AUSNAHMEZUSTAND IM SCHLARAFFENLAND. Erhard Schümmelfeder

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AUSNAHMEZUSTAND IM SCHLARAFFENLAND - Erhard Schümmelfeder

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wir ihn weiter beobachten?«, fragte Matcho Nolo.

      »Dranbleiben!«, befahl ich.

      Tatsächlich ereignete sich noch am selben Abend etwas für Macuthee Belastendes, das der Mi­nister für alles Mögliche und ich gebannt am Bild­schirm verfolg­ten: Es war ein heimliches Gespräch zwischen Macuthee und Delila, das sie neben einer Marmor­säule führten, als sie sich unbeobachtet fühlten.

      »Liebst du mich wirklich?«, fragte das Mäd­chen.

      »Natürlich«, sagte Macuthee.»Warum fragst du?«

      »Ich habe dich beobachtet. Du blickst auch den an­de­ren Mädchen nach!«

      »So, tue ich das?«

      »Versuche nicht zu leugnen!«

      »Na schön, ich gestehe reumütig.«

      »Genüge ich dir denn nicht?«

      »Du kannst Fragen stellen! Selbstverständlich genügst du mir.«

      »Dann verstehe ich nicht, weshalb du den anderen Mädchen nachblickst.«

      »Darin liegt keine böse Absicht«, versuchte Macuthee zu erklären.

      »Was sonst?«

      »Ein Mann, der einer Frau nachblickt, stellt ledig­lich theoretisch fest, was sie verspricht und was sie even­tuell halten könnte. Das ist alles.«

      Diese Antwort schien Delila zu befriedigen. Mir aber ließ sie keine Ruhe.

      »Stimmt das?«, fragte ich Matcho Nolo.

      »Hoheit, ich bitte um Nachsicht. Ich bin ein -«

      »Überprüfen!« kommandierte ich, und der Minister für alles Mögliche entfernte sich rück­wärts ge­hend aus dem Beobachtungsraum, in dem ich nun allein Zeuge des weiteren Ge­sprächs zwischen Macuthee und Delila wurde.

      »Halte ich denn, was ich verspreche?« wollte sie wissen.

      »Bestimmt -«, flüsterte er zuversichtlich.

      Sie schluckte und blickte ihm versonnen tief in die Augen. Kaum vernehmbar hauchte sie die zärtlichen Worte: »Probieren wirs aus?«

      Dann gingen sie auf ihr Zimmer, fernab jeder Ka­me­ra, jeder einsatzbereiten Wanze, um das Unaussprechliche zu tun. Ich versuchte zu läu­ten, aber die Glocke hatte keinen Plöckel; auch der Alarmknopf, den ich betätigte, zeigte keine Wirkung - wahr­schein­lich schliefen die Wachen betrunken, wie so oft, draußen im Garten. Ich lief durch die Seitenflü­gel des Pa­lastes, stolperte über die Stufen einer Treppe, und er­reichte die Registratur der Bibliothek, wo ich Matcho Nolo traf, der hilflos in der Königli­chen Datei herum­suchte und ängstlich zusammen­zuckte, als er mich im Halb­dunkel erkannte.

      »Hoheit, ich bitte um Nachsicht!«, flehte er.»Wo - wo soll ich nur nachschlagen?«

      »Maul halten!«, befahl ich ihm. So­gleich verstummte er. »Wo ist das Zimmer des Mädchens?«

      Er wusste es nicht. Er wusste überhaupt nichts. Ich ärgerte mich über seine völlige Unfähigkeit und ver­stand zum ersten Male Vater, wenn er sich über den schleppend funktionierenden Be­amtenapparat be­klag­te. Es dauerte lange, bis wir zusammen genü­gend nüchterne Wachen mobilisiert hatten, um das Zimmer des Mädchens zu erstürmen. Ich selbst lei­tete die nächtliche Aktion. Ich wusste: Das Unaussprechliche war längst geschehen und ließ sich nicht mehr ver­hindern.

      Plötzlicher als ich erwartet hatte, stand mir Macuthee, beim Verlassen des Zimmers, gewarnt vom Lärm der säbelrasselnden Wa­chen, gegenüber. Einen Moment blickten wir uns nur grimmig an, zwei Todfeinde, die sich nichts zu sagen hatten.

