AUSNAHMEZUSTAND IM SCHLARAFFENLAND. Erhard Schümmelfeder

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AUSNAHMEZUSTAND IM SCHLARAFFENLAND - Erhard Schümmelfeder

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blieb uns nichts anderes übrig, als verbittert dem Fortgang der weiteren Ereignisse tatenlos und macht­los zuzusehen.

      Macuthee feierte mit Delila Hochzeit. Eine lange Reihe mit Tischen, die sich durchs ganze Land - von der Meeresküste bis zu den staubi­gen Steinbrüchen Salimas - erstreckte, wurde aufgestellt und mit köst­li­chen Speisen und kühlenden Getränken beladen. Alle Einwohner un­seres kleinen Reiches waren zur Hochzeitsfeier eingeladen. Eine grandiose Oper mit dem Titel Der Fliegenfänger von Salima wurde mit über­wälti­gem Erfolg uraufgeführt. Lieder, Gedichte und Legen­den über den Fischersohn aus Me­scana gingen von Mund zu Mund ... Ich grämte mich vor Neid und Ent­täuschung.

      Als reformfreudiger Minister für alles Mögli­che setzte Macuthee wesentliche Veränderungen durch, die sogar die mürrische Opposition im Lande mit Va­ter versöhnten. Auch die Schulre­form stand auf dem Plan meines einstigen Klas­senkameraden. Ich selbst war das erste Opfer dieser für mich unerwarteten Ver­änderungen. Das Recht des ersten Schlages wurde kurzer­hand abgeschafft und durch das Recht auf Not­wehr ersetzt. Damit war ich so gut wie vogelfrei. Es versetzte meinem gedemütigten Herzen ei­nen weiteren schmerzvollen Stoss, als mein letz­tes Zeug­nis vom Di­rektor des Internats gnaden­los storniert wurde. Das hätte er nicht tun dür­fen. Ich dachte sogar daran, mei­nem Leben ein Ende zu setzen, nachdem ich die Auf­nahmeprü­fung an der Schule der Besten auch nach drei Anläufen nicht bestanden hatte, doch fasste ich neuen Mut und beschloss, mich in Abendkursen weiterzubil­den, um wenigstens in den mittleren Staatsdienst zu gelangen. Alle meine Kraftan­strengungen erwiesen sich als vergeb­lich, denn mir fehlte das, was Vater treffend den »richtigen Biss« nannte. Als ich Vater bei einem Mittags­mahl dezent darauf hinwies, auch ich wäre gern Minister für alles Mögliche geworden, verschluckte er sich fast an einem Hähnchenkno­chen und sagte verständnislos nur: »Quatsch!«

      Vom Leben und seinen harten, unmenschli­chen Be­dingungen ernüchtert, lungerte ich wo­chenlang im Pa­last herum, ohne Aussicht auf ei­ne rosige Zukunft, die man mir einst an der Wiese prophezeit hatte. Ich war restlos über­zeugt von meiner eigenen Unfähigkeit. Ich war am Ende... Am Strand von Salima legte ich mich in den warmen Sand und jammerte grämlich vor mich hin. Ich wartete auf die Flut, die sich mit schäumenden Wogen dem Ufer zu nähern begann. Zum Glück schlief ich ein, noch bevor die Wellen meinen ge­krümmten Körper er­reich­ten...

      Ein metallisches Geräusch weckte mich. Ich lag in meinem Internatszimmer. Es war später Nach­mittag. Wie lange hatte ich geschlafen? Be­nommen richte­te ich mich auf und ging zum Fenster, dessen Gardine leicht im Winde schau­kelte. Auf dem Schulhof sah ich meine Klassen­kameraden, die sich beim Hufeisenwer­fen ver­gnügten. Im Schatten des Mangobaumes am See saß Macuthee und las in ei­nem Buch. Ich ging hinunter auf die Schulwiese und näherte mich langsam dem Fischersohn aus Mescana, der mir, obwohl wir nur wenige Worte seit seiner An­kunft miteinander gewechselt hatten, so vertraut war wie ein Bruder. Eine Fliege setzte sich auf meine rechte Hand. Ich schnippte mit den Fin­gern, um sie zu vertreiben. Macuthee blickte auf, als er mich näherkommen hörte, lächelte mich freundlich an. Auf diesem Platz unter dem Man­gobaum, so erklärte ich ihm, hätte ich vor eini­ger Zeit gesessen und eine Apfelsine gegessen; dieser Platz sei ein herrlicher Ort zum Studieren. Macuthee sagte, für heute habe er genug gele­sen, er würde jetzt viel lieber Entenwerfen üben. Er fragte mich, ob ich auch Lust dazu hätte. Ja, sagte ich. Er ließ das Buch sinken, schlug es zu und richtete sich auf. Wir sam­melten ein paar flache Steine und warfen sie schräg über die glatte Fläche des glitzernden Sees. Wir ver­folgten den Flug der Steine, die über das Wasser hüpften, und zählten laut mit, wie oft sie die Oberfläche berührten. Macuthee schaffte mei­stens neun, einmal sogar elf Sprünge. Mir gelan­gen oft fünfzig, zweimal sogar dreiundfünfzig hüpfen­de Sprünge. Im En­tenwerfen war ich - seit ich denken konnte - un­schlagbar und hoffte darauf, es auch noch eine lange Weile zu bleiben ...

