Homo sapiens movere ~ geschehen. R. R. Alval

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Homo sapiens movere ~ geschehen - R. R. Alval

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folgten wir dem Wolf, der uns tiefer in den Wald hineinführte. Ab und an blieb er stehen und drehte sich um. Vergewisserte sich, dass wir ihm folgten. Lauschte auf mögliche Verfolger. Einmal stieß er ein derart lautes Heulen aus, dass mir fast das Herz stehen blieb. War der bekloppt? Jeder konnte das hören! Besonders die Viecher von vorhin. War das seine Absicht oder bezweckte er etwas anderes?

      Je tiefer wir in den Wald vordrangen, desto dichter standen die Bäume. Dabei war ich von einem kleinen Wäldchen ausgegangen. Wie man sich doch irren konnte.

      Allmählich kam ich beim Laufen aus dem Takt. Wir rannten zwar nicht mehr in dem halsbrecherischen Tempo von vornhin, aber immer noch schnell genug. Nur Roys Griff um mein Handgelenk verdankte ich es überhaupt noch vorwärts zu kommen. Mehr als einmal strauchelte ich fluchend.

      Nun ja, selbst zum Fluchen hatte ich kaum noch Atem.

      Meine Beine fühlten sich heiß und kalt zu gleich an. Leicht und schwer. Meine Seiten stachen. Ich japste nach Luft. Schweiß rann mir übers Gesicht. Am liebsten hätte ich die Jacke ausgezogen, so heiß war mir inzwischen.

      Der Wolf drehte sich ein letztes Mal um.

      Dann standen wir plötzlich auf einer Lichtung.

      In deren Mitte stand ein zweistöckiges Haus. Mit bunten Vorhängen, Gehwegplatten, Blumenbeeten, einem Pool, einer Terrasse, einer Hollywoodschaukel und einem weißen Gartenzaun.

      Nach dem Labyrinth aus Bäumen glaubte ich erst an eine Halluzination. Nur war das Auftauchen des Hauses noch nicht das Verwunderlichste. Der Wolf gab ein leises, heiseres Geräusch von sich und setzte sich wie ein brav erzogener Wachhund neben das offene Gartentor. Im selben Moment schwang die Haustür auf und eine Frau trat heraus. Ein überschwängliches Funkeln in den Augen. Pure Freude auf einem Gesicht, das meinem erstaunlich ähnlich sah. Sogar die Haarfarbe stimmte.

      „Du hast sie gefunden!“ Mit einem beherzten, kleinen Aufschrei, gefolgt von einem Quietschen und weit ausgebreiteten Armen kam sie stürmisch auf mich zugerannt. Sie riss mich in eine feste Umarmung, wuschelte mir durchs Haar und küsste mich auf die Wange. „Oh Gott. Er hat dich gefunden. In all dem Chaos hat er dich gefunden und sicher hierher gebracht. Ich bin so glücklich, dass es dir gut geht, Chantalle.“ Ich wäre fast aus den Socken gekippt. Beziehungsweise meinen Stiefeln.

      Zur Salzsäule erstarrt blieb ich stehen und harrte ihrer stürmischen Begrüßung. Wer immer diese Frau – die mir äußerlich sehr auffallend ähnelte – auch sein mochte. Sie ging einen Schritt zurück, umfasste meine Oberarme und musterte mich. „Gut siehst du aus.“ Dann fiel ihr Blick zu Roy, dem sie anerkennend zunickte. „Schön, dass du endlich wieder jemanden hast nach deinem Verlust.“

       Oooo-kay?

      Zeit an meiner Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln.

      Irritiert, mit weit aufgerissenen Augen, sah ich zu Roy, der mich ebenso fragend ansah. „Oh, entschuldige bitte. Du weißt ja gar nicht, wer ich bin. Ich Dummerchen.“ Sie lachte. „Ich bin Thea. Deine Tante.“ Meine Tante. Aha. Meine einzige, mir bekannte Tante hieß Yasmin. Ich runzelte die Stirn. „Rick Fraser war mein kleiner Bruder.“ Kleiner Bruder? Mein biologischer Vater? Unmöglich. Sie sah keinen Tag älter aus als dreißig. „Ich weiß, es ist alles ziemlich verworren für dich. Komm erstmal rein.“ Sie ließ mich los und drückte nun Roy. „Du auch. Wir reden drinnen.“ Mein gesunder Menschenverstand sagte mir, ich sollte die Beine in die Hand nehmen und abhauen.

      Schnellstens.

      Nur leider sagte mir mein gesunder Menschenverstand auch, dass es keine Monster gab. Doch genau die hatte ich heute zuhauf gesehen. Ausreichend für ein ganzes Leben. Also trottete ich ihr hinterher ins Haus. Gefolgt von Roy, der nicht mein Freund war.