      »Habe ich dich endlich erwischt!«, rief ich aus. »Wachen! Festnehmen!«

      Noch bevor die zögernd voranmarschierenden Po­sten ihn ergreifen konnten, schlug mir Macuthee eine Faust in die Fresse, wodurch ich hart auf die Flie­sen stürzte, kurz die Besinnung verlor und nicht ge­nau verfolgen konnte, was nun geschah. Ich nahm wahr: Ein metallischer Gegenstand flog ge­gen eine Dec­kenlampe... Handgemenge im Dunkeln. Kettengeklirr. Stoßenreißenfluchen. Geräusche brechender Knochen. Schreie. Gewimmer ...

      »Was ist geschehen?«, hörte ich mich in der Finsternis des Ganges rufen.

      »Was ist gestern Nacht hier geschehen?«, hörte ich am Vormittag des folgenden Tages Vater in seinem Amtszimmer fragen, erregt darüber, dass hier Dinge geschahen, von deren Entwicklung er nichts wusste. Mein Kopf steckte in einem Gipsverband, ich konn­te nicht antworten. Matcho Nolo beschrieb Vater, was sich ereignet hatte: Macuthee, der Mei­sterfliegen­fänger verbo­tenerweise im Zimmer einer Tänzerin; auf fri­scher Tat ertappt, nächtlicher Kampf im Palast; acht Wachen mit gebrochenem Nasenbein; Ali Abbas III. verletzt (Nasenbein); der Minister für alles Mögliche unverletzt (göttliche Fü­gung); Flucht des Fliegenfängers und der Tänzerin; Verfolgung der beiden bis zu den Klippen; Ret­tung der Flüchtigen durch einen to­desmutigen Sprung vom Felsen ins Meer; Verfolgung der Entkomme­nen durch die Haibucht; die Spur verloren am Ufer; weitere Flucht wahrschein­lich mit gestohlenem Ka­nu durch den Dschun­gel...

      »Ein Tausendsassa!«, rief Vater mit bewegter Stim­me.»Gut, der Mann!«

      »Hoheit, ich verstehe nicht -«, sagte Matcho Nolo zö­gernd.

      »Das ist ein Mann nach meinem Geschmack!«, sagte Vater mit deutlicher Begeisterung. »Kein Schwätzer, kein Waschlappen, sondern ein gan­zer Kerl mit Biss!«

      »Jawohl, mit Biss!«, stammelte der Minister für alles Mögliche.

      »Einer, der die Ärmel hochkrempelt und seine Sa­che anpackt!«

      »Anpackt. Jawohl!«

      Ich war sprachlos und verstand die Welt nicht mehr.

      »Holt mir diesen Burschen!«

      »Tot oder lebend, Hoheit?«

      »Lebend, ihr Narren!«, brüllte Vater und warf uns ei­nen verachtungsvollen Blick zu.

      Die Entwicklung des Geschehens war für uns un­be­greiflich. Vater ließ die gegen Macuthee erhobene Anklage noch am gleichen Tage fallen und verkün­dete persönlich über Rundfunk und Fernsehen die Nach­richt hierüber im ganzen Lande. Bereits wenige Tage später erhielt Macuthee Audienz im Palast des Sultans von Salima, um seine öffentliche Rehabilita­tion aus dem Munde meines Vaters zu vernehmen. Das war schlimm für mich. Vater gewährte Matcho Nolo einen Urlaub von einem Tag, um wäh­rend seiner Abwesen­heit ein neues Gesetz ins Leben zu rufen. Als Matcho Nolo, der auf sei­nem Posten als Minister für alles Mögliche rund und fett geworden war, nach Ablauf seines Ur­laubs zurückkehrte, klag­te er Vater sein Leid, indem er fassungslos berich­tete, sein Mini­sterpo­sten sei irrtümlich mit Macuthee besetzt wor­den.

      »Das ist kein Irrtum«, belehrte mein Vater ihn. »Du hast dich heute morgen um vier Minuten verspätet. Das neue Gesetz sieht für unpünktli­che Staats­diener eine empfindliche Strafe vor.«

      »Was für ein Gesetz?«, fragte der entgeisterte Matcho Nolo.

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