      MISTER MILLER IN AMERIKA

      oder

      DIE SCHÖNHEIT DER AUGENBLICKE

       Zweimal im Jahr, wenn Mr. Miller mit eiligen Schrit­ten und buchstäblich in letzter Minute seine Maschine für den Flug Frankfurt - New York erreichte, steckte in seiner Mantelinnenta­sche ein zur Papierkeule zusam­mengerolltes Magazin, das er un­bemerkt im Men­schenge­wühl am Flughafenkiosk - ohne es zu bezahlen - in seinen Besitz gebracht hatte. Diese Bagatell­delik­te, wie er sie zu nennen pflegte, waren in der Tat die einzigen Tugendabweichungen, die ihm seine Reisen ins Land der unbegrenzten Mög­lichkei­ten bescherten. Bedrohlicher waren die sinkenden Verkaufszahlen, welche ihm sein New Yorker Verleger, John D. Irving, bei der Ankunft stets zu unterbreiten pflegte. - Ein neues Buch mit Geschichten war fällig; an dieser lebens­wichtigen Notwendigkeit führte kein Weg vor­bei. Aber woher nahm man nur all die zün­denden Ideen und überzeugenden Pointen, wenn man nicht dann und wann dem tristen Alltag einen zufälli­gen Einfall stahl oder der Wirklichkeit eine Pointe be­scherte?

      Mr. Miller bemerkte kaum den Start der Maschine, die mit heulenden Motoren zum feuerroten Himmel auf­stieg. Zu seiner Linken, auf der gegenüber­liegenden Gangseite, saß ein sommersprossiger rothaariger Junge, der Mr. Miller aufmerksam in Augenschein nahm. Mr. Miller den Bengel mürrisch an und kniff ein Auge zu, des­sen Lid sich weigerte, in seine ursprüng­liche Stellung zu­rückzuklappen. Zu seiner Rechten hatte sich eine ge­wichtige Dame unbestimmba­ren Alters in einer selbst­gefälligen Weise breit gemacht. Ihr Hut, geschmückt von einem Vogelnest, wirkte anachronistisch.

      Er entfaltete sein so­eben erworbenes Magazin auf den Knien, überflog flüchtig die Rubriken Klatsch, Mode, Stricken, Ko­chen, Bac­ken und gelangte mit einem Seufzer zum Kreuzworträtsel, das - wie immer - eine nützli­che Übung vor einem kurzen Schläfchen war.

      Spanischer Maler mit vier Buchstaben - - - - Mr. Miller gähnte. Der Banalität in Klatschmagazi­nen müssten gewisse be­hördliche Grenzen ge­setzt werden, dachte er. Artig setzte er dennoch den vergoldeten Kugelschreiber aufs Papier, doch hinderte die schwere Hand der Vogelnest-Dame mit dem schilfgrünen Kostüm ihn am Schreiben.

      »Sie gestatten doch ... Das ist meiner«, sagte sie und nahm das Schreibgerät mit einer besitzergreifenden Geste an sich. »Ein Erbstück«, fügte sie mit leisem Vorwurf hinzu und verstaute je­nes in dem roten Le­deretui, das sie in ihre Handtasche schob.

      »Ich bitte um Vergebung, gnädige Frau. Ich war in Gedanken.«

      Argwöhnisch räusperte sich die Dame und warf Mr. Miller einen missbilligenden Blick zu, der nicht nur ihm, sondern dem ganzen männli­chen Geschlecht gelten mochte. Die gewichtige Dame konn­te eine wiederauf­erstandene Gestalt aus einer seiner Geschichten sein - der fleisch­gewordene Entwurf der Rosi Oldfield aus Die Ermordung meiner Frau, von ihrem Mörder zynisch charak­teri­siert mit den Worten: »Rosi, auch Rosinante ge­nannt - oder, um es mathematisch schlicht und ex­akt zu formulieren: Menge mal Breite mal Höhe.«

      Der Rotschopf erfasste Mr. Millers Verdruss und blies die Wangen zu einem Ballongesicht auf. Mr. Miller nickte. In diesem Punkte bestand also zwischen ihnen völlige Übereinstimmung.

      Der Flug über den Atlantik, versüßt durch das Bordmenü Nr. 3 (Hawai-Toast mit Tomatensa­lat), wäre gewiss ohne nennenswerte Zwischen­fälle verlau­fen, hätte Mr. Millers Hand nicht zu­fällig in der Nähe der Tasche seiner Nachbarin gelegen, als diese, nach dem Verzehr der Menüs Nr. 11 und 12 (Rumpsteak, Reis + Kürbisravioli in Walnussbutter), plötzlich aus ih­rem Schlaf erwachte, die Situa­tion erfasste und die Tasche an ihre Brust riss.

      »Ich muss doch sehr bitten«, sagte sie scharf tadelnd.

      »Oh, ich

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