Festspiel Kurier #14. Nordbayerischer Kurier
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Eine der grundlegenden Forschungsfragen zu Wagner und Bayreuth ist, ob die Gedankenwelt des Komponisten nach seinem Tod in unzulässiger Weise verengt oder erweitert wurde – und welche Rolle Chamberlain dabei spielt. Schon Nietzsche hatte gegen jene Ideologen gewettert, „die Wagner mit sich selbst verwechseln“. Antimodernismus, Kulturpessimismus sowie Fremden- und Demokratiefeindlichkeit waren am Grünen Hügel schon zu Lebzeiten ihres Gründers virulent. „Wagner war ein durch und durch politischer Mensch“, sagt Bermbach und verweist auf seine Rolle in der Dresdner Revolution von 1849 oder als Ideengeber für den bayerischen König.
Für „völlig falsch“ hält Bermbach die These, erst Chamberlain habe Bayreuth politisiert. Fritz spricht in dieser Frage von einem „Prozess“. Die ursprüngliche Politisierung, etwa durch die Rassenfrage oder die Verknüpfung mit der Kunst, komme von Richard Wagner selbst – er sei die „Wurzel“. Doch die Kanalisierung, Überhöhung sowie die Konstruktion eines geschlossenen Weltbildes sei den Nachfolgern überlassen geblieben – Witwe Cosima, Hans von Wolzogen, langjähriger Schriftleiter der „Bayreuther Blätter“, sowie Chamberlain. Vor allem dieser habe die Bayreuther Ideologie in enger Verbindung mit Cosima Wagner weiterentwickelt.
Am 22. Juli 1914 wurden die Bayreuther Festspiele eröffnet. Doch sie standen angesichts der Entwicklungen von vornherein unter einem schlechten Stern. Viele Festspielgäste reisten bereits nach dem österreichischen Ultimatum an Serbien am 23. Juli 1914 wieder ab, „Parsifal“ musste bereits vor halbleeren Rängen gespielt werden. Siegfried Wagner gab zunächst die Parole „Wir spielen weiter“ aus, brach die Festspiele aber bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 1. August ab. Vom sprichwörtlichen August-erlebnis, das inzwischen als Mythos zur Stärkung des Durchhaltewillens der deutschen Bevölkerung entlarvt ist, war in Bayreuth nicht sonderlich viel zu spüren.
Am Grünen Hügel verkehrte es sich gar in sein glattes Gegenteil. „Die Bayreuther waren entsetzt über diesen Weltkrieg“, erläutert Bermbach. Man habe befürchtet, dass Deutschland nur verlieren könne. Wolzogen äußerte sich fast schon defätistisch über die Kriegsaussichten: „Sogar ein physisches Unterliegen ließe sich denken, wobei doch aber der moralische Sieg auf unserer Seite wäre.“ Chamberlain fürchtete um die Vorrangstellung des Reiches als europäische Wissenschafts- und Kulturmacht. Als „feindlicher Ausländer“ musste sich Wagners Schwiegersohn regelmäßig bei der Polizei melden, erst 1916 wurde er eingebürgert.
Mit den „Kriegsaufsätzen“ wies Chamberlain indes seine stramm deutschnationale Haltung eindrucksvoll nach. Die Aufsätze erschienen seit September 1914 und fanden weite Verbreitung. „Lauter 42-Zentimeter-Bomben“, so kündigte er seine Pamphlete martialisch an. Die Traktate sind im Ton allerdings eher zurückhaltend. Chamberlain formuliert keine Kriegsziele, sondern singt neben weitschweifigen kulturgeschichtlichen Abhandlungen das Loblied des vermeintlich friedlichen Deutschland, das von einer Welt von Feinden umgeben sei.
Die Kriegsschriften seien „sehr stark gegen England gerichtet“, so Bermbachs Befund. Chamberlain sieht Großbritannien als „treibende Macht“ auf dem Weg in den Weltkrieg an und beschimpft seine ursprüngliche Heimat als „Nation von Schafen“ und „Apotheose des Kleinhirns“. Bittere Klage führt er über die antideutsche Kriegspropaganda, hingegen lobte Chamberlain den fachmännischen Umgang der Soldaten mit Kunstwerken in den besetzten Gebieten. Angesichts der Begeisterung der Landser für die französische Gotik vergaß er indes das „Strafgericht von Löwen“ zu erwähnen, bei dem betrunkene Soldaten am 25. August 1914 nicht nur 200 Bewohner der belgischen Stadt umbrachten, sondern auch die berühmte Universitätsbibliothek in Brand steckten.
