Klein, aber (nicht immer) fein - Teil 1. Manfred Stuhrmann-Spangenberg
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Da Urs gerade dabei ist, erzählt er gleich noch eine Anekdote. Die sowohl räumliche Nähe von Liechtenstein zur Schweiz, als auch die lautliche Ähnlichkeit von Liechtenstein und der etwa 50 km davon entfernten Ortschaft Lichtensteig im Kanton St. Gallen kann nämlich zu kuriosen Verwechslungen führen: „Ein Kollege aus einer Bankfiliale in Lichtensteig hatte eines Tages Besuch von einem Amerikaner mit 100.000 Dollar cash, der sagte, dass er gern ein Konto eröffnen möchte. Das war seinerzeit Gang und Gäbe. Der Kollege war erfreut und fragte den Amerikaner, ob der denn irgendeine Beziehung nach Lichtensteig hätte. Ja, das sei doch bekannt, dass Lichtensteig eine Steueroase sei und dass das Geld hier sehr sicher sei usw., woraufhin der Kollege dem Mann zustimmte. Mein Kollege hat diesen Kunden nach der Kontoeröffnung nie wieder gesehen, vielleicht sucht der sein Geld jetzt immer noch in Liechtenstein!“
Dazu passend noch eine weitere Anekdote: „Mich fragte mal ein Amerikaner nach den Möglichkeiten, für sein Testament eine Stiftung in Leichenstein zu gründen, um seinen letzten Willen dort besser durchsetzen zu können als zu Hause in den USA. Ich dachte mir, dass Leichenstein eigentlich kein schlechter Name für diesen Wunsch sei.“ Der Kunde war ansonsten recht gut informiert. Wenn man in Amerika (oder in Deutschland) eine Stiftung gründet und sein Geld dort einzahlt, dann bekommt man dieses nicht wieder zurück, da man es ja – zumeist für einen guten Zweck – gestiftet hat. Aus einer Familienstiftung in Liechtenstein kann man sein Geld jederzeit wieder zurückholen, bzw. das Familienvermögen sichern. Man kann, bzw. konnte, in so einer Stiftung auch sein Testament so abfassen, dass die sonst üblichen Pflichtquoten (zum Beispiel das Pflichterbe für den „missratenen Sohn“) ausgehebelt werden. Vielleicht wollte Herr Zumwinkel, der frühere Chef der Deutschen Post, ja auch nur dafür sorgen, dass seine Haushälterin per Testament gut versorgt wird, als er mithilfe der LGT Bank einen – wohl leider unversteuerten – Millionenbetrag in eine Stiftung in Liechtenstein investierte. Details über das Familienleben Herrn Zumwinkels sind mir nicht bekannt. Der Deal flog aber dann doch auf (CDs mit den Daten vieler „Stifter“ wurden von deutschen Behörden aufgekauft, Sie werden sich erinnern, liebe Leserinnen und Leser) und Herr Zumwinkel wurde zu einer eher milden zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Heute wäre, nicht zuletzt aufgrund des o. g. AIA, eine Affäre Zumwinkel in Liechtenstein praktisch nicht vorstellbar.
Als ich mit Urs darüber spreche, dass die Schweiz unter den sogenannten Steueroasen den ersten Platz einnimmt, jubelt er sarkastisch und voller Begeisterung. „Super, wir sind Weltmeister!“ Ich habe ihm gerade den Financial Secrecy Index (FSI) 2018 gezeigt, der seit einigen Jahren vom internationalen Tax Justice Network herausgegeben wird. Luxemburg stand in diesem Ranking übrigens 2011 noch auf dem dritten Platz und ist jetzt auf Platz 6 zurück gefallen und mit Guernsey (10.), Jersey (18.), Malta (20.) und Zypern (20.) belegen einige meiner Reiseziele beachtliche vordere Plätze. Liechtenstein rangiert auf einem äußerst bescheidenen 46. Platz, noch hinter der Isle of Man (42.), aber vor Vanuatu (66. Platz). Vanuatu steht allerdings vor Antigua and Berbuda (2.) und den Bahamas (3.) auf dem ersten Platz, wenn es ausschließlich um finanzielle Geheimnistuerei geht und die Größe des Landes außen vorgelassen wird (diese wird im Gesamtergebnis aber berücksichtigt, da sie sich auf den finanziellen Schaden für die Welt auswirkt).
Transparency International und andere NGOs halten sicherlich deutlich mehr von der Aussagekraft des FSI als Urs oder andere Finanzexperten, wie es mit Statistiken halt so ist. Für die allgemeine Öffentlichkeit steht die Schweiz somit an der Spitze der Steueroasen. Haben wir ja schon immer gewusst, natürlich, immer diese Schweizer! Wir Deutschen hingegen, wir sind sauber. Das sah ja bereits im Jahre 2009 der damalige deutsche Finanzminister Per Steinbrück ganz genauso, als er von der Schweiz die Herausgabe von Listen mit den Namen deutscher Bankkunden forderte und im Interview erklärte: "Dass eine solche Liste erarbeitet werden könnte, (…) ist umgangssprachlich formuliert, die siebte Kavallerie im Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann. Aber die muss nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt."
