Toxicus. Anita Jurow-Janßen

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Toxicus - Anita Jurow-Janßen

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stellte die leere Bierflasche auf den Kühlschrank und machte sich auf den Weg.

      Die Sonne schien unschuldig und tauchte die alte Ziegelei in ein strahlendes Licht. Ronny drehte sein Gesicht der Sonne entgegen und spürte eine wohlige Wärme, obwohl es erst März war. Die Bäume und Sträucher, die in den letzten Jahren erheblich gewachsen waren, zeigten schon ihr zartgrünes Frühlingsgesicht. Ronny bemerkte es nur am Rande. Er war in Gedanken bei Birgit. Die tiefe Trauer, die er die ganzen letzten Jahre verdrängt hatte, bohrte sich jetzt wie eine heiße Nadel durch seinen Brustkorb. Ich werde ihr Grab besuchen. Ich werde für sie beten.

      Vor der Ziegelei angekommen sah er sich erleichtert um. Wenigstens hier war nichts verändert worden. Er konnte wie damals ungehindert in das Gebäude hineinkommen. Er ging zögernd zu dem großen Ofen, in dem er Birgit verbrannt hatte. Sein Herz klopfte, als wollte es zerspringen. Er öffnete vorsichtig die Ofentür. Obwohl er wusste, dass er darin nichts finden würde, starrte in das dunkle Ofenloch. Die Erinnerung brannte sich wie ein Brenneisen in sein Herz.

      Wie erschrocken war er damals gewesen, als er statt eines Haufens Asche eine verkohlte Leiche vorgefunden hatte. Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als Birgits sterbliche Überreste in der gleichen Schubkarre, in der er sie von der Baracke zur Ziegelei gebracht hatte, nach draußen zu transportieren und sie zu vergraben. Bevor er sich auf die Suche nach einer geeigneten Stelle gemacht hatte, war er hinausgerannt und hatte sich neben der Eingangstür übergeben. Er fühlte sich hundeelend, sah aber keinen anderen Ausweg, als seine Tat zu vollenden. Er wartete, bis es ganz dunkel war. Dann brachte er Birgit zu dem auserwählten Platz, was zwischen den Bäumen und Sträuchern in der Dunkelheit gar nicht so einfach war, und fing an zu graben. Das dauerte viel länger, als er erwartet hatte, denn der Boden war verwurzelt und unzugänglich. Über ihn hinweg rauschten ein paar Eulen und vermutlich auch Fledermäuse, die er vor längerer Zeit in der Ziegelei entdeckt hatte. Der Schweiß rann ihm in Bächen den Körper herunter, während er Birgit in das Grab hineinlegte und die Erde über sie schaufelte. Tränen der Trauer und Verzweiflung liefen ihm über die Wangen. Leise stammelte er ein Gebet. Er schloss mit den Worten ab: „Ich habe dich doch so geliebt. Verzeih mir!“

      Das alles fiel ihm wieder ein, als er vor dem Ofen stand, und er spürte, dass er die Trauer immer noch nicht überwunden hatte. Er schloss die Ofentür und ging zu den Bäumen hinter der Ziegelei. Es dauerte eine Weile, bis er die Stelle wiederfand. Es war inzwischen alles noch viel mehr verwuchert und fast unbegehbar geworden. Glücklicherweise hatte er sich die Stelle ziemlich genau eingeprägt und außerdem ein großes „B“ in den Baum darüber geschnitzt. Als er Birgits Grab gefunden hatte, konnte er nicht verhindern, dass seine Augen sich erneut mit Tränen füllten.

      Er wusste nicht, wie lange er dort verweilt hatte, aber als er zurück zur Baracke ging, wurde ihm klar, dass es schon ziemlich spät sein musste. Hoffentlich ist Lukas noch nicht da!

      Schon als er auf das Gelände der Baracke einbog, sah er, dass Lukas’ Auto vor dem Eingang stand.

      „Scheiße!“, fluchte er. Wie soll ich das jetzt erklären?

      Lukas saß in der Kochnische auf dem einzigen Stuhl, der dort stand, und trank eine Flasche Bier.

      „Wo warst du denn?“, war seine Begrüßung.

