Rock wie Hose. Holger Hähle
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Abb. 06a/b: Asiatische Soldaten heute und früher
Von Anfang an will ich deutlich machen, dass Röcke nicht verweiblichen und auch nicht verweichlichen. Männer können als Soldaten auch im Rock den Feind brutal ermorden. Das hat die Geschichte tausendfach in West und Ost bewiesen. Viele taiwanische Ureinwohner, so wie die Paiwan aus der Provinz Pin Dong, pflegen ihre Rockkultur (siehe Abb. 09). Der Rock ist ihnen selbstverständlicher Bestandteil eines furchtlosen Stammeskriegers.
Ich hoffe, das gibt den Kritikern zu denken. Das Vorurteil vom sogenannten Sissy-Boy ist zu kurz gedacht. Gemeint sind damit die Weicheier unter den Männern mit weibischen Verhaltensweisen. Solche Männer sind nach Meinung von Teilen der Bevölkerung latent homosexuell. Das disqualifiziert sie nach Ansicht nicht weniger Eltern als Lehrer. Das Unwissen und bisweilen die Ignoranz über die Kultur- und Modegeschichte der Geschlechter, das den Nährboden diskriminierender Vorurteile bereitet, ist enorm. Das weiß ich noch aus meinem eigenen Erziehungsumfeld als Kind. Als Rock tragender Lehrer an einer katholischen Privatschule falle ich schnell in diese Schublade. Ich muss darauf eingehen, wenn ich das Minenfeld überleben will, in das ich mich heute Morgen mit dem Umkleiden in die Schuluniform der Mädchen begeben habe.
Aus diesem Grund zeige ich auch ein Foto von mir im Dienstkleid eines Beamten der letzten chinesischen Dynastie, die bis 1911 reichte. Meine Tochter hat es aufgenommen während eines Sonntagsausflugs in Kaohsiung. Von unserer Adresse aus kann man das Freilichtmuseum der historischen Fong-Yi-Akademie bequem mit der U-Bahn erreichen. Die Akademie diente der ersten Stufe der Beamtenausbildung in der Qing-Dynastie. Dort kann man die alte Arbeitskleidung anprobieren. Mit den aufwendig restaurierten Lehrgebäuden im Hintergrund ergeben sich so historische Szenen für ein Erinnerungsfoto. Das Foto zeigt mich vor der Holztür eines Schulgebäudes, bekleidet mit dem langen, seidig schimmernden Kleid und dem zugehörigen Hut eines Beamten im unteren Dienst.
Abb. 07: Ich im Beamtenkleid der Qing-Dynastie
Die Schüler sind nicht sehr überrascht. Grundsätzlich wussten sie, wie sie sagen, von der Beamtenkleidung im Alten China. Aber es ist, wie sie berichten, irgendwie nicht richtig drin im Kopf, oder es steckt verstaubt in einem toten Winkel des Gehirns. Es braucht ihr aktives Bemühen, das Wissen bewusst zu machen, denn es widerspricht ihren täglichen Erfahrungen, die sich ihnen als Gewohnheiten ins Hirn eingegraben haben. Ungefähr hundert Jahre Kulturgeschichte sind seit damals vergangen. Die kulturellen Prägungen und Konventionen haben sich drastisch verändert. Kaum zu glauben, dass es mal ein erstrebenswertes Privileg war, das Kleid zu tragen. Die Bekleidungsvorschriften von früher sind heute ein no go. Heute taugen sie nur noch zur Karnevalskostümierung. Ein bedeutendes Stück Kulturgeschichte des Männerrocks ist nur noch vage präsent.
Die gefühlten Traditionen und Normen umfassen unsere eigene Erlebenswelt und die Erlebenswelt unserer Eltern und eventuell Großeltern. Zu älterer Geschichte haben wir vielleicht Wissen, aber keine Beziehung. Die Qing-Dynastie liegt zu weit zurück. Sie ist zu weit entfernt vom aktuellen Leben. Was heute als weiblich oder männlich angesehen wird, kann zu anderen Zeiten anders gesehen worden sein. Das Beamtenkleid war sicher nicht weiblich, auch wenn wir das heute anders empfinden mögen. Es ist deshalb gefährlich, unsere gelebte Erfahrung 1:1 auf andere Epochen zu übertragen. Das führt schnell zu Geschichtsverfälschung. Wir neigen aber dazu, weil Erfahrungen als selbst erlebte Ereignisse uns so sehr überzeugen. Wir empfinden sie als so allgemeingültig, dass wir sie leicht ohne Weiteres als erwiesen einstufen und auch so damit umgehen. Das macht es so schwer, historisches, faktisches Wissen in unser aktives Denken und Handeln zu integrieren. Eigene Eindrücke wiegen schwerer als theoretisches Wissen. Ich glaube die Schüler spüren diese Diskrepanz zwischen ihrem gefühlten Wissen und den Fakten des Vortrags. Das beeindruckt sie so sehr an den folgenden Bildern
Sie zeigen Frauen beim Reiten auf einem Damenreitsattel. Sie tragen lange Kleider bis zu den Knöcheln. Beide Beine hängen auf einer Seite des Pferderückens, damit der Rock nicht hochrutscht. Sportlich sieht das nicht aus, eher als ob die Damen gerade vom Fünf-Uhr-Tee mit den strickenden Freundinnen kämen. Damals waren Hosen den Männern vorbehalten. Das hatte nichts mit einer Maßnahme zu tun, dass die Männer nicht mehr so oft vom Pferd fallen, sondern viel mehr mit Politik und Herrschaft. Den Schülern sind diese Bilder völlig fremd. Sie können sich emotional nicht vorstellen, dass vor nicht einmal siebzig Jahren Frauen in Hosen ein Skandal waren.