Nun, es kam bekanntermaßen dann doch nicht zu einem Kavallerie-Angriff des in Finanzgeschäften vorbildlich transparenten Deutschlands. Äh, Moment mal, was sehe ich denn da? Deutschland auf Platz sieben? Kann doch gar nicht sein, da stimmt doch was nicht! Und die Amerikaner, wo stehen die Vereinigten Staaten von Amerika, die großen Vorkämpfer für die internationale finanzielle Transparenz? Waren es doch vornehmlich die USA, die die Schweiz und andere Steueroasen zwangen, ihre Bankgeheimnisse zu beerdigen, um vornehmlich illegale Geldabflüsse aus dem „land of the free“ zu unterbinden. Herzlichen Glückwunsch zur Silbermedaille, liebe USA. Weiter so und ihr verdrängt die Schweiz demnächst vom Spitzenplatz.
Bezüglich der USA hat Urs so seine ganz eigene Meinung. Früher war er öfter mal dort. Er würde auch jetzt gerne mal wieder dorthin reisen, nach Alaska, der Natur wegen. Kann er aber nicht. Im Rahmen der amerikanischen Strategie, Schweizer Banken in die Knie zu zwingen, wurden diese gezwungen, Listen derjenigen ihrer Mitarbeiter an die USA auszuhändigen, die irgendetwas mit amerikanischen Kunden zu tun hatten. Urs steht auf so einer Liste und müsste befürchten, zwar in die USA einreisen, aber nicht unbedingt auch gleich wieder ausreisen zu können. Irgendwie ist das ja auch nicht ganz fein, von den Amerikanern, mit riesigem Druck die ganze Welt dazu zu bringen, finanzielle Transparenz herzustellen, und diese dann selbst nicht einzuhalten. Vielleicht sollte ich das Motto meiner Reise, „klein, aber (nicht immer) fein“, noch einmal überschlafen. Das hatte Joe ja schon für Luxemburg eingefordert, und jetzt ist es vornehmlich ein – selbstverständlich neutraler – Schweizer, der mir das Bankgeheimnis verrät und letztlich auch die als Finanzdienstleister tätigen Kleinstaaten schon dadurch exkulpiert, indem er mir vorführt, das „die Großen“ sicherlich nicht feiner sind. Merci vielmals, Urs!
Ilse, Urs und eine mir namentlich nicht bekannte Kuh
Liechtenstein
Mein Gott, Walter!
Keine Bange, so ein armer Kerl wie DER Walter aus dem Lied von Mike Krüger (die Älteren mögen sich erinnern) ist der ehemalige Banker Walter aus Liechtenstein nicht. Ja, auch hier, im Fürstentum Liechtenstein, bin ich schon wieder mit einem Mann verabredet, der früher seine Brötchen in einer Bank verdient hat. Aber ein bisschen Pech hat er schon, der Walter. Kurz bevor er Anfang des Jahres in Rente ging, musste er wegen eines an dieser Stelle nicht weiter erwähnenswerten Leidens operiert werden. Dann stürzte er und brach sich die Hüfte. Zwar bekam er großzügigerweise recht schnell eine neue, aber seine Karriere als Kontrabassist im Orchester Liechtenstein Werdenberg muss er vorläufig ruhen lassen. So findet das heutige Frühjahrskonzert mit Werken von Felix Mendelsohn-Bartholdy, Edvard Grieg, Alexander Porfirjewitsch Borodin und Maurice Ravel leider ohne Walters aktive Mitwirkung statt.
Als ich mit Walter und seiner Lebensgefährtin Rita den Gemeindesaal Eschen betrete, wird Walter mit lautem Hallo von der Kontrabassistin Dorit begrüßt. Vielleicht sollte ich jetzt erwähnen, dass es sich bei dem Orchester Liechtenstein Werdenberg um ein Liechtenstein-Schweizerisches Ensemble handelt, in dem zusätzlich noch einige im nahen Österreich wohnende Musikerinnen und Musiker aktiv sind. Ein total internationales Orchester, denn einige Mitglieder stammen aus so exotischen Gegenden wie Persien (der Konzertmeister), Hawaii und Kolumbien (zwei weitere Geiger/innen) oder Berlin, Hauptstadt der DDR (die bereits erwähnte Kontrabassistin Dorit). Dorit ist eine der professionellen Musikerinnen, die das zum großen Teil aus Laien bestehende Orchester bei den Konzerten unterstützen. Stefan Susana, Musikalischer Leiter, Dirigent des Orchesters Kaltbrunn-Niederurnen, des Orchestervereins Widnau und eben des Orchesters Liechtenstein Werdenberg, ist natürlich ebenfalls