute besonders gut aus.“

      Ihre Nachbarn am Tischecarré nicken zustimmend. Ich lächel dankbar und schaue zu einem Jungentisch. Skeptisch frage ich Julio: „Wirklich? Hat sie recht?“

      Mit ernster Miene kommt die Antwort: „Na klar, warum ziehen Sie das nicht öfter an?“ Auch Julios Nachbar am Tisch nickt zustimmend.

      „Danke, ich werde mir das mal für die Zukunft überlegen“, erwidere ich und wende mich an den zustimmenden Nachbarn: „Na, wenn mir das gut steht, dann muss das den Schülern ja erst recht stehen? Das ist schließlich eine Uniform für Schüler und nicht für Lehrer, oder?“

      Etwas außer Fassung erklärt Brian auf Englisch: „Why not, it is a good choice for everybody.”

      „What an open minded attitude“, lobe ich ihn. Und Julio ergänzt seriös: „We belong to a new and different generation.”

      “Seems to be a promising generation”, beschließe ich den Dialog, um zum Vortrag überzuleiten. Ich befürchte, die Zeit für die Grammatik der Vergangenheitsformen könnte sonst zu kurz kommen. Und vorher steht ja noch meine Power-Point-Präsentation an.

      Abb. 04a/b: Ich beim Fachunterricht in Schuluniform

      Die ist ein zehnminütiger Ausflug in die Kulturgeschichte der Bekleidung. Im Mittelpunkt stehen die Beinkleider Rock und Hose. Ich beginne mit dem Rock als dem älteren Beinkleid und zeige Bilder u.a. von schottischen Soldaten und japanischen Samurai.

      Abb. 05a/b: Soldat aus Griechenland, schottische Soldaten im Ersten Weltkrieg

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