Abb. 08a/b: Frau in der Schwerindustrie, Marlene Dietrich 1933
Andere Bilder zeigen Frauen in Hosen. Die arbeiteten in der industriellen Produktion, als während der Weltkriege die Männer als Soldaten ihr Kriegshandwerk anrichteten. Frauen ersetzten die Männer an deren Arbeitsplätzen. Dort durften sie ausnahmsweise Hosen tragen. Gerade in der Schwerindustrie war das Arbeiten so leichter. Nach getaner Arbeit mussten sie sich aber wieder umziehen. Der Anblick von Frauen in Hosen galt in der Öffentlichkeit als unmoralisch. Die Schüler sind erstaunt, dass die Hose für Frauen sich so ganz erst in den siebziger Jahren durchsetzte, als auch die internationalen Luxushotels das Hosenverbot für Frauen aufhoben. Der Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger (CSU) drohte noch 1970, weibliche Abgeordnete in Hosen aus dem Plenarsaal zu weisen.
Eine Schülerin meint, dass Hosen für sie im Alltag unverzichtbar sind. Und ich ergänze: „unverzichtbar geworden sind.“ Ihr Selbstverständnis als Frau in Hosen hat heute eine ganz andere Dimension als bei meiner Mutter oder Großmutter, auch weil ihr der emotionale Bezug zu der Zeit fehlt, als Hosen noch nichts für Frauen waren.
Zum Vortragsende gibt es Bilder von Männern, die heute noch Rock tragen. Ich zeige unter anderem: griechische Wachsoldaten vor dem Präsidentenpalast, englische Universitätslehrer bei einer Zeremonie, Priester und Mönche, den japanischen Kaiser im Kimono, Kendo-Kämpfer, indische Politiker im langen und indische Arbeiter im kurzen Lungi, Polizisten aus einigen Ländern Polynesiens und Sarong tragende Touristen bei einem Tempelbesuch auf Bali.
Abb. 09a/b: Polizeikapelle aus Samoa, Krieger der Paiwan
Die Schüler zeigen sich sprachlos. Ich erfahre, dass sie nicht gedacht haben, dass der Rock als universelles Kleidungsstück aller Geschlechter so weit verbreitet war und immer noch ist. Sie erkennen zum Ende, dass die Haltung zu Rock wie Hose variabel ist und mehr oder weniger vom jeweils aktuellen, kulturellen Zeitgeist abhängt. Mehr darf ich nicht von einem Kurzvortrag erwarten.
Erst mit dem Ende des Vortrags wird mir wieder bewusst, das ich nicht nur über Röcke rede, sondern auch einen trage. Das hatte ich zwischendurch völlig vergessen. Man muss sich nur mit anderen Dingen beschäftigen, schon verschwindet der Rock im Alltag und wird kaum merklich zur Tagesroutine. Das ist ein Zeichen für Normalität. Ich staune, wie schnell das geht. Vor etwa einer halben Stunde hatte ich noch Bauchgefühle mit Bedenken gegen den Rock, und jetzt fühle ich mich, als hätte ich nie etwas anderes getragen. Genauso normal setzt sich der Unterricht mit dem Grammatikteil fort. Es gibt kein Lachen und kein Tuscheln mehr. Jeder konzentriert sich auf meine Ausführungen zum Perfekt und probiert die Beispielsätze. Mein Rock ist auch bei den Schülern in der Normalität des Alltags angekommen. Der wird zur Nebensache, wo der Fokus auf den Unterricht schwenkt. Es gilt halt das Rock wie Hose-Prinzip. Wo der Unterricht im Mittelpunkt steht, wird Bekleidung zweitrangig. Bedenken, dass ich mich mit meiner Verkleidung eventuell lächerlich mache und an Autorität verliere, bestätigen