Rock wie Hose. Holger Hähle

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Rock wie Hose - Holger Hähle

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tieferen Sinn? Kapituliere letztlich auch ich gegenüber überkommenen Regeln, die altbacken und willkürlich wirken? Gebe ich zu leicht nach? Mit ein bisschen Logik könnten Regeln leicht modernisiert werden. Angestaubten, obsoleten Regeln könnte mit evaluiertem Sinn neues Leben eingehaucht werden.

      Da beruhigt es mich ein wenig, dass zu anderen Zeiten Menschen noch unbequemere Kleidung tragen mussten, um die Reize ihres Geschlechts hervorzuheben. Der enge Stehkragen der Herrenhemden des neunzehnten Jahrhunderts wurde nicht ohne Grund Vatermörder genannt, schränkte er doch die Bewegung des Kopfs und manchmal auch das Schlucken ein. Ein Glück, können wir heute auf dieses wahnsinnig männliche Utensil verzichten. Es ist so überflüssig wie ein Kropf oder wie das Schnürmieder für Frauen aus der gleichen Epoche.

      Warum sollte es nicht gelingen, noch einmal solchen Unsinn zu überwinden? Die Menschen haben sich doch lernfähig gezeigt. Nun ist es leicht mit großer zeitlicher Distanz eine sachliche Kritik zum Unsinn vergangener Tage zu formulieren. Schwieriger ist Unvoreingenommenheit im Alltag. Zu allen gelebten Dingen haben wir eine emotionale Beziehung. Ein bisschen mehr pragmatisches statt gewohnheitsorientiertes Denken wäre ein guter Anfang. Das Leben kann so viel einfacher sein, wenn wir einfach nur Mensch sind. Eine permanente geschlechtliche Positionierung brauche ich nicht. Das überlasse ich gerne den Machos.

      Vielleicht sollte ich in meiner Freizeit anfangen, mir bezüglich meiner Kleidung ein paar Freiheiten zu gönnen, wenn sie mir das Leben in den Tropen leichter machen. Ein Rock ist so präsent. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, ich bin angezogen. Normalerweise greife ich in den Kleiderschrank, ziehe ein Hemd und eine Hose heraus und gehe damit durch den Tag. Würde mich jemand fragen, welche Farbe meine Hose hat, ich müsste mich bücken um nachzusehen. Es ist mir nicht bewusst. Ich weiß, ich brauche eine Hose und nehme morgens die, die im Schrank oben aufliegt. Der Rest des Tages gehört anderen Dingen. Mit einem Rock ist das anders. Der ist keine zweite Haut wie Röhrenjeans. Es gibt zwischendurch immer ein Feedback, weil der Wind den Rock bewegt oder ich über Treppenstufen springe. Ein Rock lebt. Ich werde weiter darüber nachdenken. Jetzt muss ich aber schleunigst zur nächsten Klasse.

      Die SchülerInnen dieser Klasse lernen im dritten Jahr Deutsch. Viele haben schon das Zertifikat B1 des Goethe Instituts absolviert. Die Älteren sind 18 Jahre alt. Es ist ihr letztes Jahr in der klassischen Schuluniform. Danach endet die Schulpflicht. In den letzten zwei Jahren des fünfjährigen College tragen die Frauen dann gerade geschnittene Röcke in Blau, die etwas enger sind. Bei den Schuhen ist etwas mehr Absatz erlaubt.

      Für den lockeren Einstieg entscheide ich, ein wenig von meiner Karnevalsvorführung zu erzählen. Das hätten sie auch gerne erlebt und wollen, dass ich das für sie wiederhole. Ich vertröste sie auf das nächste Jahr oder vielleicht Halloween. Ich mag nicht zustimmen. Ihre Begeisterung ist anders gemischt. Neben aufrichtig Neugierigen scheinen zu viele nur an der Sensation interessiert zu sein. Als Freak will ich aber nicht auftreten.

      Meine Aktion vom Morgen spricht sich herum. Mittags im Fachbereich wollen Kollegen Informationen aus erster Hand.

      „Na“, frage ich zurück, „was haben euch denn die Schüler erzählt?“ Die haben in diesem Fall nichts erzählt. Diesmal konnte sich der Kollege nicht zurückhalten, der die Klasse nach mir übernommen hat. Das amüsiert mich, aber es freut mich auch. Zeigt es doch, wie sehr der Lehrer angetan ist. Solche Unterstützung durch das Kollegium ist mir wichtig.

      Nachmittags zeigen sich viele Schüler anderer Klassen ebenfalls gut informiert. Der verbale Austausch ist offensichtlich rege. Den Rest besorgt Facebook. In den kommenden Tagen sprechen mich alle meine anderen Klassen auf die Verkleidungs­aktion an. Jede will eine exklusive Wiederholung.

