Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Wir bleiben nicht mehr lange und schließen alle Türen bis in Ellens Reich, die wir schließen können. So ist der Lärm weitgehend ausgesperrt.
Als wir endlich in der Waagerechten liegen, frage ich Ellen: „Was meintest du damit, dass du auch schlechte Erfahrung mit deinem Bruder gemacht hast? Was hat er denn getan?“
„Der ist nicht so schlimm wie dein Bruder, aber es reicht“, brummt sie nur und äußert sich nicht weiter. Ich frage lieber auch nicht weiter nach.
Wir schlafen am nächsten Tag bis mittags, bummeln durch die Stadt und machen nachmittags noch die Hausarbeiten für Montag fertig. Eigentlich wollen wir noch am Abend los, aber Ellen hat keine richtige Lust und wir beschließen, uns bei ihr einen Videofilm anzuschauen. Auch ihre Fernsehanlage ist mit allem Drum und Dran. Die Eltern müssen wirklich reich sein.
Aber es ist Samstag, und mir drängt sich immer wieder auf, dass mein altes Leben heute die letzte Scheunenfete des Jahres feiert.
Es ist ein komisches Gefühl, nicht dabei zu sein. Aber dieses Leben ist vorbei und mit seltsam bleischwerem Herzen versuche ich mich auf den Film zu konzentrieren.
Irgendwann klopft es an Ellens Zimmertür und Erik schaut herein. „Ellen, Daniel ist da. Kannst du eben kommen? Irgendwas ist los.“ Er klingt herablassend und arrogant, als könne er sich nicht vorstellen, dass Daniel etwas Wichtiges von Ellen will.
Ich weiß mittlerweile, dass Daniel Eriks bester Freund ist und die beiden ständig zusammenhängen. Ellen sagte mir gestern noch, dass dieser Umstand der einzige dunkle Aspekt an Daniel und seinem Wesen ist. Ansonsten scheint sie ihn wirklich zu mögen.
Ich kann ihn noch nicht einschätzen und glaube, dass er mich nicht gerne an Ellens Seite sieht. Aber ich weiß nicht, warum das so ist.
Ellen springt sofort auf und bittet mich in ihrem Zimmer auf sie zu warten. Dann geht sie und ich schaue beunruhigt den Film weiter. Was kann nur passiert sein?
Es dauert und dauert. Irgendwann klopft es wieder an der Tür und Erik steht erneut im Türrahmen. „Carolin, Ellen musste weg. Magst du zu uns kommen? Wir sind in der Küche und backen Plätzchen.“ Diesmal klingt er freundlicher.
Im Sommer Plätzchen backen?
„Ne, lass mal. Ich schau mir noch den Film an“, winke ich verunsichert ab.
Er kommt ins Zimmer und ich starre ihn erschrocken an.
„Gut, dann schaue ich mit“, sagt er, als wäre es das normalste der Welt.
Das ist doch wohl ein Scherz!
Er steuert direkt das Bett an und ich kann es nicht fassen. Ich will mit ihm auf gar keinen Fall fernsehen und schon gar nicht, wenn wir zusammen dabei auf Ellens Bett liegen müssen. Die bringt mich um … oder ihn, wenn sie das sieht.
„Okay, ich komme ja!“, zische ich und springe regelrecht von der Matratze.
Erik schmunzelt und nickt süffisant. War das seine Absicht?
Er wartet in Seelenruhe ab, bis ich meine Schuhe übergestreift habe und an ihm vorbei durch die Tür schlüpfe.
Ich muss mir dabei eingestehen, dass ich schon etwas neugierig bin, wer da was für Plätzchen backt.
Tatsächlich riecht es nach Keksen, als wir die Treppe hinunter in den unteren Wohnbereich gehen und die Küche ansteuern. Es herrscht schon am Eingang reges Treiben, laute Musik und Gelächter. Als wir in den Raum treten, sehen alle auf.
