Italien mit allen Sinnen. Otto W. Bringer
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Wir schlendern durch die Straßen. Die Häuser sind freundlich und hell, aus gleichem Stein die Fassaden. Man findet ihn vor der Haustür, im julischen Kalksteingebirge nördlich von Triest. Genau genommen stammen nur vier oder fünf Palazzi und Wohnhäuser aus der Hand Palladios. Alle anderen sind von späteren Kollegen nachempfunden. Wo ist das Teatro? Meine Neugier wächst. Da der Bau an der Ecke. Wie viele Schätze äußerlich bescheiden. Aber drinnen.
Wir verhalten unsere Schritte. Als beträten wir eine Kirche. Der Raum wie eine Muschel erster Eindruck. In der Nase Holz. Warmtonig duftendes Pinienholz. Alles aus Holz. Das Rund der Bänke bis obenhin. Der Boden, die Decke. Die Bühne. Die Kulisse einer Stadt aus Holz, die Stein vortäuscht. Straßen, Paläste, Skulpturen von Pinselquälern steingenau gestrichen. „Immer dasselbe Bühnenbild?“ Rose fragt, denkt an Peter Stein. „Stein inszenierte ‚Carmen’ in einem Straßenbahndepot“, erinnere ich.
Damals zu aufwendig. Handlung war wichtiger. Wie in griechischen Theatern. Wir klettern die Sitzstufen hinauf bis obenhin. Setzen uns, umarmen uns, als es dunkel wird. Wo sind die Lampen? Pst! Ein Schauspieler kommt. An der Kasse sagte man uns, er lese eine Rolle aus Molières ‚Don Juan’. Er liest. Gestikuliert mit den Armen. Schreit. Singt fast. Flüstert einen endlos langen Monolog. Gehört habe ich alles, sogar die Flüstertöne. Nur nicht verstanden. Parlando Italiano.
Theaterstücke hier müssen gut sein. Wie Wein in alten Eichenfässern „Jetzt aber zur Basilika. Rose drängt. Es fällt mir schwer, den hölzernen Tempel zu verlassen. Nicht weit gelaufen, schon öffnet sie die Piazza. Baut sich der Palazzo della Regione, die Basilika vor uns auf. Schon die Römer versammelten sich in einer Basilika. Um zu bereden, was zu tun ist. Es musste ein prächtiges Haus sein. Eines, das Eindruck macht.
Palladio hat diese Idee erfasst. Die Basilika in Vicenza machte ihn mit einem Schlage berühmt. Wir umrunden den Koloss. Langsam. Damit uns nichts entgeht. Betrachten die doppelten Säulen. Die Proportionen der übereinandergestellten Arkaden. Das ganze Gebäude eine Reverenz an die Antike. Neu gedacht und ausgeführt. Überdacht von einem modern wirkenden Kupferdach, das im Laufe der Jahrhunderte Grün angesetzt hat. „Wunderschön das Grün gegen den blauen Himmel.“ Rose begeistert.
Palladio, Denkmal geworden, hat jetzt andere Maßstäbe. Rose ist zufrieden. Ich bin zufrieden. Zufriedener als gestern. Setzen uns vis à vis der Basilika an einen Tisch des ‚Gran Café Garibaldi’. Genießen Palladio und ‚Fegato Veneziana’. Begießen den Unterschied von Mann und Frau. Ich denke, es gibt zwar den ‚Goldenen Schnitt’. Aber Stimmiges schafft nur ein Naturtalent. „Bin ich eines?“ Rose sieht mich an, das Fältchen an ihrem linken Auge zittert: „Hast andere Talente.“
Rose freut sich auf die Villa Rotonda. Schöne Häuser liebt sie schon von Kindesbeinen an. Ihre Großeltern besaßen eine Jugendstilvilla. Die meisten Häuser haben Vorbilder. Doch wo sind die Originale? Wir fahren ein paar Kilometer ins Land. Sehen schon von ferne Palladios Rotonda aus der Ebene ragen. Wie eine Akropolis.
Uneingestandenes Vorbild für Architekten bis heute. Ihrer Spannungsverhältnisse wegen, die einfach stimmen. Wir werden sehen. Zwischen Mauern eine lange Zufahrt. Lassen den Wagen unten. Gehen hinauf auf den Hügel. Es zieht sich. Denke mit Absicht. Klein sind wir geworden beim Aufwärtsklettern. Die Knie weich. Als wir endlich vor den Stufen des Portikus landen.
