Versuchung. Nina Galtergo
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Sie brauchte außerdem einen Termin beim Frisör, denn ihr Schnitt gefiel ihr schon seit längerem nicht mehr und nun war die Gelegenheit, endlich etwas zu ändern und Mut zu besitzen. Ihre beste Freundin Ulla stichelte schon ewig und zog sie damit auf, dass sie eine Puttchen-Frisur trage. „Ehrlich, Kiki, damit siehst du glatte zwanzig Jahre älter aus.“ Bisher hatte sie über diese wundervollen Komplimente stets mit juckendem Ohr hinweggehört, aber nun würde sie handeln. Au weia, meine schönen Haare...
Und sie brauchte neue Klamotten. Definitiv. Mit dem, was sie an Kleidung im Schrank hatte, würde sie alles andere als Eindruck schinden. Ganz im Gegenteil, mit dem grauen Unikum von der letzten Feier konnte sie sich glatt vor einem Betonpfeiler unsichtbar machen. Für „Mut zur Farbe“, hatte Ulla plädiert, vergebens. Sie hatte sich für den Look eines Elefanten entschieden, allerdings für den eines magersüchtigen Elefanten, denn immerhin war sie schlank. Gute Gene, geerbt von ihrer Mutter.
Mit der Kleidersuche würde sie gleich heute anfangen. Das konnte sich hinziehen...
Der Vormittag verstrich so langsam wie ein schlechter Film. Es tat sich fast nichts, ihr Vater kam nicht ein einziges Mal aus seinem Büro heraus oder nahm sonst irgendwie Kontakt zu ihr auf, außer beruflichen. Und seit er E-Mails für sich entdeckt hatte, nutzte er dieses Medium, anstatt persönlich mit seiner Tochter im Nebenflur zu kommunizieren. 12:55 schaltete sie den PC aus, zog sich den Mantel und den Rest ihrer Wintergarderobe wieder an, öffnete die Tür zum Raum ihres Vaters einen Spalt breit und rief „Tschüß, Papa!“
Wieder kam nur das bekannte „Hmhm“ zurück.
Auf sein krankes Aussehen würde sie ihn morgen ansprechen. Für einen Korb war ihre Laune schon mies genug. Das würde ihr den Schwung zum Shoppen endgültig rauben.
Nun aber nichts wie raus aus dem tristen Umfeld und rein ins Auto. Sie fuhr in die Stadt und steuerte auf eines der wenigen Parkhäuser zu, in denen mittags noch ein Platz zu kriegen war. Das waren die Parkhäuser mit einer stündlichen Gebühr von drei Euro. Seufzend zog sie sich ein Ticket und passierte die Schranke, dann zirkelte sie ihren Wagen gekonnt in eine Parklücke und stieg aus. Obwohl die Gebühren so hoch waren, flackerte in diesem Bereich des Parkhauses nur noch eine einsame Neonröhre müde vor sich hin, während der Rest offenbar seinen Winterschlaf hielt. Weit und breit war niemand zu sehen, weswegen sich Kirsten damit beeilte, zum Ausgang zu kommen. In der Beziehung war sie ein echter Angsthase. Ihr Portemonnaie verwahrte sie immer sicher in der Innentasche, denn sie war keine Handtaschenfreundin. Dennoch bekam sie Angst in dieser düsteren Umgebung. Mit wachsender Erleichterung kam sie dem Sonnenlicht immer näher und nahm hastig zwei Stufen gleichzeitig auf der Treppe zum Ausgang in die Fußgängerzone.
Die meisten Frauen auf der Weihnachtsfeier trugen schicke Cocktailkleider oder sonstige Abendgarderobe und Kirsten war in ihrer Rock-Bluse-Kombination stets als eindeutig underdressed aufgefallen. Das würde sich dieses Jahr ändern, schwor sie sich, und steuerte zielstrebig auf ein Geschäft mit Braut- und Abendmoden zu. Beim Betreten des Ladens erklang ein helles Klingeln von einem Glöckchen und Kirsten zweifelte für einen kurzen Moment daran, dass man hier für Frauen ihrer Altersstufe Klamotten anbot, doch als sie die junge Verkäuferin sah, wusste sie, dass ihre Sorge unbegründet war. Um den flauschigen Teppich tat es ihr leid, sie genierte sich, mit ihren vermatschten Stiefeln darauf zu stehen. Sie spürte förmlich den Matsch unter sich hinwegsickern.
