I Ging. Andrea Seidl
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Inmitten der Erde ist Wasser: Das Bild des Heeres.
So mehrt der Edle durch Weitherzigkeit gegen das Volk seine Massen.
Dieses Bild zeigt uns, wie sich abseits unserer Blicke, unter der Erdoberfläche, große Mengen Grundwasser ansammeln – ein Symbol der unberechenbaren Macht des Urelements Wasser, das die Menschheit vor immer neue Herausforderungen stellt.
Ähnlich unsichtbar, aber schlagkräftig war die Heereskraft im feudalistischen China: Da eine allgemeine Wehrpflicht galt, verfügte das Land über ein enormes latentes Machtpotenzial. Die unzähligen Menschen, die in Friedenszeiten als Bauern auf dem Feld arbeiteten, konnten ja umgehend zu Soldaten werden, sobald dem Reich Gefahr drohte. Da aber nur ein reiches und wohlgenährtes Volk eine effektive Streitmacht stellen kann, muss ein kluger Landesherr das Seine tun, indem er seine Untergebenen freundlich und weitherzig behandelt. Nur wenn ein Herrscher dieses unsichtbare Band beständig pflegt, kann er siegreiche Schlachten schlagen. - Und das gilt nicht nur im militärischen Sinn: Denn die wirkliche Funktion einer Armee liegt ja nicht im Kämpfen, sondern in dienenden Funktionen zur Verteidigung der gemeinsamen Lebensgrundlagen.
Auch wenn diese Metapher sehr kriegerisch daherkommt, hat sie durchaus Relevanz für unseren weitgehend friedlichen Alltag. Sie ermahnt uns, unsere Ziele strategisch zu durchdenken und auf Integration hin anzulegen. Da niemand auf Dauer alleine bestehen kann, brauchen wir loyale Verbündete, denen wir allerdings auch eigenen Spielraum zugestehen müssen.
Vereinte Durchschlagkraft
Das Heer braucht Beharrlichkeit und einen starken Mann.
Heil ohne Makel.
Das Bild der streitbaren Armee kann uns viel darüber lehren, wie wir uns selbst motivieren und unsere Energiereserven mobilisieren können, um ein inneres oder äußeres Ziel zu erreichen.
Eine Truppe ist nur dann schlagkräftig, wenn sie einheitlich und geschlossen auftritt, deshalb sind hier Zucht und Ordnung das oberste Gebot. Idealerweise stammt der Heerführer wie seine Soldaten aus dem einfachen Volk: er ist einer der Ihren und versteht ihre Anliegen. Da er über große Erfahrung verfügt und ein gerechtes Anliegen verfolgt, vertrauen ihm seine Leute. Darüber hinaus gibt er die moralischen Richtlinien der Truppe vor: Sein Wort ist Befehl, denn ohne eine straffe Führung wären Chaos und Meuterei an der Tagesordnung. Allerdings wird ein guter General die nötige Disziplin nie mit Gewalt erzwingen. Es ist vielmehr sein persönliches Charisma, das die wirre Schar der einzelnen Soldaten zu einem starken Heer zusammenschweißt, ihre begeisterte Zustimmung weckt und sie auf diese Weise zum Sieg führt.
Dieses Hexagramm spielt auf die enormen unterschwelligen Kraftreserven an, die ziellos in uns schlummern und darauf warten, genützt zu werden. Wir tragen in uns ja ein breites Spektrum seelischer Möglichkeiten, das allerdings darauf angewiesen ist, von einem starken Ich zu einem flexiblen, einsatzbereiten Team vereinigt und angeführt zu werden.
Die Parallele zu äußeren Gruppen aller Art gibt uns einen Hinweis darauf, wie wir zum geschickten „Teamleiter“ unserer seelischen Anteile werden: Effektiv sind wir nur dann, wenn wir die gemeinsamen Energien bündeln und auf ein Ziel hin ausrichten. Das erfordert Führungsqualitäten, Kampfgeist und Risikobereitschaft. Mit Zwang und Drill werden wir unsere inneren Mitstreiter wohl kaum überzeugen können. Repressive Methoden führen höchstens dazu, dass sie sich querstellen und Widerstand leisten. Stattdessen müssen wir unser inneres Heer zu Zusammenhalt und Selbstdisziplin erziehen. Am besten begeben wir uns dazu wie ein Feldherr unter unsere Leute, um uns umzuhören, die Gegebenheiten zu analysieren und daraus eine kluge, realistische Taktik zu entwickeln, wie die vorhandenen Hürden zu bewältigen sind. Wir müssen unseren Truppen deutlich vermitteln, worum es geht - nicht durch Machtgesten, sondern indem wir sie umfassend aufklären und Verständnis schaffen. Wer ihnen das Warum und Wozu einleuchtend erklärt, weckt ihre Bereitschaft, an einem Strang zu ziehen, um das Problem aus der Welt zu schaffen. So kann es kraft eines klaren und disziplinierten Urteils gelingen, Trägheiten und Widerstände zu besiegen. Gewaltakte sind völlig überflüssig, wenn wir in reifer Selbstverantwortung bereit sind, die „Armeen gegen uns selbst marschieren zu lassen“.