Zuerst mal setzen. Absichtslos streicht meine Hand über den rauen Stein der Säule. Einer der sechs, die den Portikus bilden. Lange Vergessenes überfällt mich. Als Praktikant auf der Baustelle. Rieche nassen Mörtel. Spüre die dreißig Kilo in der Back auf meiner Schulter. Höre den Boss schreien: ‚hierher!’ Schwanke auf langer Leiter bis unters Dach. Praktikantenschicksal.
Wie haben sie nur die dicken Säulen herbei geschafft und senkrecht gestellt? Mächtig der Portikus. Mit skulptiertem Giebel über sechs korinthischen Säulen. Großartig die Gestaltung des Eingangs. Die quadratische Villa hat vier. An jeder Seite einen. Sehr praktisch. Großzügig alles. Ich könnte neidisch werden. Wir gehen hinein, eine Tür geöffnet. Wände so hoch, dass sie niemand zu putzen braucht. Bodenfliesen im Schachbrettmuster so weit, so glänzendglatt, dass Knaben Skateboard rasen konnten. Hätten sie eines gehabt.
Verschwenderisch bemalt mit Figuren und allegorischen Szenen. So, als ob sie plastisch wären. Arme strecken sich uns entgegen. Ein Fuß. Die Kanne der Magd, gefüllt mit Wein? Das ganze Haus belebt von Wesen, die es nicht gibt. Illusion ist alles. Bei genauem Hinsehen erkennen wir, alles ist praktisch, nicht nur schön. Die Wege kurz. An allen vier Seiten Blick frei in die Landschaft. Die ganze Maßlosigkeit im Maß der Antike.
Palladio verband das Schöne mit dem Nützlichen. Rose ist begeistert. „Hier möchte ich wohnen.“ Klingt wie ein Seufzer.
Andere seiner Villen dienten Landlords als sommerlicher Wohnsitz. Mit Räumen für Personal, Tiere und landwirtschaftliches Gerät. Sie besaßen viele Hektar Grund und Boden, der mit Wein, Korn und Gemüse für Vollbeschäftigung und gute Rendite sorgte. Hinreißend schön die gestreckten Baukörper solcher Villen. ‚Villa Barbaro’, ‚Villa Emo’. Ihre Mitte betont ein Säulenportikus. Ich bin richtig verknallt in diese Bauwerke. Gefühl und Verstand haben keine Worte, diesen Eindruck zu beschreiben. So als schaue ich Rose an. Architekten können auch Wunder bewirken. Rose möchte am liebsten sofort eine kaufen. Sie ist den Villen stärker noch als ich verfallen. Sie liebt ihre Seele. Ich die äußere Hülle.
Wir entschließen uns, keine zu kaufen. Trotzdem werden wir die anderen im Veneto demnächst besuchen. „Ich bring ein Blümchen mit“, verspricht Rose. Als wohnte dort jemand, den sie kennt.
Kaum zuhause, entwerfe ich einen Innenkamin für unseren Wohnraum. Mache ein Modell. Lasse den Baumeister kommen, der es schnell realisiert. Wir können es kaum erwarten. Natürlich hat er einen römischen Bogen. Eine gemauerte Stufe hoch zur Feuerstelle. Einen plastischen Feuersalamander auf dem Stufenstein. Von Freund Alois. Allegorie für unsere Liebe. Auf dass sie nie und niemals erlischt.
LUCCA – Männerbeine und Sankt Michael
Lucca im Nordwesten Italiens war im frühen Mittelalter eine reiche Stadt. Hier wirkten die Weber wertvolle Stoffe. Ihre Seide war in ganz Europa berühmt wegen der unübertroffen großen Farbpalette. Samt und Brokat waren mit Goldfäden und Edelsteinen verarbeitet. Daher der hohe Preis. Königs- und Fürstenhäuser zahlten in barer Münze. Sie hatten viel davon. Und sei es nur geliehen. Bei Bankern wie Fugger zum Beispiel. Hauptsache, sie konnten angeben.
Männer ließen sich golddurchwirkte Bänder weben. Banden sie um ihre Oberschenkel, um den Frauen zu imponieren. Wer ist der Schönste im ganzen Land? Zeitgenössische Berichte beschreiben es in allen Einzelheiten. Der Leser muss wissen, damals schrieb die Herrenmode statt Beinkleider hautenge Strumpfhosen vor.
Lucca wurde berühmt und reich. Dom und die zwei wichtigsten Kirchen nahe der Stadtmauer zeigen es jedem. Der sogenannte Pisaner Stil charakterisiert alle Bauten. Also halbplastische Arkadenbögen statt glatter Fassadenflächen vorher. Oder als offene Galerien. Der schlanke Kampanile steht nebendran. Die Kathedrale San Martino strotzt mit extrem hoher Westfassade. Ebenso San Michele