Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Читать онлайн книгу Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen страница 17
Ich höre Marcel schlucken. Meine Worte scheinen ihm nahe zu gehen.
„Gut, dann machen wir es so. Hauptsache ich sehe dich morgen wieder. Da habe ich den ganzen Tag etwas, worauf ich mich freuen kann“, sagt er mit seiner dunklen, weichen Stimme, die ich so sehr vermisst habe.
„Ich werde mich auch den ganzen Tag auf dich freuen. Das kannst du mir glauben“, versichere ich ihm.
Kurz darauf verabschieden wir uns. Um halb sechs wird mein Wecker meine Nacht beenden. Marcel kann wenigstens ausschlafen.
Doch erneut ist an Schlaf nicht zu denken. Marcel fehlt mir und ich muss mir eingestehen, dass ich schon wieder so weit bin, meine Zeit mit den Mädels zu kürzen, um jede vertretbare Minute mit ihm verbringen zu können. Und das geht gar nicht. Zumindest seine Spätschichtwoche sollte ich nutzen. Wer weiß schon, wie ich nächste Woche drauf bin, wenn er nachmittags Zeit hat. Ich sehe mich schon brav mit ihm alle Nachmittage verbringen und die Mädels versetzen.
Irgendwann schlafe ich dann doch wohl ein. Zumindest weckt mich etwas, was nicht wie mein Wecker klingt. Irritiert schlage ich die Augen auf und lausche in die Dunkelheit meines Zimmers hinein.
Das war mein Handy, das eine SMS meldete.
„Bestimmt von Marcel“, denke ich und suche es in meinem Bett. Es liegt halb unter meinem Kissen. Einen Knopf drückend, springt das Licht des Displays an und ich sehe den Namen des Absenders. Tim!
Was will der denn mitten in der Nacht? Mich weiter beschimpfen?
Ich öffne die SMS mit einem unguten Gefühl und lese: „Es tut mir leid. Du hast mich bloß wieder so böse erwischt. Ich werde die nächsten vier Monate die Tournee mit dem Orchester hinter mich bringen und hoffe, du siehst dann alles anders. Du hast dann drei Optionen … entweder mit mir zusammen bei dir oder mit mir in Wolfsburg oder … mit mir auf einer einsamen Insel. *grins* Vergiss mich nicht! Dein Tim.“
Mein Herz schlägt mir bis in den Hals. Das ist wieder der alte Tim, mit seinem unerschütterlichen Charme. Ich muss mir eingestehen, dass seine besitzergreifenden Forderungen und seine unbeirrbare Zuneigung mich berühren. Aber ich glaube nicht, dass ich sie je wieder erwidern werde. Ich bin jetzt wieder mit Marcel zusammen und das mit Tim ist für immer vorbei. Außerdem wird er jetzt vier Monate durch Deutschland touren. Vielleicht trifft er dabei auf ein Mädel, das sein Herz berührt. Ich gönne es ihm von Herzen. Er soll mich vergessen und mir mein Leben mit Marcel lassen. Er ist alles, was ich will.
Nun wieder einzuschlafen fällt unglaublich schwer und als mein Wecker anspringt, bin ich mir sicher, gar nicht geschlafen zu haben.
An meiner Bushaltestelle in Osnabrück wartet Ellen auf mich, was mich unglaublich freut. „Nah, das ist ja ein Empfang!“, rufe ich ihr schon zu, als ich die Stufen des Busses hinunterspringe.
„Guten Morgen! Du siehst immer noch ziemlich mitgenommen aus. Ist das noch von Samstag?“
Ich schüttele den Kopf. „Ne, ich habe nur schlecht geschlafen. Du weißt doch, meine beiden Männer …“ Ich grinse sie an und erzähle ihr von der SMS von Tim, die mich mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt hatte.
„Tja, dann muss ich dir leider deinen Tag noch ein wenig mehr versauen. Erik war an meinem Handy. Ich habe ihn erwischt, wie er es gerade weglegte. Wenn du Pech hast, hat er jetzt auch noch deine Nummer“, sagt sie und ich merke, wie unangenehm ihr das ist.