      „Ich war schon so früh hier, dass ich noch einen Spaziergang machen konnte. Dabei habe ich die Zeit wohl ein bisschen vertrödelt. Bist du denn schon lange hier?“

      „Nein, vielleicht zehn Minuten, oder noch nicht mal. Hast du dich denn hier schon umgesehen?“, fragte Lukas, nicht ohne Stolz in der Stimme. Er war aufgestanden und hatte Ronny freundschaftlich umarmt. Er musste sich dabei auf die Zehenspitzen stellen, denn Ronny überragte ihn um einen ganzen Kopf. Neben Ronny sah Lukas wie ein Schüler aus, der zu wenig zu essen bekam. Seine blonden Haare standen immer etwas zu Berge und seine blauen Augen wirkten häufig verklärt. So, als ob er nie bei der Sache der anderen war, sondern immer nur bei sich selbst und seinen Experimenten. Er freute sich aber offensichtlich über Ronnys Besuch. Endlich konnte er sich mit jemandem austauschen, der auch etwas von Schlangen verstand.

      Ronnys Anspannung lockerte sich und kumpelhaft klopfte er Lukas auf den Rücken.

      „Na klar. Ist super, was du alles gemacht hast“, versicherte er. „Wissen deine Eltern denn inzwischen, was du so treibst?“

      Lukas sah ihn an. Sein Blick wurde traurig. „Nicht wirklich. Mein Vater ist inzwischen gestorben. Meine Mutter weiß, dass ich für mein Studium ein Labor eingerichtet habe und dass ich sehr oft darin arbeiten muss. Mehr muss sie ja nicht wissen.“

      Ronny schluckte. „Dein Vater ist tot? Seit wann das denn?“

      „Hm, so zweieinhalb Jahre ungefähr.“

      „Tut mir leid. War er krank?“

      Lukas sah ihm in die Augen. „Krebs, was auch sonst.“

      Ronny druckste herum. „Weiß sie denn, wo das Labor ist?“

      „Wer?“

      „Na deine Mutter?“

      „Nein, sie war noch nie hier. Sie denkt, ich habe einen Raum in der Uni dafür bekommen.“

      „Und sonst, weiß es sonst jemand?“

      „Nein, du bist der einzige. Und ich möchte auch, dass es so bleibt. So habe ich jedenfalls meine Ruhe hier.“

      „Sie weiß auch nichts von den Schlangen?“

      „Um Gottes Willen, das würde sie zu Tode ängstigen.“

      „Was machst du denn überhaupt in dem Labor?“

      Ronny war nicht entgangen, dass Lukas tatsächlich ein Labor eingerichtet hatte. Es befand sich in dem Raum neben den Terrarien. Dort standen etliche Gefäße herum, woraus man schließen konnte, dass Versuche damit gemacht worden waren. Außerdem hatte er eine große Truhe entdeckt, in der das Schlangenfutter eingefroren war. Massenweise Ratten, Mäuse und Vögel. Auch zerkleinertes Geflügel konnte er erkennen. Ronny kam aus dem Staunen nicht heraus. Wie konnte Lukas sich das alles leisten? Auf einem Bord, auf dessen Rand ein Schild mit dem Hinweis „toxicus“ geklebt war, standen etliche Gläser, in denen sich getrocknetes Schlangengift befand, wie Lukas ihm jetzt erklärte. Ronny konnte sich noch schwach erinnern, dass das Wort „giftig“ bedeutete. Darunter, auf einem weiteren Bord, standen Nahrungsergänzungsmittel. Ronny nahm eine Packung in die Hand. „Bioserin“, las er. Das kostet doch alles ein Vermögen, dachte er.

      Als Lukas ihm jetzt erklärte, dass er die Schlangen molk, um das Schlangengift zu untersuchen, starrte er ihn mit offenem Mund an.

      „Ich will darüber meine Doktorarbeit schreiben“, erklärte Lukas, und seine Augen leuchteten dabei wie blaue Sterne.

      „Wie kann man das Gift denn melken?“, fragte Ronny voller Ehrfurcht.

      Lukas holte ein Glas aus einem Schrank, über das ein besonderes Papier gespannt war. Es sah aus wie Pergament.

      „Siehst du? Hier müssen die Schlangen hineinbeißen. Dann fließt das Gift ins Glas und ich kann es untersuchen.“

      „Ist das ein spezielles Papier?“

      „Ja, aber es geht auch mit Pergament.“

      „Wird das Gift nicht schlecht?“

      „Doch,

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