Im Verlauf des Weltkriegs habe Chamberlain nochmals eine „Form von Radikalisierung“ durchlaufen, so die Feststellung von Sven Fritz. So trat er gemeinsam mit einer Reihe von Wagner-Familienmitgliedern in den Alldeutschen Verband und in die Deutsche Vaterlandspartei ein. Im Haus Wahnfried erläuterte er den Frontverlauf an einer großen Karte. Zudem verknüpfte Chamberlain das Kriegsgeschehen zusehends mit dem Rassenkampf und dem Antisemitismus, der in den Kriegsschriften nur an wenigen Stellen vorkommt. Sein abgründiger Judenhass zeigte sich etwa, als er dem später als Reichsaußenminister von Rechtsradikalen ermordeten Walther Rathenau „Kriegswucher“ vorwarf.
Nach dem Krieg und dem Untergang der Hohenzollernmonarchie entstanden über Bayreuther Mittelsmänner rasch Kontakte zwischen Wahnfried und dem frühen Nationalsozialismus. Chamberlain rühmte Hitler, der ihn im Oktober 1923 besuchte, als „Mann der Vorsehung“ und sprach sich für einen antimarxistischen „Vernichtungskampf“ aus. Zwar gab es auch Differenzen zur NS-Bewegung – wie Wagner lehnte Chamberlain den Imperialismus als den Germanen wesensfremd ab. Doch die Nationalsozialisten vereinnahmten den Bayreuther Ideologen rasch für ihre Zwecke und warben etwa in Wahlkämpfen mit seinen markigen völkischen Sprüchen.
Udo Bermbach will Chamberlain allerdings nicht auf seinen Rassismus und Antisemitismus reduzieren, sondern seine gesamte Persönlichkeit in den Blick nehmen. Es gehe allerdings nicht darum, ihn zu rehabilitieren, „das muss und kann man nicht“. Als Wagners Schwiegersohn Hitler traf, saß er bereits im Rollstuhl, von einer schweren Krankheit gezeichnet. „Ich gäbe meinen linken Arm darum, als Deutscher geboren zu sein“, hatte Chamberlain lange zuvor gesagt. Ironie der Geschichte: Sein linker Arm wurde tatsächlich gelähmt. Nach langem Siechtum starb er am 9. Januar 1927 in Bayreuth. Bei der Trauerfeier sprach Adolf Hitler.
HOUSTON STEWART CHAMBERLAIN,
geboren 1855 in Portsmouth, England, ist der Verfasser der Schrift „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ (1899), das zu einem Standardwerk des rassischen und ideologischen Antisemitismus in Deutschland avancierte. Chamberlain war ein führender Vertreter des Bayreuther Kreises, der für sich in Anspruch nahm, die ideologische Prägung der Bayreuther Festspiele im Sinne des Komponisten weiterzuentwickeln, und heiratete 1908 Wagners Tochter Eva. Er starb 1927 in Bayreuth.
Der Autor:
Dr. Bernd Buchner ist Historiker und Journalist. Er war Kulturredakteur des „Nordbayerischen Kuriers“ und arbeitet heute als Redakteur für den Evangelischen Pressedienst (epd) in Frankfurt am Main. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er das Buch „Wagners Welttheater. Die Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik“ (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 256 Seiten, 39,90 Euro).
Foto: Bayerische Ostmark
FESTSPIEL-GESPRÄCH
„Als in Bayreuth ein Theaterwunder passierte“
Marieluise Müller beobachtete die Festspiele 28 Jahre lang als Redakteurin der „Festspielnachrichten“, Monika Beer als Opernkritikerin. Jetzt sprechen sie erstmals nicht mit Interviewpartnern, sondern miteinander über die Bayreuther Festspiele. Ein Rückblick auf zwei (Berufs-)Leben für den Grünen Hügel
Von Monika Beer und Marieluise Müller
In den Räumen eines alten Hauses am Bayreuther Marktplatz kreuzten sich ihre Wege: Dort verstärkte in den Semesterferien die Redakteurin Marieluise Müller die Crew des „Nordbayerischen Kuriers“, dort begann Monika Beer als Volontärin ihre journalistische Ausbildung. In diesen Jahren wurde der Jahrhundert-„Ring“ für beide das entscheidende Opernerlebnis. Monika Beer wechselte ins Pressebüro der Bayreuther Festspiele, übersetzte Chéreaus „Ring“-Buch aus dem Französischen ins Deutsche. Marieluise Müller schrieb ein Buch über den Startenor Peter Hofmann.
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