„Das ist nicht schlimm. Der war Samstag eigentlich ganz nett und die Kekse habe ich schließlich nicht von ihm bekommen. Das waren andere! Eigentlich hat er den ganzen Abend auf mich aufgepasst.“
„Jou!“, meint Ellen. „Bestimmt! Du redest doch wohl kaum von meinem Bruder.“
„Doch, so übel ist der gar nicht.“ Mir geht es viel zu gut, nachdem ich Marcel wiederhabe und Tim mir nicht mehr böse ist, dass ich selbst Erik nicht mehr schlimm finden kann. Alles ist toll, schön und ich bin eigentlich glücklich.
Während wir nebeneinander hergehen, sieht Ellen mich seltsam an. „Hey, glaub mir, du irrst dich. Der steht voll auf Psychospielchen und mag es gar nicht, wenn er seinen Willen nicht bekommt und man ihm sagt, wo es langgeht.“ Sie zieht den Ärmel der Bluse hoch und ich sehe die blauen Flecken rund um ihren Unterarm.
„Oh Mann! Was ist denn mit dir passiert?“, frage ich entsetzt und sofort schießt mir, wer das nur gewesen sein kann.
„Und der andere Arm sieht auch nicht besser aus. Das ist von nachts, als er mir den Schlüssel abgenommen hat … und von gestern, als ich ihn beschimpfte, dass er dich in Ruhe lassen soll. Da ist er auch ausgeflippt und hat mich mal eben durch den Raum gefegt. Mein Bein sieht deshalb auch etwas ramponiert aus. An eine kurze Hose ist diese Woche nicht zu denken.“ Sie grinst mich an, aber ihre Augen schimmern feucht. Offensichtlich ist ihr mehr zum Heulen.
Ich bleibe stehen und sehe sie entsetzt an. Leise brumme ich: „Was, das hat Erik gemacht? Wegen mir? Oh mein Gott, Ellen! Das tut mir leid! Ich werde das selbst mit ihm klären. Bitte misch dich da nicht mehr ein. Ich will nicht, dass dir etwas passiert!“ Dass sie wegen mir so gelitten hat ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann.
„Nichts da! Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Er ist mein Problem“, raunt Ellen und geht weiter.
Ich bin sprachlos. Was für eine kranke Welt. Aber ich werde trotzdem mit Erik reden. Vielleicht kann ich ihn mit gutem Willen und guten Worten zur Vernunft bringen. Zumindest, damit er Ellen in Ruhe lässt. So etwas kann er doch mit seiner Schwester nicht machen.
An der Schule sehen die anderen uns schon entgegen. Daher lassen wir das Thema fallen und verschieben es auf den Nachmittag.
Am Nachmittag sitzen Sabine, Ellen, Andrea und ich im Burger King, jede vor einem riesigen Baguette oder Salat, und sinnieren über unsere neue Schule nach.
Sabine murrt: „Das wird noch ziemlich schwierig. Und ich habe gedacht, wir können dort einen lauen Lenz schieben. Aber wenn wir da fertig sind, sind wir Ärzte, Köche, Elektriker, Gärtner, Schneider und sonst noch was.“ Dabei wirft sie ihre langen, dunklen Haare zurück und beißt erneut in ihr Baguette. Ihre dunklen Augen heften sich in unsere Gesichter.
Die anderen nicken. Auch ich muss zugeben, dass ich mir das Ganze weniger inhaltsvoll vorgestellt habe. Das werden die härtesten zwei Jahre meines Lebens. Zumindest schulisch gesehen.
„Vielleicht mache ich nur das erste Jahr“, raunt Andrea und ihre braunen Kulleraugen wandern von einem zum anderen. Wie immer sind ihre Wangen in dem runden Gesicht gerötet und sie streicht nervös durch ihr kurzes, blondes Haar, als müsse sie durch eine Mähne kämmen. Sie isst diesmal wieder nur einen Salat, in dem verzweifelten Versuch, etwas abzunehmen.
„Kommt, jetzt lasst euch nicht schon am Anfang entmutigen. Wir werden einfach alle sehen, dass jeder von uns da durchkommt. Zusammen schaffen wir das“, schalte ich mich ein und meine Stimme strotzt nur so vor Selbstbewusstsein, was mich selbst am meisten überrascht. Aber hier, und in dieser Gruppe, bin ich nicht nur cool, sondern auch weise. Das zeigen mir zumindest die Gesichter, die sich alle dankbar für die aufmunternden Worte auf mich richten. „Also wird hier jetzt keiner mehr Trübsal blasen“, füge ich noch hinzu.
Ellen