Rock wie Hose. Holger Hähle

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Rock wie Hose - Holger Hähle

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werde ich aus dieser Normalität erst wieder, als der bestellte Fotograf hereinkommt. Automatisch fange ich an, für die Kamera zu posieren. Beim Gehen setze ich die Füße voreinander. Im Stehen winkele ich das rechte Knie etwas an. Die linke Hand stützt die Hüfte. Nach einigen Augenblicken wird mir mein übertrieben weiblicher Gang anstrengend. Er entspricht nicht meinen natürlichen Bewegungen. Etwas später versuche ich noch mal den Catwalk-Gang. Wenn ich schon in einer Kostümierung auftrete, dann gehört das dazu. Die Rolle ist interessant, ich kann die Erfahrung durchaus weiter empfehlen. Sie weicht aber zu sehr von meinem Bewegungsmuster ab, um daran Gefallen zu entwickeln. Es bleibt anstrengend und meinem Bewegungsapparat fremd. Ich spiele eben nur das Schulmädchen, mehr nicht. Es ist eine Erfahrung, die ich zu einem besonderen Anlass gerne wiederhole. Nur in meinem Alltag brauche ich das nicht. In meinen Alltag möchte ich aber durchaus den Rock mitnehmen.

      Seit heute weiß ich, es gibt in einem feuchtheißen, tropischen Klima keine bequemere Kleidung als einen weiten Rock. Mit dieser physischen Erfahrung im Bewusstsein kann ich überhaupt nicht mehr verstehen, warum Röcke zur Frauensache geworden sind. Ich finde, das sollte sich ändern.

      Wenn ich genauer überlege, sind selbst viele traditionelle Männerhosen heute Frauenhosen geworden. Mit einer Hose ist Mann heute nicht immer auf der anerkannt männlichen Seite. Das ist umso verwunderlicher, wenn man bedenkt, dass vor weniger als hundert Jahren Frauen nicht mal Hosen tragen durften. Damals waren alle Hosen für Männer da. Heute werden alle betont weiten Hosen ganz überwiegend nur noch von Frauen getragen.

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      Abb. 10: Knickerbocker und moderner Hosenrock

      Dazu gehören auch Pump- und Pluderhosen, wie ich sie im Urlaub auf dem Balkan und auf Kreta bei alten Männern gesehen habe. Die waren weit geschnitten. Nur an den Waden waren sie eng. Ihr Schritt hing auf Kniehöhe. Selbst die Sansculotte der französischen Arbeiter, die in der französischen Revolution zum Markenzeichen der Jakobiner wurde, wird heute unter dem Namen Culotte als kniebundfreie Damenhose oder Hosenrock ausschließlich für Frauen angeboten (siehe Abb. 10, kleines Bild). Die Knickerbocker meines Großvaters finde ich ebenfalls nicht mehr bei der Herrenmode. Das waren wadenlange Hosen, die so lang und weit geschnitten waren, dass der Stoff über die Bünde am Bein fiel. Heute werden diese und ähnliche Hosen nur noch in den Abteilungen für Damenmode angeboten.

      Das letzte Rückzugsgebiet für Weite und Schritttiefe, das Männern geblieben ist, befindet sich daheim mit Nachthemd, Schlafanzug und Morgenmantel. Den hitzefreundlichen Schlabber-Look gibt es für Männer nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mit etwas Kreativität ließe sich aus jeder Pyjamahose leicht eine coole Freizeithose entwickeln, die einen heißen Sommer angenehmer macht. Für Frauen gibt es das schon.

      Wie kommt das? Was ist passiert? Welche neuen Erkenntnisse haben dazu geführt, die Bekleidungsordnung für Frauen freier zu gestalten und gleichzeitig für Männer zu verschärfen? Wie wurden aus klassischen Männerhosen Hosenröcke für Frauen? Warum ist das so, wo doch für Männer weite Unterhosen, wie Boxershorts, unter weiten Hosen bequemer zu tragen sind? Unter einem hohen Schritt kann es ganz schön eng werden. Gerade als Mann spüre ich deutlich, ob ich unter Basketballhosen einen Slip oder Boxershorts trage. Der männlichen Anatomie kommt ein tiefer Schritt sehr entgegen. Die optimale Oberbekleidung für Boxershorts ist ganz bestimmt ein Rock. Da gibt es keinen Schritt, der im Weg sein könnte. Ich werde das ausprobieren.