„Guten Tag“, sagte die Verkäuferin freundlich mit einem einnehmenden Lächeln auf dem Gesicht.
„Hallo“, sagte Kirsten etwas unsicher.
„Suchen Sie etwas Bestimmtes?“, fragte die Verkäuferin.
Hier im Alleingang zu gucken, war sowieso zwecklos. Warum sich dann bei den Preisen nicht eine Beratung gönnen?
„Ja, ich brauche etwas für eine Weihnachtsfeier“, antwortete Kirsten.
„Möchten Sie erst einmal schauen oder soll ich Ihnen helfen?“
Was für eine Frage! Kirsten hatte das Gefühl, dass ihre gesamte Körperhaltung nur eines ausdrückte, und das war HILFE! Diese blondierte Schönheit mit ihrem Kataloglächeln brauchte gar nicht so süffisant zu lächeln, es war offensichtlich genug, dass sie hilfsbedürftig in Sachen Mode war.
„Ich könnte Ihre Hilfe gut gebrauchen“, erwiderte sie wahrheitsgemäß und die Schönheit lächelte gönnerhaft, aber dennoch sympathisch.
„Sie tragen eine 38 bis 40, nehme ich an“, sie musterte Kirsten abschätzend.
Kirsten nickte.
„Möchten Sie etwas Schlichtes oder eher etwas Auffälliges?“, fragte die Verkäuferin weiter.
Als Kirsten nicht gleich antwortete, sagte sie:
„Sie sehen aus wie der klassisch elegante Typ, der gerne gekonnt Akzente setzt.“
Wow, was für eine unerwartet blumige Charakterisierung ihrer schlichten Garderobe! Als Akzent konnte die Schönheit wohl nur den bunten Schal identifiziert haben, denn der klassisch elegante Rest war unauffällig in Beige und Grau und wurde mit dem düsteren Winterhimmel eins.
Schon nahm die Verkäuferin ein erstes Kleid von der Stange, Modell kleines Schwarzes.
„Wie wäre es damit?“
Schwarz war ja nie verkehrt, denn es machte schlank, also nickte Kirsten anerkennend.
„Ja, ist ganz hübsch“, murmelte sie. Aber wahrscheinlich so teuer, dass deine Kreditkarte beim Bezahlen Feuer fängt.
Als nächstes wählte sie ein schwarzes Kleid mit viel Chiffon aus, das deutlich tiefere Einblicke erlaubte als das erste.
„Und dieses hier?“, fragte die Strahlefrau.
Das Kleid war der Wahnsinn, doch das wollte Kirsten sich nicht anmerken lassen, also nickte sie wieder nur.
„Vielleicht auch etwas Farbiges? Lila ist momentan ganz in, und das hier ist ein wahrer Traum aus Seide!“
Sie nahm ein Kleid in Pflaume zur Hand und hielt es Kirsten prüfend hin. Kirstens Herzschlag beschleunigte sich, und sie brachte erneut ein „Ja, ganz hübsch“ über die Lippen. Sie war so wortkarg wie ihr Vater, hatte nicht das fröhliche Temperament ihrer Mutter, die beim Anblick dieser Kleider ganz aus dem Häuschen gewesen wäre. Sie sehnte sich so sehr nach ihrer Mutter und hätte sie hier und heute dringend gebraucht. Oder wenigstens Ulla, Martina oder Franziska, doch die hatten alle ein Nest bezogen mit vielen Kindern darin und keine Zeit für Shoppingtouren mit der kinderlosen, wohlhabenden Kirsten, die für ihr Geld eigentlich nicht einmal arbeiten musste. Ihre Mutter hatte als Innenarchitektin der Reichen und Schönen genug verdient und Kirsten alles vererbt, weil ihr Vater und sie sich einst auf Gütertrennung geeinigt hatten..
„Da sind unsere Umkleidekabinen“, wies ihr die Verkäuferin mit einer Handbewegung den Weg.
Kirsten ging hinter ihr her und bewunderte, wie sie sich auf den Absätzen so elegant bewegen konnte. Dieser Hüftschwung war perfekt, den musste sie bis Samstag unbedingt noch lernen. Die Schönheit hängte die Kleider in der Kabine an eine kleine goldene Stange und lächelte Kirsten aufmunternd zu.
„Wenn Sie Hilfe brauchen, dann rufen Sie mich einfach.“
Kirsten