Italien mit allen Sinnen. Otto W. Bringer
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Ob sie mehr Raumluft für kranke Lungen im Kerzendunst wollten, darf bezweifelt werden.
Die Fassade konnte nicht anders, sie musste höher werden. Auch höher als das Langhaus. Sie war das Vorzeigeobjekt jedes Bauherrn, Fürst oder Bischof. Jeden Aufwand wert. Hier mit durchlaufend horizontalen Arkaden und Zwerggalerien. Sie bringen Ruhe und Rhythmus gleichermaßen auf die Flächen.
Außergewöhnlich und attraktiv die fünfstöckige Fassade von San Michele. Über dem geschlossen wirkenden Baukörper des untersten Geschosses vier offene Galerien. Ihre Säulen scheinen gedrechselt zu sein. In einer Formenvielfalt, die wir sonst nirgends sahen. Jede ist anders. Fantasiereicher.
Nach oben werden die Säulen immer kleiner, zierlicher. Himmelwärts über dem massiven Untergeschoss liftet sich sozusagen die Wand. Endet im schmaleren Giebel. Auf ihm thront ein riesiger Sankt Michael. Im Rücken gestützt von einem potthässlichen Eisengerüst. „So sind die Italiener. Vorne hui. Hinten pfui.“ Sagte meine Großmutter. Hier sehe ich das anders. Fassaden sind der Gipfel einer künstlerischen Entwicklung. Reine Schönheit. Auf Hinterhöfen sähe sie niemand. Nicht nur Menschen dürfen zeigen, was sie können, auch Kirchen.
Rose stimmt mir zu. Lacht: „ChouChou, ohne Dich könnte ich vieles nicht so sehen.“ „Verlass Dich auf Dein Gefühl“. Hast bisher immer richtig damit gelegen. Was sind schon Worte? Wie schrieb Goethe: „Wenn Ihr´s nicht fühlt, Ihr werdet´s nicht erjagen.“
Die reich gewordene Stadt beschloss, sich mit einem Befestigungsgürtel zu umgeben. Sicherheitshalber. Die Stadtstaaten damals überfielen sich am laufenden Band. Lucca lockte. Sein Reichtum war bald über die Grenzen hinaus bekannt. Zog Kaufleute und Künstler an. Heilige hatten sie ohnehin, mit ihnen auch Wallfahrer und zusätzliche Einkünfte. Konkurrierende Städte sowieso.
Bis dann im 14. Jahrhundert soziale Unruhen ausbrachen. Die Weber flohen und verlegten ihr Geschäft nach Venedig. Damit war die Grundlage des Reichtums weg. Das schöne Stadtbild aber ist geblieben. Bis heute. Wir durchqueren es von Südost nach Nordwest.
„Lass uns zum Antikmarkt gehen. Gleich um die Ecke.“ Rose möchte private Geschichten erleben. Wir schlendern los. Aus Porzellanvasen winken Puppen mit dem abgewinkeltem Celluloidarm, den die Fabrik ihnen mitgegeben hat. „Ich hätte gern auch den Ellenbogen meiner Billa bewegt.“ Rose schmollt wie ein kleines Mädchen. Küsse ihre unschuldige Wange. Da, zwei Messingkübel mit dickverstaubtem Adler-Ornament. Viel leicht aus einem Generalshaushalt. Und lange nicht geputzt. Wer weiß schon, ob ein Altertümchen alt ist? In Lucca ist das nicht anders als in Düsseldorf oder Freiburg.
Schnell noch ein Foto vom alten Lehnsessel für die Lucca-Story in meiner Dia-Show. Dann sind wir auf der Promenade. Flanieren über den roten Kies, schweben auf Wolke siebzehn. Die Akazien kühlen unsere Stirn mit grünem Schatten. San Martino schickt seine Glocken los, uns zum Himmel heimzuholen. In dem wir schon lange sind. Der Mesner weiß es nur nicht. Vom Gesang der Amsel lassen wir uns in die schönste Stimmung singen. Der Duft dunklen Kaffees lockt uns in die nächste Cafeteria. „Oh mia Rosa.“
Wir sind rundum glücklich. Planen den nächsten Besuch im Klosterhotel von Pistoia. Hundertzehn Kilometer östlich von Lucca. Richtung Florenz. Auf unserer Landkarte stehen noch viele Orte, die wir kennenlernen wollen. Damit wir vergleichen können. Zwischen Vergessen oder Wiederkommen. Eines Tages.
Am Ende unseres Spaziergangs in Lucca San Frediano. Nicht weil diese Kirche die sehenswerteste, also ein Höhepunkt ist. Sondern weil sie an unserem Heimweg liegt. Hier wieder die überhöhte Fassade. Es muss damals ein Bilderwahnsinn geherrscht haben. Hier schmückt die Fassade ein riesiges Mosaik der Himmelfahrt. Engel zur Seite, natürlich. Und eine große Volksmenge darunter, die jubelt. Es wird dunkel. Die Szene verschwimmt ins Ungenaue. Wir fahren ins Hotel.