      Das Ende der Schulstunde ist erreicht. Ich sage Dankeschön für die allgemeine Begeisterung und ich sage Dankeschön für die Gelegenheit zu dieser Erfahrung. Irritiert, weil niemand Fotos macht, füge ich noch hinzu: „Sie dürfen jetzt fotografieren.“ Erst jetzt wird nach den Smartphones gegriffen. Eine Traube von FotografenInnen baut sich vor mir auf. Es sieht ein wenig so aus wie auf einer Pressekonferenz. Erst werde ich fotografiert, dann kommen Selfies mit mir. Zum Schluss muss der bestellte Fotograf ein Klassenfoto machen. Der nächste Lehrer, der die Klasse übernimmt, lässt sich von der Stimmung anstecken. Auch er will Fotos von sich und den Schülern und mir. Bei so viel Freude kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die diesen Spaß nicht billigen.

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      Abb. 11: Ich löse mein Versprechen ein

      Aber Vorsicht, vergessen wir nicht, dass meine eigenen Bauchgefühle mit dieser Verkleidungsaktion nicht einverstanden waren und dass ich mich selbst erst überzeugen musste. Vier Dinge haben mich im Rahmen der Aktion und ihrer Vorbereitung nachhaltig beeindruckt:

      1 Die Bequemlichkeit von Röcken

      2 Die Macht sozialer Prägungen

      3 Die neugierige Offenheit der Schüler

      4 Mein Gewinn an Autorität trotz eines umstrittenen Themas durch Entschlossenheit, authentisches Auftreten und fachliche Ausgewogenheit.

      04 Die Zeit danach

      Für den nächsten Unterricht ziehe ich mich wieder um. Das erledige ich diesmal auf der nicht klimatisierten Herrentoilette. Hier wiederholt sich die einschneidende Erfahrung vom ersten Umziehen. Die Reihenfolge ist nur umgekehrt. Erst streife ich den Rock bequem aus, dann kämpfe ich mich in die vom morgendlichen Schwitzen noch feuchte Jeans. Der Vorgang erinnert mich ans Tauchen, wenn ich mich in einen hautengen Neoprenanzug zwängen muss. Zusätzlich behindern die Kabinenwände. Die Hitze treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Von den vollgesogenen Augenbrauen tropfen sie auf die Brillengläser.

      Automatisch frage ich mich: ‚Wieso tu ich mir das an? Wieso ziehe ich mich überhaupt um? Hosen sind nicht immer bequem, nicht nur jetzt beim Anziehen. Durchschwitzte oder enge Hosen ziehen im Schritt beim schnellen Gehen oder Treppen steigen. Kann ich nicht den Rock anbehalten? Das ist viel komfortabler.‘

      Bequemlichkeit schlägt sich so intensiv auf mein Wohlgefühl durch. Das verkneife ich mir nur ungern. Den so komfortablen Rock opfere ich also nur widerstrebend einer Männlichkeitsfantasie zur Geschlechterordnung, die die Welt nicht wirklich braucht. Ich muss aber gerade in einer offiziellen Situation nachgeben. Der gesellschaftliche Standard ist festgelegt. Und der ist besonders am Arbeitsplatz heute anders als in der Qing-Dynastie oder zu anderen Zeiten. Meine praktischen Überlegungen spielen dabei eine viel zu kleine Rolle.

      Ich weiß ja selbst, dass auch im 21. Jahrhundert Röcke weiterhin sexualisieren. Gerade bei der Schuluniform liegt der Sinn nicht nur darin Unterschiede zu egalisieren, sondern auch gleichzeitig den von vielen als wichtig empfundenen Geschlechtsunterschied durch Röcke und Hosen, hervorzuheben. Gemeinsamer Unterricht bedeutet eben nicht immer, dass die Gemeinsamkeiten im Mittelpunkt stehen. Das wird auch dort sichtbar, wo die Hose für Schülerinnen an unserer Schule schon durchaus ein etabliertes, gemeinsames und zeitgemäßes Kleidungsstück sein könnte und trotzdem von Müttern und der College-Leitung nicht gern gesehen wird. Was den Schülerinnen an unserem College billig sein könnte, ist den Männern noch sehr teuer.

      Heute widersprechen Röcke für Männer nach langer Tradition aktuellen Konventionen und in meinem Fall auch den Rahmenbedingungen für meine Anstellung. Ich müsste schon ein Mönch sein, um offiziell ein Kleid tragen zu dürfen. Jeans und ähnliche Hosen sind für männliche Lehrer nun mal die vorgesehene, aktuelle Arbeitskleidung in einem konfessionellen Umfeld, das auf seine Traditionen stolz ist. Zu kurz dürfen die auch nicht sein. Wo schon Bermudas unerwünscht sind, haben Röcke für Männer erst recht keine Chance. So viel Unvernunft ist bedauerlich aber auch sozio-kulturell vom Zeitgeist legitimiert.

      Allerdings fühle ich mich durch mein Rockerlebnis wie der Blinde,

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