Versuchung. Nina Galtergo
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„Ach, weißt du, ich kann heute den Tag noch zum Aufräumen nutzen, morgen habe ich wieder keine Lust dazu.“
Wo er recht hatte, hatte er recht.
Stolz reichte sie ihm mit weit ausgestrecktem Arm das Geschenk: „Ich hab da noch was für dich!“
Er lächelte, nahm es ihr aus der Hand und setzte sich auf die Couch, um es auszupacken. In seinem Gesicht spiegelte sich wahre Freude, als er sah, was er da noch von ihr bekam.
„Danke!“
Er nahm sie in den Arm und drückte sie sachte an sich.
„Ist es das richtige?“, fragte sie.
„Ja, und wenn du nichts dagegen hast, weihe ich es gleich ein.“
Sprachs und verschwand in den Nebenraum. Kirsten blieb alleine auf dem Sofa zurück und lauschte Rihannas Stimme. Irgendwann hatte sie genug von den Liedern über Liebe, denn Liebe war heute kein Thema nach ihrem Geschmack. Sie suchte im CD-Regal nach Linkin Park und wurde fündig.
Florian hatte es gar nicht erwarten können, dem Wohnzimmer den Rücken zu kehren. Dass sie die Ausrede mit dem Joggen so leicht geschluckt hatte, überraschte ihn, doch es zeigte ihm auch, dass sie nichts ahnte. Als ob er joggen würde! Gedanken- und Lieblosigkeit, das ist es, dachte er. Gedanken- und Lieblosigkeit machen diese Ehe kaputt. Und der Alltag.
Seit drei Monaten hatte er nun eine Affäre mit Sandra, einer Sekretärin seiner Kanzlei. Sandra war ganz anders als Kirsten, nicht so antriebslos, nicht so farblos, nicht so langweilig. Vor der Ehe mit Kirsten hatte vor allem seine Mutter ihn unermüdlich gewarnt, hatte ihm die Augen zu öffnen versucht, dass sie nicht die Frau seines Lebens war, und vielleicht war gerade das vehemente Dazwischenfunken seiner anstrengenden Mutter der Anreiz gewesen, mit dieser Frau so schnell wie möglich Nägel mit Köpfen zu machen. Wenn er jetzt darüber nachdachte, wie verrückt er nach ihr gewesen war! Völlig irrational und blind vor Liebe war er gewesen, wild entschlossen, sie zu halten, die eine, die sich endlich für ihn interessierte. Doch es hatte nur wenige Jahre gebraucht, um auch das Interesse anderer Frauen zu erwecken, mit dem beruflichen Erfolg mauserte er sich zu einem Mann, den die Frauen reizvoll fanden, und das gefiel ihm, schmeichelte ihm, dem Mann, der bis dahin nie einen Schlag bei Frauen gehabt hatte. Gut, Schlange standen sie nicht, aber Sandras Avancen waren unmissverständlich gewesen und er war nur allzu bereit darauf eingegangen. Er hatte sich verändert, er war älter und reifer geworden, er wusste, was er vom Leben wollte. Er wollte eine Partnerschaft, in der er die Zügel in der Hand hielt, und Sandra würde ihn niemals in Frage stellen, denn nicht zuletzt war er ihr Chef. Welch praktischer Umstand!
Den ersten Kuss mit ihr würde er dennoch nie vergessen! Elektrisierend, leidenschaftlich, verlangend war er. Dagegen waren Kirstens Küsse kalter Kaffee, ein müder, pflichtschuldiger Abklatsch. Gleich nach dem ersten Kuss hatten sie Sex gehabt auf der rauhen Auslegeware seines Büros und ihm wurden noch heute die Hände nass vor Aufregung, wenn er daran dachte. Sie hatten die Tür nicht abgeschlossen, sie waren einfach übereinander hergefallen und hatten es getan, während nebenan die Kollegen arbeiteten. In diesem Moment hatte der Kopfmensch Florian für wenige Augenblicke zu existieren aufgehört, und seitdem gönnte sich Florian auch endlich den Luxus, spontan zu sein, sein Leben zu genießen und das Geld, das er nervenaufreibend verdiente, mit Genuss auszugeben. Die Tatsache, immer neue Ausreden für seine ahnungslose Frau erfinden zu müssen, die keinen Argwohn schöpfte von seinem Doppelleben, war ein lästiges, aber notwendiges Nebenprodukt seines neuen Lebens, quasi ein Kollateralschaden. Trotzdem war alles so simpel! Sie vertraute ihm blind, die Wahrheit würde sie selbst dann nicht glauben, wenn er es direkt vor ihren Augen mit Sandra treiben würde. Mit der Sandra, die ihn verrückt machte.
Oh Kirsten, wie du mich unterschätzt...