Die Locanda mit dem schönen Namen Elisa empfängt uns zwar mit hell erleuchteten Fenstern. Verabschiedet sich aber zur Nacht mit einem verbrannten Abendessen. Nun ja, den Lucca-Tag verdirbt es uns nicht. Werden ihn nicht vergessen. Brokatbänder um Männerschenkel nicht. Den riesigen Michael nicht. Die Amsel im Ohr.
BONAVIGO – am liebsten Liliputfeigen
Wir wohnen zum ersten Mal in Montegrotto. „Mache eine Fangokur mit Massage. Am besten in Italien.“ Empfiehlt Rose mit Nachdruck. Mein Rücken ist keiner der stabilsten. Die Lendenwirbelsäule unreparierbar. Der erste Hexenschuss war dramatisch. Kaum schoss mich dieses Scheusal ins Kreuz, rast Rose mit mir zu ihrer Ärztin, die auch Freundin ist. Kennen sich von der Reiterei. Alexa, so heißt sie, jagt mir eine Superampulle ins na ja, Sie wissen wohin. Nach einer Stunde bin ich die Schmerzen los. Für lange. Leider geht das mit dieser Kalorienodersonstwasbombe nicht lange. Nebenwirkungen sollen Kreislaufkollapse verursachen. Gesetzlich verboten.
Also Montegrotto. Im ‚Des Bains’ haben wir alles beieinander. Ein schönes, großes Zimmer mit Terrasse. Den Park mit Rennstrecken für kleine Wauwaus. Freunde Orth haben einen niedlichen Rauhaardackel. Der dreiteilige Pool amüsiert uns mit allerlei Düsenspielarten. Das Frühstück ist italienisch karg. Brötchen und Marmelade. Tee oder Kaffee.
Später passte sich Signore Baretello den germanischen Ansprüchen an. Von wegen Spiegelei und Wurst und Schinken. Wir mögen die italienische Art. Sind sie in Reinkultur von Amalfi gewöhnt. Kein Problem. Vor allem, weil das Abendmenü auch tipico Italiano ist. Mit allen Geschmacksvarianten, die ein guter Koch aus Naturprodukten herauskitzeln kann. Büffelmozarella zum Beispiel.
Ich ertrage das für mich ungewohnte frühe Aufstehen mit Mühe. Sechsuhrdreißig! Die heiße Fangopackung in meinem Rücken. Das sprudelnde, ozonhaltige Bad. Die halbe Stunde danach in meinem Bett. Rose hat Zeit, sich derweil in aller Ruhe ihrer Schönheit zu widmen. Die Nachmittage sind frei von Behandlungszwängen.
Fahren in die weitere Umgebung. Gemischt wildes und kultiviertes Mittelgebirge. Nennt sich Colli Euganei. Die Hügel des Eugen. Wer immer das war. Die Landschaft von schmalen, gewundenen Straßen durchquert. Rechts und links Akazienwälder. Weinfelder. Gemüse, Salate. Hin und wieder eine Wiese, die ein Pferd ganz für sich hat. Zum Stehen und gelegentlichen Wiehern. Auch Rösser brauchen Gespielinnen. Wir machen Umwege. Durch Lonigo, San Bonifazio, um sozusagen hintenherum nach Bonavigo zu kommen.
Drei Häuser am Hang. Eines mit offener Terrasse, umstanden von erwachsenen Ahornbäumen. Parkfläche. ‚Al Sasso’ auf einem bescheidenen Schild über der Tür. Versuchen wir´s. Öffnen die Tür, sie geht nach außen auf. Vorschriftsmäßig. Denn wenn´s brennt, weicht die Tür dem Druck der Flüchtenden nach draußen von selbst. In einer Art Diele eine Vase mit voll aufgeblühten weißen Dahlien zwischen zwei Türen. Dahinter wohl Gasträume.
„Möchtest Du rechts oder links?“ Rose denkt einen Moment nach, geht nach rechts. Als hätte sie gerochen, wie es darin aussieht. Immer ahnt sie mehr als ich. Heute auch wieder. Schöner, heller Raum. Holzdielenboden. Frisch glänzend. Bienenwachsduft. „Gut gerochen Rose.“
Sie lächelt. Vier Fensterchen mit luftigen Tüllgardinen lächeln zurück. Weißtuchgedeckt die Tische, von einer Bank umwinkelt. Na ja, nicht ganz leicht für einen kräftig gebauten Mann wie mich, seinen Korpus zwischen Bank und Tisch zu lancieren. Bis er endlich auf dem angepeilten Platz platznehmen kann.
Inzwischen ist Bedienung da. Ein hellblondes Mädchen, das kein Deutsch spricht. Aber fließend Italienisch. Zum Glück verstehen wir das meiste. Außerdem ist die Speisekarte dreisprachig. Italienisch. Französisch. Englisch. In einer der drei Sprachen findet jeder sein Überraschungsmenü. Nicht lange und alle Tische sind besetzt. Neben uns zwei