Italien mit allen Sinnen. Otto W. Bringer

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Italien mit allen Sinnen - Otto W. Bringer

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und stolz in eine Richtung schauen. Wie festgefroren am weißen Marmorsockel. Diese Hüter alter Ordnung stehen an allen Brennpunkten venezianischen Lebens. Hier vor der Piazetta dei Leoncini. Hinter dem Markusdom. Solche Markenzeichen können wir nicht übersehen. Es gibt Hunderte von ihnen. Der wichtigste Löwe am alten Hafen hoch auf der Säule vor dem Dogenpalast.

       „Wer lieh dem Löwen das Gesicht? – die Stirn mit der zornigen Falte? den Blick, der bis Jerusalem reicht – das Maul, das Litaneien gesungen – und hundert Sklaven verschlungen hat – aus den herab gelassenen Lippen tropft Regen – und die Tauben machen mit ihm, was sie wollen.“

      „Sind Deine Fragen beantwortet, Rose. Zufrieden?“ „Ich wollte die Gedichte nur noch einmal aus Deinem Mund hören. Hier, am Ort Deiner Inspiration. Sie sind so authentisch.“ Roses Antwort macht mich glücklich. Könnte sofort wieder schreiben. Verse gelingen mir nur an Orten, die mich in meiner Sprache begrüßen, wenn ich ankomme. Mich wieder gehen lassen, ohne zu jammern.

       „Was ist es, das uns beim Anblick alter Paläste so rührt? – die schönen Fenster mit dem Nichts dahinter? – der dumpfe Geruch der Jahrhunderte? – das Schluchzen des Wassers an den Rändern der Zeit? – es ist das Ende von allem, was uns rührt – und der Anfang von immer Neuem.“

      ‚Ai Gondolieri’ winkt mit rotgrünen Lampengirlanden, als wir uns nähern. Die Türe ist offen. Duft kommt uns entgegen. Mit dem Stimmengewirr von Leuten, die das Heute feiern. Wir sehen uns an: „Andiamo dentro, gehen wir hinein.“ Rose schubst mich. Sie weiß, ins Restaurant geht der Mann zuerst. Zu schnuppern, ob die Luft rein ist. „Vedo un tavolo vuoto“, sehe einen freien Tisch. Es soll alles schmecken, was heimische Köche für Einheimische kochen. Jenseits vom touristischen Einerlei.

      Cuocca, die bessere Hälfte des Kochs, steht am Herd. Wir sehen sie mit Töpfen und Pfannen hantieren. Hören sie rufen, andere antworten. Das Stimmengewirr im Gastraum dazwischen wie Watte. Erinnert an die ‚Colomba’, Taube gestern.

      Hier zaubert uns die emsige Köchin Crespelle con spinaci e salmone auf die Teller. In Eierküchlein eingerollter Lachs plus Spinat, mit Käsesahnesosse übergossen, knusprig überbacken. „Siehst du ChouChou, Frauen bringen die schönsten Gedichte nicht zu Papier, sondern auf die Teller“, meint Rose. Ich antworte in einer nicht ganz unbekannten Sprache: „Opera d´arte tipicalmente femminile. Könnte von mir sein.“ Für sprachunkundige: Typisch weibliches Kunstwerk. Jeder mache sich seinen Reim daraus.

      TORCELLO – der ‚Jüngste Tag’ für Angsthasen

      Venedig ist nicht allein die von Meerwasserarmen durchströmte größte Kunstsammlung in der Lagune. Auch auf anderen Inseln finden wir reichlich Sehenswertes. Die vorgelagerten Inseln waren im frühen Mittelalter wichtige Anlaufpunkte des Seeverkehrs im Mittelmeer. Bis nach Indien. Isola Murano zum Beispiel wuchs im dreizehnten Jahrhundert zur wichtigen Handelsmetropole. Als Venedig die Glaswerkstätten wegen hoher Brandgefahr aus der Stadt auf die vorgelagerte Insel verbannte. Murano war bald größer als Venedig. Mit über zwanzigtausend Einwohnern.

      Die schönsten Glasgebilde früherer Zeiten sehen wir uns in den Vitrinen der Werkstätten und in Museen an. Nur angeschaut. Nicht angefühlt. In Palästen und feudalen Villen sehen wir alt gewordene Kronleuchter buntglasfröhlich elektrifiziert an hohen Decken baumeln. In Schränken und auf Regalen drängen sich Glaskrüge, Karaffen und Lichtleuchter. Seit Generationen unwiderlegbare Beweise früheren Wohlstands. Und überragender Glasmacherkunst. In Palladios Villen fotografiere ich das ein und andere. Hätten das Glas gern mit den Händen gefühlt.

      Wie wir sehen, blasen die Handwerker immer noch fleißig ins zähflüssige Glas. Damit es die gewünschte Form annimmt, solange die Masse noch verformbar ist. Heraus kommen dabei Modelle nach alten Vorbildern. Kenner wollen das. Moderne Glasgebilde sind nicht sonderlich gefragt.