Und Sandra, die wundervolle Sandra, machte es ihm so einfach, beide Frauen in seinem Leben taten das, ein überaus glücklicher Umstand, für den er äußerst dankbar war. Und da hielten sie sich immer für das durchtriebene Geschlecht mit den sensiblen Antennen! Welch Witz! Die eine merkte nicht, wie er sie betrog und die andere glaubte doch tatsächlich, für sie würde er sein glückliches Heim opfern.
Sandra war nicht so kopflastig wie Kirsten, Sandra genoss das Leben wie er. Und bei Sandra bekam er in einer Tour, was er haben wollte. So wie gestern Abend, als sie sich im Badezimmer seines Hauses geliebt hatten, mit jeder Menge Anwesender um sie herum, mit seiner Frau in direkter Nähe! Es hatte einen speziellen Reiz gehabt, wenn er an Kirsten dachte, die währenddessen unten keinen blassen Schimmer hatte und seine Party schmiss. Es hatte ihm ihr gegenüber ein wahnsinnig erfüllendes Gefühl der Überlegenheit gegeben, endlich einmal. Ja, er war ihr beruflich überlegen, aber ansonsten gab sie immer den Ton an. Wohlhabend, attraktiv, beliebt. Früher hatte ihn häufig die Eifersucht geplagt, wenn er seiner Frau nicht das Wasser reichen konnte, heute passierte ihm das nicht mehr.
Dass Kirsten nun gerade die CD in die Hände fallen musste, die Sandra ihm geschenkt hatte, ärgerte ihn enorm.
Zufällig wohnte sie ganz in der Nähe, eigentlich musste er nur zwei Straßen überqueren und schon war er bei ihr im siebten Himmel. Ja, er war verrückt nach Sandra, er konnte bei der Arbeit kaum die Finger von ihr lassen und musste sich nur noch überlegen, wie er aus dieser vertrackten Ehe mit Kirsten wieder herauskommen würde, ohne zu viele Federn zu lassen. Den Ehevertrag hatte er wegen seiner Mutter nämlich nicht unterzeichnet.
Nun sitzt er nebenan und spielt, naja, selbst schuld. Was schenkst du ihm auch ein Spiel!
Enttäuscht blieb sie auf dem Sofa sitzen und blätterte lustlos durch die Fernsehzeitung auf der Suche nach einer brauchbaren Ablenkung. Doch es lief nichts an diesem Samstagnachmittag, was ihre Gedanken hätte auf sich ziehen können.
Der Stringtanga zwickte sowieso, die Bügel des Bhs drückten, und so kam bei ihr keine Stimmung auf, um untätig auf dem Sofa herumzuliegen. Ständig zupfte sie an ihrer Unterwäsche herum und fragte sich, was sie nun tun könnte. Eine Freundin anrufen? Samstags hatten die alle mit ihren Familien etwas vor, weil es bei ihnen so etwas wie ein Familienleben gab. Ihren Vater anrufen? Als ob er sich jemals über einen ihrer Anrufe gefreut hätte. Im Internet surfen? Keine Lust dazu. Also blieb nicht viel übrig. Da konnte sie auch gleich den Geschirrspüler ein letztes Mal ausräumen, die Gläser polieren und alles wieder einräumen. Ihr Leben war so sehr das Gegenteil von aufregend und an diesem Tag fiel ihr das besonders auf. Alle bewunderten sie und Florian, bezeichneten sie als rundum glückliches Paar, doch rundum glücklich war Kirsten schon seit langem nicht mehr. Gestern Abend hatte sie sich bei den kurzen Gesprächen mit einem völlig Unbekannten, der indiskutabel jünger war als sie, zum ersten Mal wieder lebendiger gefühlt. Ihr war klar, dass er nur hatte nett sein wollen, dass er vielleicht auch niemanden zum Reden in dem Gewühl der vielen Menschen gefunden hatte, weil Männer mit seiner Attraktivität abschreckend auf Männer und Frauen gleichzeitig wirkten, da die Männer eifersüchtig auf das Äußere und die Frauen eingeschüchtert durch das Äußere waren und sich von vorn herein als chancenlos und minderwertig betrachteten. In der Situation hatte er sich eben an die Hausfrau herangepirscht und war ihr behilflich gewesen, um selbst aus der Unbehaglichkeit zu entfliehen. Es war lachhaft, mehr in das Geschehene hereinzuinterpretieren, so sehr die Vorstellung ihr kleines Ego auch erfreute. Als wenn der Superstar einem pickeligen, kreischenden Teenager vom roten Teppich aus kurz zugelächelt hatte. Mehr bedeutete es nicht.
Und die übrigen Gäste sahen in Kirsten einfach nur das, was sie war, nämlich eine langweilige Ehefrau, die keine besonderen Qualitäten zu haben schien, und darum unterhielt sich auch sonst niemand mit ihr. Weil sie uninteressant war, gänzlich facettenlos.
Das ist nicht wahr, schalt sie sich. Du bist interessant, du hast