AUSNAHMEZUSTAND IM SCHLARAFFENLAND. Erhard Schümmelfeder

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AUSNAHMEZUSTAND IM SCHLARAFFENLAND - Erhard Schümmelfeder

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Grün des Dschun­gels kämpfte. Für ihn stand fest: kein Fern­sehen, kein Radio und erst recht keine schwätzer­haften Zeitungen in der neuen Heimat! Kein Alko­hol! Keine Nörgler, Besserwisser, Querulan­ten, Cho­leriker und so weiter dürften auf die Insel! Nur aus­gesuchte Leute. In diesem Punkte würde er sich von niemandem dreinreden lassen ...

      Nach einem erschöpfenden Gewaltmarsch, der ihn bis an die Grenzen seiner Kräfte führte, erreichte Sa­muel Fielding die östliche Seite der Insel, wo er einen geeigneten Platz für sein eigenes Wohn­haus fand. Ein gerechter Monarch in einer schmucklosen Hütte! So und nicht anders hatte er es sich in Gedanken immer vorgestellt. Hinter dem dichten und dornigen Busch­werk fand er abermals weißen Strand unter blauem Sommer­himmel, dahinter das tosende Meer. Betrüb­lich war für ihn, die Spuren der zurückgelasse­nen Zivilisation so­gar an diesem entlegenen Ort in der Wildnis zu finden. Geröstete Erd­nüsse stand in roter Schrift auf einer Dose, deren silbernes Blech das Sonnenlicht spiegelte. Samu­el Fielding nahm die Dose auf, kniff die Augen zusammen und wandte sich dem Meer zu. Das erste, was seine verwunder­ten Augen wahr­nahmen, war der Abfallkorb aus Draht an der geteerten Straße, die auf eine Anhöhe zulief. Keuchend schleppte Samuel Fielding sich bis zu jenem erhöhten Punkt im Gelände, von wo aus er die ganze Landschaft überblicken konnte -----: Strandkörbe, Sonnenschirme, gebräunte Rücken, prallvolle Bäuche, ölig glänzende Beine, Köpfe - Menschengewühl, Radiogedudel, Ho­tels, Bars ... Er erkannte, auf welchen simplen bösen Schwindel er hereingefallen war, als er das am Strand stehende Schild sah, auf dem in schwar­zen Buchstaben auf weißem Grund MALLOR­CA zu lesen stand ...

      Von all jenen hoffnungsfrohen Menschen, die sich auf den weiten Weg machten, um Samuel Fielding nach dem segensreichen ACROLLAM zu fol­gen, traf ihn niemand unter den dort Lebenden. In den behördlichen Proto­kollen der Polizei wurde wiederholt von einem ewig be­trunkenen Querulanten berichtet, der harmlose Touristen beschimpfte, belästigte oder gar mit einer rostigen Schrotflinte bedrohte, ei­nem nörgelnden Besserwisser und Schwätzer, den man bald als öf­fentliches Ärgernis betrach­tete. Touristen erzählten ebenfalls von einem be­trunkenen weißhaarigen Greis am Strand von Mallorca, dessen verdrosse­ner Gesang im­mer wieder den Zorn der zuständigen Ordnungshüter erregte:

       My money is over the ocean!

       My money is over the see!

       O bring back my money to me!

      Findige Strandräuber, die die kompositorische Sub­stanz des Liedes erkannten, machten daraus eine Schnulze, die heute die ganze Welt erobert hat und in­zwischen den Rang eines unsterbli­chen Volksliedes besitzt.

      Alle weiteren Nachforschungen über das Schicksal Samuel Fieldings verliefen im Sande. Sein Lied ist das letzte Lebenszeichen, das der bewunderte Ge­lehrte uns hinterlassen hat. - Wir, die Zurückgeblie­benen, deren Träume von ei­nem glücklichen Leben auf ACROLL­AM sich zerschlagen haben, erinnern uns mit Wehmut an Samuel Fielding, den genialen Weltverbesserer und an seinen schmerzvollen Ge­sang, in dessen Melodie die Sehnsucht nach einer schöneren und besseren Welt für alle Zeiten leben­dig bleibt.

      DER FLIEGENFÄNGER VON SALIMA

      Eine Lagerfeuer-Geschichte

      In der Schule der Besten spielte ich seit meinem Eintritt eine außerordentliche Rolle, denn ich, Ali Abbas III., Sohn des Sultans von Salima, genoss die angenehmen Vorrechte eines ehren­werten Mitglieds der Königlichen Fami­lie.

