Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Schweigend lassen wir Wallenhorst links liegen und fahren über die zweispurige Straße weiter, bis wir über einen Hügel kommen, hinter dem sich die Stadt Bramsche mit ihren gleißenden Lichtern präsentiert.
Wir fahren von der Schnellstraße ab und ich bin irritiert. „Wo fahren wir hin?“
„Zu mir“, raunt Marcel nur.
Ich sehe verunsichert auf die Stadt, auf die wir unaufhörlich zurollen. Das ist Bramsche! Was sollen wir da?
Marcel erklärt: „Ich wollte dir das eigentlich am Sonntag erzählen. Aber dann war das mit dem MP3 Player und Tim.“
Er schluckt schwer und ich sehe ihn an.
MP3 Player und Tim. Ganz böse Sache.
Aber sie tangieren mich irgendwie nicht. Doch ich weiß zumindest, dass sie böse sind. Das ist mir klar. Doch ich fühle mich mittlerweile wie in einem Kokon, der mich vor unliebsamen Erinnerungen mit ihren negativen Gefühlsausbrüchen schützt. Wie der Schmetterling in Eriks Lied, der besser in seinem Kokon geblieben wäre.
„Ich habe eine Wohnung in Bramsche, die ich mir gerade einrichte“, höre ich Marcel sagen.
„Echt?“, frage ich und irgendwie ist mir plötzlich wieder zum Lachen.
„Ja, echt“, brummt Marcel genervt.
Was hat er nur? Ich beschließe, besser nichts mehr zu sagen. Ich habe das erschreckende Gefühl, sonst wirklich Lachen zu müssen. Und diese Gefühlsregung ist offensichtlich etwas, was Marcel noch wütender macht als er sowieso schon ist.
Nun tauchen erneut riesige Mengen Lichter vor uns auf, die sich wie greifende Arme nach uns ausstrecken und alles umschließen. Aber die Farben sind viel greller und es gibt Orangetöne und Gelbtöne …
„Wow!“, hauche ich ergriffen und sehe mir das Spektakel an, in das wir direkt hineinfahren.
Scheinbar problemlos bringt uns Marcels Golf durch dieses gewaltige Lichtspektrum, bis der Wagen plötzlich in eine tiefschwarze Dunkelheit eintaucht. Was ist auf einmal passiert?
„Wir sind da. Warte, ich mache Licht. Du bleibst sitzen, bis ich dich hole. Sonst ramponierst du mir noch meine Autotür“, knurrt Marcel.
Mann, ist der empfindlich. Warum sollte ich das tun?
Brav bleibe ich an meinem Platz und warte.
Grelles Licht schlägt über mir und dem Auto zusammen. Licht ist eigentlich echt cool!
Marcel macht mir die Tür auf. „Sei bitte vorsichtig. Hier ist nicht viel Platz“, ermahnt er mich und ich steige aus.
Wir sind in einer Garage. Was hatte er gesagt? Er hat eine Wohnung. Erst jetzt begreife ich, was er damit meint.
„Wohnst du hier?“
Marcel nickt. „Das ist das Haus meines Großonkels. Ich habe ihm erzählt, dass ich von zu Hause ausziehen will und eine Wohnung suche und er bot mir die Untergeschosswohnung hier an. Der Untermieter ist vor zwei Monaten ausgezogen und das Haus steht komplett leer. Ich bin also auch der Hausaufpasser.“
Durch eine Seitentür schiebt Marcel mich aus dem Gebäude in einen Garten und von dort zu einer Haustür, durch die wir in eine kleine, ziemlich leere Wohnung treten.
„Ich habe noch nicht viele Möbel, aber das kommt noch. Aber ich habe alles fertig gestrichen und geschrubbt. Der Untermieter muss ein ziemliches Schwein gewesen sein“, erklärt er.
Es riecht sogar noch nach Farbe und im Flur stehen verschiedene Eimer mit Farbresten und einer mit Wasser, in dem Pinsel und eine Farbrolle schwimmen.
Marcel schaltet überall Licht an und schiebt mich in die Küche. Das ist der einzige vollständig eingerichtete Raum.
„Darf ich mal deine Toilette benutzen?“, frage ich kleinlaut. Der neue Marcel schüchtert mich ein. Ist es wirklich erst zwei Wochen her, seit ich mich wegen dieser Katjageschichte von ihm trennte und eine, seit er mich dann wegen Tim abschoss?
Er nickt nur und sieht mich unter seiner Kappe seltsam an. Ich kann mir nicht denken, dass es ihn freut, mich hier zu haben. Er sieht zumindest nicht so aus.
Da er keinerlei Anstalt macht, mir den Weg zu zeigen, gehe ich selbst auf die Suche.
Es gibt ein komplett leeres Wohnzimmer und einen Raum, in dem Berge von Wäsche an der Wand lehnen. Eine große Matratze liegt auf der Erde, in der Marcel wohl schon geschlafen hat. Es gibt Kissen und eine zerwühlte Decke.
Das Badezimmer finde ich am Ende des Flures. Es ist klein, aber schön. Eine Dusche mit einer Glaswand und einer Toilette nehmen fast die gesamte hintere Wand ein. An der Seite ist das Waschbecken und zu meiner Überraschung steht daneben sogar eine Waschmaschine. An der anderen Wand steht ein Regal, in der auf einem Regalboden Handtücher und verschiedene Utensilien liegen. Die restlichen Böden sind noch unbenutzt.
Mein Blick gleitet zu dem Spiegel über dem Waschbecken und ich bin einen Moment verwirrt. Bin ich das? Und was ist mit meinen Augen? Das grünblau ist fast vollständig verschwunden.
Kopfschüttelnd wende ich mich ab und gehe zur Toilette. Während ich auf dem kalten WC Sitz hocke, sehe ich mich weiter um. Marcel hat alles hier. Zahnbürste, Kamm, Rasierer. Er bewohnt diese Wohnung scheinbar wirklich schon.
Er hat nicht gelogen.
Als ich wenig später wieder in die Küche komme, sehe ich Marcel mit in den Händen vergrabenem Gesicht am Tisch sitzen. Ich bleibe im Türrahmen stehen und sehe ihn nur an.
Er sieht so gut aus und die ganze Wohnung ist so schön. Außerdem wirkt er so erwachsen und selbstständig … und ich?
Mir ist plötzlich zum Heulen.
Was mache ich bloß? Marcel ist bestimmt ganz unglücklich, weil er mich abholen musste. Was tue ich ihm nur wieder an?
Marcel schaut plötzlich auf und sieht mich im Türrahmen stehen.
Ich schlucke bei seinem Anblick, aber der Kloß in meinem Hals will nicht weichen.
„Was mache ich jetzt mit dir?“, fragt er und sieht mich kopfschüttelnd an.
Ich stehe nur da. Unschlüssig, was nun passieren soll.
„Willst du einen Kaffee oder so? Ich weiß auch nicht, was ich dir am besten gebe und was nicht. Ich habe keine Anleitung für die neue Carolin bekommen“, meint er barsch.
Was redet er für einen Quatsch.
„Ich will nichts. Hättest mich schließlich nicht abholen brauchen“, antworte ich, aber meine Stimme versagt mir fast.
„Ja klar! Und dann? Was meinst du, warum diese Ellen es für nötig hielt, jemanden dich da wegholen zu lassen? Und schau dich doch an? Du bist doch völlig fertig! Nicht auszudenken, was die Typen da mit dir angestellt hätten.“
Was für ein Aufriss. „Da wäre mir nichts passiert. Außerdem kann ich gut