Westdämmerung. Christian Friedrich Schultze

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Westdämmerung - Christian Friedrich Schultze Trilogie

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und einigen Bekannten und Freunden - auch Thomas Deutscher war mit Frau Annemarie erschienen - und die darauffolgende einwöchige Reise nach Venedig, wohin denn sonst? - die schönsten und glücklichsten Tage seines Lebens nach dem Mauerfall gewesen. Danach begannen allenthalben, auch in seiner „Sachsenprojekt“, Entwicklungen, die den Optimismus der ersten Nachwendejahre immer mehr schrumpfen ließen.

      Doch in jenem Jahr war er ausnahmslos glücklich gewesen und hatte gedacht, dass sie doch eine beneidenswerte Generation waren, welche ohne Krieg und ohne Hunger, mit sicheren Arbeitsverhältnissen, zahlreichen Reisen - vor 1990 vor allem in die „Karpatenländer“ - mit guten Büchern, viel Musik und mannigfaltigen Kulturerlebnissen, mit mancherlei Querelen mit Organen der DDR-Führung zwar, aber schließlich mit dem Glück der deutschen Wiedervereinigung, eine viel bessere und friedlichere Zeit durchlebt hatte, als ihre Eltern- und Großelterngenerationen. Auch viel wohlhabender als diese waren sie mittlerweile geworden!

      Eine ganz besondere Zeit für ihn war Sibylles Schwangerschaft gewesen. Kurz vor seinem 50. Geburtstag hatte sie es ihm offenbart, als sie ihn an einem Wochenende in seiner Oberlausitzer Heimat überraschte. Es war für beide keine Frage gewesen, dass sie umgehend heiraten würden. Den winzigen Augenblick, in dem es in der Gegend seines Magens einen schmerzhaften Stich gegeben hatte, als sie es ihm mitteilte, dass sie schwanger war, hatte er schnell vergessen.

      Denn die Erinnerung an das Weihnachtsfest 1981 war mit einem hochgeschossen: In jenen Tagen wollte Helga, seine damalige Geliebte, unbedingt, dass er ihr ein Kind zeugte und er hatte das stur abgelehnt. Darum hatte sie sich unverzüglich von ihm getrennt. Dabei waren sie beide noch jung gewesen und hätten auch kaum irgendwelche materiellen Probleme bekommen. Doch Wauer hatte damals seine politischen Alpträume gehabt. Und deshalb wollte er keinesfalls Kinder in diese Welt setzen. Verglichen dazu waren er und Sibylle im Jahr 1995 um einiges älter und erfahrener gewesen. Damals war ihnen die Zukunft rosig und ohne unüberwindbare Probleme erschienen.

      Wauer hoffte von Anfang an, dass dieses Kind eine Tochter werden würde. Für ihn schien alles nochmal von vorn anzufangen. Er hatte die neue Situation dennoch keineswegs als eine Einschränkung seiner Freiheit empfunden, wie bei Lothar. Er hatte sich auf dieses Kind ohne Einschränkungen gefreut, auch wenn ihm klar war, dass er ihm ein „alter Vater“ sein würde. Und auch die Mutter war nicht mehr die Jüngste! Aber, so dachte er damals und so dachte er auch noch heute: War es nicht der größte Liebesbeweis einer Frau, wenn sie mit dem Mann ihrer Wahl all die Umstände und Schmerzen auf sich nahm, die damit verbunden waren, ein Kind auf die Welt zu bringen und großzuziehen?

      Ihre Tochter Maren wurde am 15. November 1995 geboren.

      Soeben hatte Diana, Prinzessin von Wales, ihre endgültige Trennung vom alternden Kronprinzen Charles und damit auch vom englischen Königshaus erklärt. Mit ihrer Liaison mit dem ägyptischen Geschäftsmann Dodi Al-Fayed hatte sie offenbar auf eine Befreiung von den Zwängen des königlich-britischen Establishments gehofft. Später starben beide zusammen bei einem mysteriösen Autounfall in London.

      Die Villa in Großschönau war mittlerweile soweit instand gesetzt, dass Wauers neue Familie zu Weihnachten einziehen konnte. Die endgültige Übersiedelung von Sibylle, Christian und Baby Maren fand am Sonnabend vor dem vierten Advent statt. Vielleicht war das der zweitschönste Tag Wauers nach der Wende gewesen. Heute wusste er das nicht mehr so genau. Denn er fand rückblickend eigentlich jeden Tag in den achtzehn Jahren bis zu ihrem verfluchten Tod wunderbar. Besonders aber eben die Monate ihrer Schwangerschaft!

      Es war ein riesiger Vorteil gewesen, dass Sibylle während dieser Zeit zusammen mit ihrer Schwester und den Kindern in der Wohngemeinschaft am Friedrichshain leben konnte. Christian war gerade mit den Prüfungen für sein Abitur beschäftigt und fand dort die nötige Ruhe und Konzentration. Die Schwangere wurde von ihrer Schwester versorgt und nach Strich und Faden verwöhnt. Wauer hingegen hatte mit seinen diversen politischen und gesellschaftlichen Verpflichtungen und seinem Betrieb stets wahnsinnig viel um die Ohren, so dass er meistens erst spät in der Nacht nachhause in seine Großschönauer Villa heimkehrte, die diese ganze Zeit über eine unruhige Baustelle darstellte. Deshalb sahen sich die Liebenden nur an den Wochenenden, doch auch dies nicht regelmäßig.