      Aus Sorge, ich könnte zu viel Aufsehen erregen, lehne ich ab. Nur wenn es relativ ruhig bleibt, könnte man eventuell einen weiteren Schritt wagen. Im Moment gehe ich davon aus, dass die Gegner sich zurückhalten, weil sie an eine Aktion mit begrenzter Wirkung glauben. Vielleicht gibt es aber auch gar nicht so viele Gegner. Vielleicht hat sich die Gesellschaft wirklich weiter entwickelt? Mal abwarten. Wir werden es sehen.

      In einigen Fällen fallen mir die Absagen nicht so leicht. Immer, wenn ich auf echte Neugierde stoße, möchte ich schon gerne zustimmen. Ich fange an, nach einer Alternative zu suchen. Vielleicht kann man die Rockfrage in anderer Form mit einem Unterrichtsthema verknüpfen? Sowieso hat die Aktion bereits einige Fragen aufgeworfen, für die ich Antworten suche.

      Ich bin zum Beispiel beeindruckt, dass der Rock der Schuluniform für jede Schule anders ist. Das entspricht einer in Schottland entstandenen Tradition, mit dem Kilt auch eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu verbinden. Auch die Schulröcke in Taiwan bedienen sich gerne des typischen, schottischen Karomusters, das auch Tartan genannt wird, um sich von anderen Schulen zu unterscheiden. Die Farben von Wenzao gibt es nur einmal. Falten gibt’s auch. Allerdings hat ein schottischer Kilt nur hinten Falten. Vorne ist er glatt. Der ganz große Unterschied zwischen Kilt und Schulrock liegt aber bei den Trägern. Traditionell ist der Kilt ein Rock nur für Männer. Ursprünglich waren Frauen vom Tragen ausgeschlossen. Beim Schulrock verhält es sich genau umgekehrt. Hier sind die Mädchen die alleinigen Trägerinnen der Schulfarben. Diesmal sind die Jungs ausgeschlossen. Wie können sich die Regeln für das Tragen eines doch sehr ähnlichen Rockes mit gleicher Sekundärbedeutung (das Design verweist auf eine Gruppenzugehörigkeit) nicht nur ändern, sondern ins Gegenteil verkehren?

      Wenn der Rock als Kilt zum geschlechtsspezifischen Bekleidungsmerkmal wird und dann als Schulrock die Geschlechtszugehörigkeit wechselt, möchte man glauben, dass es dafür einen gewichtigen Grund gibt. Andernfalls frage ich mich: Wie ernst darf man Konventionen nehmen, wenn sie austauschbar sind. Eigentlich könnte die Wahl für Rock oder Hose auch freigegeben werden. Röcke haben eine lange Geschichte für Frauen und Männer.

      Ich fürchte, Konventionen sind weitgehend frei von biologischen Notwendigkeiten. Konventionen sind als kulturelle Derivate entkoppelt von biologischen Notwendigkeiten. Ich ahne, Konventionen sind nur Vereinbarungen über vorherrschende Gefühlslagen und Standpunkte. Die sind streitbar wie Ideologien. Letztlich sind sie austauschbar, weil sie nicht auf universelle Wahrheiten bauen. Konventionen sind unnatürlich in dem Sinne, dass sie ohne die Natur als Grundlage auskommen. Das macht sie zu Produkten unserer Fantasie. Das macht Konventionen zu sozialen Kultur-Artefakten. Wir können sie ändern oder sogar umkehren, ganz im Gegensatz zu den Naturgesetzen, die unsere Biologie bestimmen.

      Wenn aber der Rock weder durch die Kulturgeschichte noch durch Konventionen biologisch legitimiert ist als weibliches Kleidungsstück, wieso glotzen dann manche Menschen, wenn sie Männer in Röcken sehen? Wieso werden Männer im Rock dann kritisiert und manchmal angefeindet?

      Nachdem ich diese und andere Fragen mehrfach durchgegangen bin, komme ich zu einer Idee, die im Rahmen eines Schulunterrichts das Rockthema aufgreift. Ich beschließe, im Fach Wirtschaftsdeutsch das Thema Marketing um ein Rollenspiel zu ergänzen. Anlass ist meine Frage. Warum tragen Männer in den meisten Kulturen heutzutage keine Röcke mehr? Ich finde heraus, dass es Ansätze gegeben hat das zu ändern. Es sind sogar prominente Namen und Marken damit verbunden. John Galliano, Marc Jacobs und Jean-Paul Gaultier haben Männerkollektionen entworfen, einschließlich Hosen und Röcken. Die Modekette H&M hat 2010 einen Männerrock angeboten, der unter dem Rock ähnlich wie bei Tennisröcken noch eine Art Shorts hatte. Zum Erfolg hat das nicht beigetragen. Genau wie bei anderen Bemühungen um den Männerrock, wurde auch er zu wenig gekauft, um zu einer Renaissance zu führen.

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      Abb. 12: Männerrockmode der letzten Jahre, u.a. von Gaultier und Jacobs

      Warum sind die Anstrengungen gescheitert? Meine Idee ist, wir gehen im Rollenspiel von einem Männermodelabel aus, das versucht, mit einem Mänerrock neue Akzente zu setzen, um letztlich höhere Marktanteile zu gewinnen.

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