Frankreich

      Modische umso mehr. Rose entdeckt ihre antike Seite: „Wir kaufen ein Trinkgefäss nach römischem Vorbild. Hier dieses Rot ist meine Lieblingsfarbe bei Glassachen.“ „Einverstanden.

      Gefällt mir auch gut.“ Nehme das Glas in die Hand. Spüre seine Rillen wie einen Fingerabdruck. Jetzt haben wir ein zweites Altertümchen in unserem modernen Haus. Rose: „Es wird noch nicht das Ende sein“. „Ei gucke an“ entfährt es mir. „Rose auf Entdeckungstour.“

      Auf Mallorca kaufte ich für Rose eines der seltenen Zwillingskännchen für Öl und Essig. Konnte ihren bittenden Augen nicht widerstehen. Bei uns verlor es ein bisschen an Aktualität. Steht im Glasschrank, damit es nicht verstaubt. Und blankgeputzt an die südliche Hälfte der nördlichen Halbkugel erinnert. Dort geblasene Gläser haben die Farbenfreude von Menschen, die mit Morgenmeerblau aufstehen und bei silberrotschimmernden Sonnenuntergängen zu Abend essen. Das neu erworbene Glas passt in dieses Milieu. Frischt es auf für ein paar Monate. Uns reicht es. Suchen Neues. Immer wieder. Überall.

      Isola Burano, bekannt und berühmt für seine Spitzenklöppelei. Für manche ist es Stickerei. Obwohl der Höhepunkt des traditionellen Handwerks längst überschritten ist, klöppeln oder sticken sie unentwegt weiter. Sieht doch so schön aus, das Deckchen, der Tischläufer, der Fenstervorhänger. Erinnert an Omas Kaffeestündchen. Alle Menschen lieben ihre Omas. Ihre Kaffee- oder Teetassen auf Spitzendeckchen. Die sie auflegen, wenn wir sie besuchen. Auch uns wird es warm ums Herz, denken wir an Else Feldhoff, Roses Omi. Die leicht vergilbten Fadenkunstwerke passten zu ihr. Vielleicht gerade deswegen liebten wir sie.

      An der Isola di San Michele fahren alle vorbei. Tod ist kein Thema für einen kurzen Venedigtripp. Von Thomas Mann gehört, ja, aber selber sterben in Venedig will niemand. Verständlich. Wir riskieren es zu wissen, wie es aussieht hinter der Mauer, die die Insel rings umschließt. Lassen uns vom Bootstaxi hinüberfahren. Landen an. Steigen aus. Schon eigenartiger Besuch. Zahllose Gräber zu sehen. Grabsteine, kleine und große Tempel, Säulen mit und ohne Engel.

      Schwarze Zypressen dazwischen gesteckt als Abstandhalter. Es duftet wie auf allen Friedhöfen. Dunkel, harzig beruhigend grün. Wegen der zahlreichen Nadelbäume. Jüngeren Datums aufragende Steingebilde, in denen übereinander gestapelte Gerippe ihre allerletzte Ruhe finden. Platzmangel war der Anlass. Eine Insel kann man nicht so einfach vergrössern. Nach ein paar Jahren wird exhumiert und hoch gelagert. David Chipperfield soll dieses Problem für die Zukunft lösen. Das Niederlassungsareal vergrößern. Irgendwie. Rose ist auf San Michele nicht gerade glücklich. Froh, von Chipperfield zu sprechen. Und seinem Berliner Museumsumbau. „Er hat mich sofort überzeugt“, sagt sie.

      „Obwohl wir seitdem noch nicht in Berlin waren, kennen wir die Architektur, die Altes mit Neuem verbindet. Genial. Die Dokumentation im Fernsehen beeindruckte mich sehr. Dein Andrea Palladio hätte seine helle Freude gehabt. Alles im Gleichklang, Alt und Neu. Auch hier auf der Insel wird er eine gute Lösung finden.“ Fahren weiter.

      Zur Isola Torcello. Unsere liebste Insel. Von magischer Anziehungskraft. Am östlichen Ende der Lagune. Einst als Hauptinsel größer und bedeutender als Venedig. Heute ein flaches Areal, auf dem alles zu schlafen scheint. Die wenigen Häuser. Die Kirchen. Die fünfundzwanzig Familien. Vielleicht ruht die Insel sich aus von den turbulenten Ereignissen in acht Jahrhunderten. Abseits eine Locanda für Leute, die Stille suchen. Mit noblen Zimmern und einer hoch gelobten Sterneküche. Ernest Hemmingway war Stammgast hier.

      Kaum haben wir über ein Brett vom Boot das Land betreten, wird der Weg sandig. Nur wenige Menschen mit uns unterwegs. Etwa einen Kilometer bis zu den beiden Kirchen. Rechts und links Artischockenfelder. Nichts als Artischockenfelder. Am blassblauen Himmel weiße Kumuluswolken. Mit dunklen Rändern. Kaum Wind. Meine Erwartungen sind gespannt bis zum Zerreißen. Foto

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