      Glücklicherweise waren die Kommunikationsmedien in den „Neuen Bundesländern“ inzwischen auf einen befriedigenderen Stand gebracht worden, so dass sie fast jeden Tag miteinander telefonieren konnten. Wauer hatte sich zudem ein schnelles Sportauto der Marke „Audi“ zugelegt, mit dem er auf der im Rahmen des gigantischen Aufbauwerkes „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“ kürzlich freigegebenen, nagelneuen „Spreewaldautobahn“ von Berlin nach Cottbus die deutsche Hauptstadt in knapp drei Stunden erreichen konnte. Oft war er freitags spätabends noch losgefahren, um zu seiner geliebten Schwangeren zu kommen.

      Es war „seine“ dritte Schwangerschaft, doch darüber schwieg er selbstverständlich, wenn er in Berlin war. Aber er konnte nicht ganz verhindern, dass er bei der Betrachtung ihrer beachtlichen Rundungen gelegentlich an die verrückte Zeit mit Helga dachte, die ihn bis zu ihrer Entbindung als geradezu sexsüchtige Schwangere regelmäßig seiner Wohnung in der Libauer Straße, nahe des S-Bahnhofs Warschauer Straße, besucht und es dort ziemlich wild mit ihm getrieben hatte. Es war damals freilich nicht sein Kind gewesen, mit dem sie schwanger ging. Während der Zeit ihrer Trennung hatte sie ihren Kopf durchgesetzt und sich von ihrem Mann schwängern lassen. Als er dann sein Vorhaben, nach dem Westen abzuhauen, an jenem denkwürdigen Budapester Abend aufgegeben und sich gleich nach seiner Rückkehr bei ihr meldete, hatte er diese verrückten Monate mit ihr erlebt. Seither liebte er schwangere Frauen außerordentlich und wurde immer ganz unruhig, wo auch immer er eine sah.

      Im neuen Gesamtdeutschland verlief sogar eine Schwangerschaft ganz anders, als in den so genannten sozialistischen Zeiten. Die Krankenhäuser waren mit neuartigen, komfortablen Geburtsabteilungen ausgestattet, welche die Frauen, die ein Kind erwarteten, vorher besichtigen konnten, um sich auszusuchen, auf welche Weise sie es zur Welt bringen wollten. Möglich war das auf einem ganz normalen, jedoch vielfach verstell- und anpassbaren Geburtsstuhl, aber auch unter Wasser in einem Geburtsbecken, auf einem Ringhocker oder an einer Sprossenwand; hängend, liegend oder hockend, je nachdem, wie es der Gebärenden am angenehmsten war.

      Wie anders hatte ihm das seine erste Frau Barbara von der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Lothar berichtet. Damals, 1972, lagen gleich mehrere niedergekommene Frauen in einem Raum, nur durch spanische Wände voneinander getrennt. Lediglich zum eigentlichen Geburtsakt wurden sie dann in den Kreißsaal geholt und auf den berüchtigten „Pflaumenbaum“ gelegt. Und die Kindesväter wurden an der Kliniktür kurz angebunden abgewiesen und nach Hause geschickt. Dennoch, oder vielleicht deswegen, konnte die DDR eine der niedrigsten Sterblichkeitsraten bei Säuglingen nachweisen.

      An der Geburt seines zweiten Kindes wollte Wauer aber unbedingt teilnehmen. Er hatte Sibylle darum gebeten und sie hatte ohne weitere Diskussionen zugesagt. Wie gerne wäre er auch früher schon dabeigewesen, bei Lothar oder sogar bei seiner „Hexe“ Helga. Wie gut aber, dachte er rückblickend, dass alles genau so gekommen war, wie es gekommen war.

      Bereits im April war eine Chorionzottenbiopsie durchgeführt worden; nunmehr medizinische Routine bei Schwangeren über fünfunddreißig Jahre. Alles war gut gewesen. Auf die im Mai angebotene Fruchtwasseruntersuchung und einen Triple-Test hatte Sibylle jedoch verzichtet. Sie hatten sich natürlich beide belesen, welche Risiken für „ältere“ Ehepaare bei der Kinderzeugung bestanden. Gerade bei ihm, dem Nochkriegsgeborenen, der als Kind und Jugendlicher in einer Atmosphäre von mehr als weltweit tausend überirdischen Atombombenversuchen aufgewachsen war, bestand die Gefahr der Schädigung der Fortpflanzungschromosomen in besonderem Maße. Dennoch hatte er Sibylles Entscheidung unterstützt, während der Schwangerschaft nichts über Erbkrankheiten, Chromosomenstörungen, Fehlbildungen oder ein Down-Syndrom ihres Kindes wissen zu wollen.

      Sie hatten auch eine Weile gezögert, sich das Geschlecht ihres künftigen Ablegers mitteilen zu lassen.

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