      Diese Kleinigkeit konnte ich später immer noch korrigieren.

      Tja, meine Familie war augenscheinlich größer als eigentlich angenommen: Eine neue Tante, ein neuer Onkel und deren Kinder. Dafür musste mir erst die Welt um die Ohren fliegen. Gleichzeitig erfuhr ich, dass sie seit 33 Jahren von meiner Existenz wussten. Also seit etwa einem Jahr nach meiner Geburt. Meine Eltern wussten nichts davon, dass ein Teil der Familie meines leiblichen Vaters mich im Auge behielt. Die gesamte Zeit über, obwohl es – laut deren Aussage – nicht immer leicht gewesen war.

      Rick Fraser, mein leiblicher Vater, der nur einen Monat nach meiner Geburt tödlich verunglückt war, hatte zum Zeitpunkt meiner Zeugung und Geburt kaum bis keinen Kontakt zu seiner Familie gehabt. Kein Wunder also, dass meine Mutter niemals jemanden erwähnt hatte. Zumindest konnte ich mich nicht erinnern.

      Doch das war noch nicht mal der Brüller der Enthüllungen.

      Nein!

      Der Wolf, der uns hierher geführt hatte, war – tadaaa – der Mann meiner Tante. Und deren Kinder hatten ebenfalls alle einen Wolf in sich. Die jüngste war 17. Der Älteste – Achtung festhalten – 49! Dabei sah er aus wie Mitte 20. Von jedem war ich herzlichst umarmt und beinah erdrückt worden. Sie lebten alle hier.

      Unter einem Dach.

      Ich wäre längst durchgedreht.

      Still nahm ich die Erklärungen in mich auf. Ich war viel zu viel von allem, um irgendwelche Fragen zu stellen. Sprachlos. Entsetzt. Enttäuscht. Verwirrt. Und… ja, auch ein bisschen wütend. Erst nach einer heißen Dusche und in frischen Klamotten war mein Gehirn wieder in der Lage Fragen aufzuwerfen. Dutzende. Allen voran, warum sie nie zuvor Kontakt mit mir aufgenommen hatten. Meine Eltern hätten sicher nichts dagegen gehabt.

      „Unser Alpha hat es nicht gestattet.“ Alpha? Beta, Gamma, Delta? Ich erfuhr, dass ein Alpha der Anführer eines Rudels war. Derjenige, der das Sagen hatte. Rudel… meine Güte. Sie waren doch Menschen! Also, irgendwie jedenfalls. Oder zumindest meine Tante. Mein neuer Onkel klärte mich auf. Einigermaßen. Wahrscheinlich gerade so viel, dass ich es verstand. Ich schnappte nach Luft als ich sein Alter erfuhr. Er lachte kehlig. Meine Tante schmunzelte. Auch sie war älter als sie aussah. Und dank der Rudelmagie würde sie weiterhin nur langsam altern. Somit war sie in der Lage länger zu leben als jeder andere Mensch.

      Sobald ich einigermaßen zur Ruhe käme, würde ich sicher neidisch sein. Im Moment war ich zu aufgewühlt. „Wo ist Roy?“

      „Mit den Jungs das Motorrad holen.“ Den Jungs. Also… Werwölfen. „Die uns vorhin verfolgt haben, gehören zu eurem Rudel?“ Eric bejahte. „Unser Alpha hat den Angriff nicht untersagt. Aber keine Sorge, ihr seid sicher. Ihr gehört zur Familie.“

      Ich beschloss vorerst nicht zu erwähnen, dass Roy und ich uns kaum kannten. Glücklich machte mich die Aussage bei Weitem nicht. Wie konnte eine Respektperson nur solche Gewalt zulassen? Oder gar anordnen? Dumme Frage. Machten wir Menschen nicht dasselbe? „Und die zwei vorhin im Wald? Waren das wirklich Vampire?“

      „Sie waren etwas mehr als das. Es wundert mich, dass sie überhaupt unterwegs waren.“ Wunderte mich auch. Eric schien meine Gedanken zu erraten. „Nicht, weil es noch hell war. Sondern weil sie sich eher selten unters Volk mischen und dabei gesehen werden.“

      Also… äh… zu meiner Beruhigung trug das nicht bei.

      „Wisst ihr, was da draußen vor sich geht?“ Bang wartete ich auf die Antwort. Thea sprach zuerst. „Krieg, meine Liebe. Revolution. Nenn es, wie du willst. Eine vollkommene Umwälzung. Dank des menschlichen Militärs und dessen radikalem Vorgehen haben sich die Andersweltler entschlossen aus

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