„Das ist Carolin!“, stellt Erik mich vor, was aber scheinbar niemanden wirklich interessiert. Er schien das auch nur anstandshalber gesagt zu haben.
Seine Hand in meinem Rücken drängt mich zu einer großen Esstheke weiter und er schiebt mir einen Hocker zurecht.
Ich setze mich verunsichert und er sagt freundlich: „Ich hole dir etwas zu trinken. Möchtest du etwas Bestimmtes?“
„Weiß nicht. Vielleicht ein Bier?“, frage ich verunsichert.
Diese fremden, jungen Leute, die mich mit Desinteresse strafen oder mich sogar herablassend mustern, geben mir das Gefühl, nicht dazuzugehören.
Erik nickt und verlässt die Küche, was mich etwas irritiert. Ein Mädel steht vor dem offenen Kühlschrank und nimmt ein Bier heraus. An der Tür ist ein integrierter Flaschenöffner, an dem sie gekonnt die Flasche öffnet und damit zu der Gruppe an der Tür Stehender geht, durch die Erik gerade verschwunden ist.
Mich völlig fehl am Platz fühlend, will ich lieber wieder in Ellens Zimmer gehen, als ein Typ mit einem langen Pferdeschwanz mir einen Teller vor die Nase stellt.
„Die sind sau gut!“, rühmt er die runden Kekse, die nicht besonders appetitlich aussehen. „Willste?“
Ich bin über seine fast schon netten Worte irritiert, die er an mich richtet.
Natürlich nehme ich einen seiner Kekse, wenn er sie mir schon so nett anbietet. Und er schmeckt - wenn man mal von dem seltsamen Nebengeschmack etwas absieht. Aber ich habe Hunger und esse auch noch einen zweiten. Auch der Langhaarige bedient sich und auch andere, die an mir vorbeikommen, greifen beherzt zu.
Erik taucht wieder auf und lacht, als er mich an einem Keks knabbern sieht. „Braves Mädchen.“ Seine Augen blitzen dabei auf und ich sehe, dass sie heute brauner sind als gestern. Auch sein Blick wirkt klarer. Aber ich weiß nicht, was er meint. Wohl, weil ich hier noch brav sitze.
Er stellt mir eine Cola hin. „Alkohol gibt es für dich erst mal besser nicht“, sagt er und um seine Mundwinkel spielt ein verschmitztes Lächeln.
Ich verstehe nicht, was der Ausspruch soll. Aber vielleicht hat Ellen ihm verboten, mir Alkohol zu geben, wenn sie nicht da ist.
Er nimmt sich auch einen Keks und schiebt mir noch mal den Teller hin.
Ich nehme auch noch einen und er grinst mich an. Das ist schon alles komisch.
Als ich fertig gegessen habe, zieht er mich vom Hocker.
Beunruhigt sehe ich mich um, weil ich nicht weiß, was er vorhat.
Er beugt sich zu mir vor und raunt: „Komm, wir gehen nach oben.“
Ich starre ihn verunsichert an. Was hat er nur mit mir. Er soll sich doch um seine Freunde kümmern und nicht um mich. Außerdem will ich nicht mit ihm irgendwohin gehen.
Er dreht sich mit mürrischem Blick zu mir um, als ich ihm nicht folge, als könne er es nicht fassen. Seine Hand schnellt vor und greift nach meinem Handgelenk, bevor ich es verhindern kann. Sowieso bin ich heute irgendwie nicht besonders auf Zack. Meine Reaktion lässt wirklich zu wünschen übrig und mein Kopf füllt sich mit einem zähflüssigen Nebel. Wahrscheinlich liegt das an der abgestandenen Luft.
Er zieht mich erbarmungslos hinter sich her … hoch in sein Wohnzimmer.
Ich will protestieren, weiß aber, dass ich hier und ohne Ellen keine Chance gegen ihn habe. Er füllt groß und stark den kompletten Raum vor mir. Zumindest kommt es mir so vor und mein