Homo sapiens movere ~ geschehen. R. R. Alval

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Homo sapiens movere ~ geschehen - R. R. Alval

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derart verwüstet, dass ich selbst mit dem Motorrad meine Schwierigkeiten hatte. Leichen, Schutt, Dreck, Scherben, Blut. Mehr als einmal schluckte ich. Blinzelte. Ich wollte die Augen verschließen. Nichts mehr sehen. Aber das wäre idiotisch gewesen. Ich mochte Dank Paps Ausbildung in der Lage sein ein Ziel aus weiter Entfernung zu treffen, aber blind fahren gehörte nicht zu meinen Talenten.

      Ich war schon mehr als eine Stunde unterwegs und noch immer nicht aus der Stadt heraus. Ein Mann zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Er kam mir bekannt vor. Allerdings bemerkte er mich nicht. Er beugte sich über jemanden. Oder etwas. Ich konnte nicht erkennen, was es war. Vielleicht ein Hund?

      Paps Anweisungen fielen mir ein.

      Doch ich konnte an dem Mann nicht vorbei fahren. Ich wusste, woher ich ihn kannte. Es war Lucys Freund. R… irgendwas. Als ich fast vor ihm stand, erkannte ich, dass er sich über einen Menschen beugte. Vermutlich eine Frau. Sämtliche Härchen auf meinen Armen richteten sich auf. Aber es war nicht Lucy.

      Gott sei Dank.

      Der Großteil des Körpers war… nicht mehr vorhanden. Ihre Augen standen weit offen. Blickten ins Leere. Entsetzen und Unglauben waren in ihr Gesicht gemeißelt. Anhand ihrer Ähnlichkeit mit Lucys Freund würde ich darauf tippen, dass es sich um seine Schwester handelte. Ich hielt neben ihm; ließ den Motor laufen. „Hey.“ Wie in Zeitlupe richtete er seinen Blick auf mich. Tränen liefen über seine Wangen. Sein Schmerz war greifbar. Er brauchte einen Moment, dann schien er mich zu erkennen. Nickte. „Chantalle.“ Ich schluckte. Die nächste Frage schmeckte wie Galle. „Wo ist Lucy?“ Seine Lippen zitterten. Geräuschvoll holte er Luft. Zeigte mit dem Arm in die Ferne. Schüttelte den Kopf. „Sag mir, dass es ihr gut geht.“ Flehende Worte, auf die er mit einem verzweifelten Schulterzucken reagierte. „Sie war nicht daheim. Keine Ahnung, wo sie ist. Wir sind zwar nicht mehr zusammen, aber… ich mach mir Sorgen.“

      Ich hatte sie nirgends gesehen. War auch schwer zu sagen bei denen, die durch die Straßen wankten. So dreckig wie sie alle waren. Aber sie würde wohl kaum auf die Idee kommen, trotzdem zu mir zu kommen. Oder? Nein, ich hielt sie für klüger. „Da lagen so viele Tote. Himmel… so viele! Einfach abgeschlachtet. Ich bin rüber zu meiner Schwester, hab sie mir geschnappt. Wir sind bis hierher gekommen. Dann…“ Seine Stimme brach. Sein Kehlkopf bewegte sich beim Schlucken. „Es war nur einer. Ich weiß nicht, warum sie sich vor mich gestellt hat… er ist an uns vorbeigerast… ich habe den Ruck gespürt. Sie hat nicht mal geschrien. Und dann war sie weg… ist mir aus den Händen geglitten… es hat ihn nicht gekümmert. Er hat sich nicht umgesehen. Nachgeschaut, ob er uns beide erwischt hat. Als wäre es egal.“ Ich konnte die Fassungslosigkeit, den Schmerz und die Wut fühlen. Aber seine Stimme war absolut tonlos. Als hätte er die nötige Kraft verloren. „Hoffentlich ist Lucy untergetaucht.“ Was sagte es über einen Kerl aus, der sich Sorgen um seine Ex machte? „Steig auf.“ So wie er mich ansah, musste ich wohl außerirdisch sprechen. „Steig auf, verdammt nochmal. Willst du hierbleiben? Dich umbringen lassen?“ Es war vielleicht ein Fehler. Eventuell aber auch ein kalkulierbares Risiko. Er stand auf, warf einen letzten Blick auf die Leiche der Frau und setzte sich hinter mich.

      Ich konnte spüren, dass es ihn Überwindung kostete. Dass er seine Schwester nicht so liegenlassen wollte. Doch hatte er – hatten wir – eine andere Wahl? „Festhalten.“ Er klammerte sich an mich. Etwas, was ich bei einem Mann nie erlebt hatte. Zumindest nicht auf dem Motorrad. Die wollten keine Schwäche zeigen. Aber normalerweise weinten sich auch nicht. Und normalerweise starben einem Freunde, Familie, Nachbarn und Bekannte auch nicht – verdammt nochmal – einfach vor den Augen weg.

      An einem einzigen, beschissenen, saulangen, nicht enden wollenden Tag.