      Ich muss zugeben: Meine Leistungen als Schü­ler des Internats waren eher mäßig, oft sogar kümmerlich, doch erhielt ich stets die höchstmöglichen Noten, ern­tete viel Lob und war der Liebling aller Lehrer. Von Geburt an hatte man mich zum Herren erzogen und in dem Bewusstsein bestärkt, naturge­mäß zum geistigen und körperlichen Adel unseres schönen Landes zu ge­hören. Meine Lehrer verstummten ehrfürchtig, wenn sie mich zu lang­weilen begannen; oft kuschten sie vor mir und waren eifrig be­müht, mein Wohlwollen zu erlangen. Auch meine Mitschüler kannten das Ge­bot der Schulord­nung, mir, einem Mitglied des Kö­nigs­hauses, mit Hochachtung zu begegnen und es nie­mals an ge­bührendem Respekt fehlen zu las­sen. So wurde ich erwartungsgemäß in jedem Jahr Klassenbe­ster mit Auszeichnung, siegte in allen sportlichen Wettkämpfen und durfte unter anhaltendem Beifall mei­ner Schulkameraden re­gelmäßig das Siegerpodest besteigen, um die Ehrenurkunde vom Direktor des In­ternats in Empfang zu nehmen.

      Wenn es einmal zum Streit mit einem Mitschü­ler kam, besaß ich einen deutlichen Vorteil, näm­lich das gesetzlich verbriefte Recht des ersten Schlages, das etwaigen Widersachern bei An­drohung der Todesstrafe strikt untersagte, sich zu wehren. Ich konnte je­den Klassenkameraden zusammenzuschlagen, wenn es mir gefiel, doch war ich eher schwächlich gebaut, sodass ich häufiger Ohrfeigen oder Fußtritte an Al­tersgenossen verteilte, die meinen Unmut erregten. Wollte ein Schüler mich ansprechen, musste er üblicherweise demutsvoll das Haupt beugen und den Blick senken. Noch zu Jugendzeiten meines Vaters war es Sitte ge­wesen, dass Mitschüler sich vor einer Unterredung mit einem Mitglied unserer Fami­lie auf den Boden zu sei­nen Füssen werfen mussten, jedoch war diese Erschei­nungsform der Ehrerbietung im Laufe der Zeit aus der Mode gekommen und wurde nur noch bei Festlichkei­ten am Hofe praktiziert.

      Auch Macuthee, der Sohn eines Fischers aus Me­s­cana, besuchte die Schule der Besten. Er er­regte meinen Zorn wiederholt, denn er sprach mich nicht mit »Hoheit« an, beugte weder sein Haupt, noch senkte er den Blick. Er überholte mich im 100-Meter-Lauf und erreichte fünf Se­kunden vor mir - zum Entset­zen aller Lehrer - die weiße Ziellinie. Ein Jubelschrei aus ein­hun­dert Kehlen hallte über den Sportplatz, doch schon im nächsten Moment verstummten die zuschauenden Mitschüler, als sie die Ungeheu­er­lichkeit dieses Ereig­nisses begriffen.

      Macuthee hielt sich nicht an die Regeln, die die Ob­rigkeit für die Besten aufgestellt hatte. Eine Zeit lang beobachtete ich den sonderbaren Fischersohn, dessen Gebaren weder auf übertriebenen Stolz noch auf eine provozierende Absicht schließen ließ. Ich war in der Tat ein wenig irri­tiert. Man munkelte über ihn, er lese viele Bü­cher, auch ausländische, die offiziell als verbo­ten galten. Nur den Besten war es er­laubt, derlei Literatur aus der Bibliothek auszulei­hen, nachdem ein ent­sprechender Antrag am Ende eines langwierigen Ge­nehmigungsverfahrens abge­segnet worden war. Das Gesetz, welches den Besten das Ausleihen der Bücher ermöglichte, stammte noch aus der Zeit meines Großvaters und war aus Gründen der Traditionspflege bei­behalten worden. Macuthee reichte beinahe wöchent­lich eine Liste mit fünf, zehn, oft sogar fünfzehn Bü­chern beim Bi­bliothekar ein und versorgte sich wis­sensdurstig mit Lesestoff, was meinen Un­willen eben­falls erregte. Ich nahm Einblick in die Zeugnisse Macuthees und erfuhr: Er war ein viel­fältig begabter, jedoch zugleich recht einfältig gearteter Sohn armer Leute von der Küste. Wenn seine Noten auch die be­sten waren und die Empfehlungs­schreiben hin­terwäldlerischer Dorfschullehrer in den höch­sten Tönen von einer »förderungswürdigen Be­ga­bung« sprachen, mangelte es diesem Bur­schen, der so alt war wie ich, erheblich an Re­spekt vor einem bedeutenden Mitglied der Kö­niglichen Familie.

      Eines Nachmittags saß Macuthee im Schatten des Mangobaumes am See und las in einem Band Hein­rich von Kleists. Es ärgerte mich, weil er wieder ei­nen deut­schen Dichter las. Im Unter­richt hatte er einen Lehrer in Erstaunen versetzt, als er den Faust auswendig aufsagen konnte. Ich ging also - während die Augen der anderen Schüler mich furcht­sam ver­folgten - zum Man­gobaum und schnalzte mit den Fingern. Macuthee blickte aus dem Buch auf, lä­chelte mich an, und las ruhig weiter. Ich schnalzte noch einmal mit den Fingern, diesmal etwas ungehaltener, und machte, als er zu mir herübersah, eine läppische Handbewe­gung, der unzweideutig zu entnehmen war, er solle sich gefälligst entfernen - und zwar hurtig. Er reagierte aber nicht auf

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