Wenn dieses Hexagramm fällt, geht es oft um Fragen unserer persönlichen Integrität, die mit einem Gefühl von Traurigkeit, Depression oder Resignation verbunden sind. Es kann durchaus Angst machen, den Regungen unseres emotionalen Grundwassers zu begegnen. Versäumen wir aber, es zu kanalisieren, riskieren wir eine Überschwemmung. Deshalb brauchen wir Vertrauen in das starke Zentrum unserer Seele, das sich im Bild des Heerführers manifestiert, der die Zügel in die Hand nimmt und Ordnung schafft.
Wenn du den Feind und dich selbst kennst,
brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten.
Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind,
wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden.
Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.
(Sunzi)
Die kosmischen Truppen
Auch in der kosmischen Dimension gibt es Kräfte, auf die das Gleichnis des Heeres passt. Diese kosmische Armee zieht ins Feld, sobald die natürlichen Harmoniegesetze verletzt werden. Sie greift ein, um Übergriffe abzuwehren. Oft meinen wir allerdings, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu müssen - dann ist aber das Ego im Spiel, mit dem Ergebnis, dass wir nichts lösen, sondern nur noch mehr Widerstand erzeugen. Immer wenn wir uns eigenmächtig verteidigen, stärken wir damit automatisch auch das Ego unserer Kontrahenten. Wenn wir dagegen auf ein willkürliches Eingreifen verzichten, können die kosmischen Truppen auf den Plan treten, um dem karmischen Prinzip Geltung zu verleihen, dass grundsätzlich alle negative Energie zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt.
Weit davon entfernt, auf die Kräfte des Kosmos zu vertrauen, übt sich das kollektive Ego lieber selbst in Wehrhaftigkeit. Seine sogenannte „Selbstverteidigung“ kann ganz unterschiedliche - defensive und offensive - Formen annehmen, die aber ausnahmslos Unheil säen – angefangen bei scheinbar harmlosen passiven Formen der Aggression über verbale Verletzungen bis hin zum Rechtsstreit oder Krieg. Sollten wir uns auf solche zerstörerische Weise verstrickt haben, besteht ein Ausweg darin, uns noch in diesem Augenblick an die kosmischen Truppen zu wenden und um Beendigung unseres persönlichen Krieges zu bitten. Natürlich geht das nur, wenn wir bereit sind, unsere Beschuldigungen und Hassgefühle zurückzunehmen, und den verbissenen Wunsch aufgeben, zu siegen oder Recht zu bekommen. Wir müssen uns daran erinnern, dass auch Menschen, die üble Dinge tun, nicht per se „schlecht“ sind. Sie sind weder „hoffnungslos“ noch „unmenschlich“, sondern sie stehen unter dem Einfluss von destruktiven Etiketten, Selbstbildern und Glaubenssätzen. Wenn wir ihre Verirrungen klar zurückweisen, ohne sie durch übertriebene Aufmerksamkeit zu nähren, senden wir ein stärkendes Signal an ihr wahres Selbst und geben ihnen die Chance, sich selbst zu korrigieren.
Darüber hinaus könnten wir in kritischen Momenten wie jetzt auch leicht in den Fehler verfallen, gegen die ganze Gesellschaft zu wettern oder das kollektive Ego anzuklagen. Doch damit würden wir nicht nur Widerstand wecken, sondern uns auch in negative Gefühle hineinsteigern, die das Ego wieder mit Energie füttern. Wir dürfen nicht vergessen: das kollektive Ego ist keine faktisch vorhandene dämonische Macht, sondern nichts als ein Komplex von Illusionen, der nur deshalb so mächtig ist, weil wir seine Autorität anerkennen.
Wandellinie