      Begegnungen

      Eigentlich hätte ich – hätten wir – in weniger als zwei Stunden bei unserem ‚Bungalow‘ eintreffen müssen. Er lag nur etwa 150 Kilometer südlich der Stadt. Tja, eigentlich würde ich jetzt mit meiner Familie feiern, Geschenke bekommen, bescheuerte Witze hören, Kaffee trinken und Kuchen essen. Leider passierte im Moment das Gegenteil von allem, was mein menschlicher Verstand glauben wollte oder auch nur ansatzweise kapierte. Wir brauchten beinah zwei Stunden, um aus der Stadt herauszukommen. Roy hatte mir dabei ein, zwei hilfreiche Kommentare zugebrüllt. Er kannte ein paar Schleichwege, von denen ich nichts wusste. In den südlichen Stadtteilen kannte ich mich nämlich kaum aus. Leider brachte die Stadtgrenze nicht die erhoffte freie Fahrt. Ich stöhnte, stoppte das Motorrad und machte es aus. Vor uns verlief die Straße.

      Theoretisch!

      Praktisch war sie verschwunden. Ein Feld aus Asphalttrümmern, die hier und da wie Mahnmale aus dem Boden wuchsen. Ich nahm den Helm ab und drehte mich halb zu meinem Sozius um. „Und jetzt? Irgendeinen Plan?“ Zum Glück konnten wir hier einigermaßen sehen. Es war nicht ganz so dunkel wie in der Stadt. Vermutlich, weil hier keine Gebäude eingestürzt waren. Der Radweg schien noch befahrbar zu sein… soweit ich das sehen konnte. Roy war derselben Ansicht. Wir stiegen beide ab. Begutachteten den Schlamassel. Denn blöderweise lag zwischen der eigentlich vorhandenen Straße und dem Radweg eine Luftlinie von grob geschätzt zehn Metern. Und diese zehn Meter wiesen – neben der verbogenen Leitplanke – einen tiefen Straßengraben und einen knapp zwei Meter hohen Metallzaun auf. „Der Graben ist ein Problem.“, meinte Roy. Der Graben?

      Was war mit der Leitplanke und dem Zaun? Wollte er das Motorrad drüber heben? Drüber werfen? Eine andere Möglichkeit gab es nämlich nicht.

      Zum Anfang der Leitplanke zu laufen war irrsinnig. Undurchdringliches Gebüsch schmiegte sich dicht an das Metall. Und das Motorrad wog grob geschätzt etwas über hundert Kilo. Wenn er das anheben konnte, bekäme er von mir einen Orden. Und wahrscheinlich auch einen Hexenschuss. „Ich wünschte, Lucy wäre hier.“ Er schloss fest die Augen. Schluckte. Ballte seine Hände zu Fäusten. Schüttelte den Kopf. „Lucy? Die kann das Motorrad auch nicht anheben.“ Sein Blick verunsicherte mich.

      Dann nickte er langsam.

      Sehr langsam.

      „Lucy hätte es Kraft ihrer Gedanken auf die andere Seite befördern können. Sie ist eine movere.“ Mein Mund klappte auf. Das musste eine Lüge sein. Lucy war keine movere. Das hätte sie mir gesagt. „Hätte sie das?“

      Verblüfft schaute ich zu ihm auf.

      Er stand plötzlich sehr dicht vor mir. Mit meinen 1,65 war ich nicht unbedingt die Größte. Ich reichte ihm kaum bis zur Schulter. Alles, was ich jedoch im Augenblick wahrnahm, waren seine blauen Augen. Ritterspornblau. „Ich kann keine Gedanken lesen, falls du dich das fragst. Aber dein Gesichtsausdruck spricht Bände.“ Ich nickte. Um beides zu bestätigen. Irgendwie. „Auch ich bin ein movere.“

      Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Noch einen. Er lächelte schief. Schnaubte. „Angst?“ Sollte ich die nicht haben? Vermutlich hatte er Lucy nur aufgeführt, damit ich mich jetzt sicher fühlte. Pah! „Ich kenne dich schließlich kaum.“ Roy schnalzte mit der Zunge. „Immerhin gut genug, um mich aus der Stadt mitzunehmen.“ Da war etwas dran. Nur hatte ich zu dem Zeitpunkt noch geglaubt, er sei ein normaler Mensch. Keine… potentielle Bestie. „Warum bist du nicht in Gewahrsam?“ Sein Blick war vernichtend. „Gewahrsam? Bist du so naiv, Chantalle? Movere werden nicht verwahrt. Sie werden vernichtet.“ Stirnrunzelnd widersprach ich ihm. „Nur die Gefährlichen.“ Sein Lachen klang laut in der kargen Stille. „Und wer beurteilt das? Nach welchen Kriterien?“ Erneut schüttelte Roy den Kopf. „Nein Chantalle. Sie beseitigen alle. Ich habe es gesehen. Sie entledigen sich ganzer Familien, nur weil einer davon anders ist. Sogar Babys.“ Er schloss den Mund. Sein Blick glitt in die Ferne. Seinen Kiefer presste er fest aufeinander.

      Mein

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