Versuchung. Nina Galtergo
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„Schatz, nächstes Wochenende ist Weihnachtsfeier. Du willst doch bestimmt wieder nicht mit, oder? Die Tippse muss nämlich die genaue Personenzahl beim Catering durchgeben, die tritt mir schon seit Wochen auf die Füße deswegen.“
Die Weihnachtsfeier! Ein absolut ödes Beisammensein mit einem Haufen mehr oder minder Unbekannter, die so sehr mit sich selbst beschäftigt waren, dass das Buffet für Kirsten zum Interessenschwerpunkt des Abends avancierte. Meistens saß sie am Ende mit dem einem oder anderen Gläschen Alkohol zuviel intus auf einem der Besucherstühle in Florians Büro und starrte verträumt Löcher in die Luft. Das war auch der Grund für ihre Abwesenheit in den letzten zwei Jahren gewesen. Mit den anderen Frauen hatte sie sich auch nichts zu erzählen. Die meisten löcherten sie wegen ihrer Kinderlosigkeit, und sie war es leid, diesbezüglich Ausreden zu erfinden. Sie wusste ja selbst nicht so genau, warum sie heimlich immer noch die Pille nahm und Florian die Enttäuschung vorspielte, wenn sie wieder ihre Periode bekam. Wobei er schon seit Monaten nicht mehr fragte und sie das Gefühl nicht los wurde, dass ein Kind eigentlich auch in seinem Leben momentan überhaupt keinen Platz hatte. Sie zusammen mit Florian beim Ultraschall? Unvorstellbar. Florian, der ihr den wachsenden Bauch streichelte? Unvorstellbar. Florian, der ihr während der Geburt beistand? Unvorstellbar. Florian als guter Vater? Unvorstellbar.
„Kirsten, was ist denn nun? Was soll ich sagen?“, drängelte er sie in die Gegenwart zurück.
„Sag, dass ich gerne mitkomme“, antwortete sie abwesend, denn das war sie womöglich, ihre Gelegenheit. Vielleicht, altes Mädchen, winkt dir das Schicksal mit offenen Armen zu. Was hast du schon zu verlieren?
Er zog erstaunt die Stirn in Falten und schien für einen kurzen Moment die Fassung zu verlieren angesichts dieser offensichtlich unerwarteten Antwort. Dann fing er sich wieder und lächelte sie unergründlich an. „Schön“, sagte er, „dann melde ich dich mit an.“
Er machte kehrt und verließ die Küche wieder.
Kirsten polierte weiter versonnen das Glas in der Hand und empfand zum ersten Mal bei dem Gedanken an die Weihnachtsfeier eine vage Vorfreude. Sie würde Christoph wiedersehen, und sie hatte eine ganze Woche Zeit, um sich auf dieses Wiedersehen vorzubereiten.
Ihre Phantasie sponn weiter, sponn sich zusammen, dass der hübsche Jüngling tatsächlich mehr von ihr wollte als einen harmlosen Küchen-Smalltalk. Diese Gedanken daran, diese Phantasien, zählten die schon als Betrug? Nein, beruhigte sie sich, das spinnst du dir doch sowieso nur zusammen.
Was hätte ihre Mutter in einer solchen Situation wohl gedacht? Was hätte sie gefühlt, was hätte sie ihrer Tochter geraten?
In einem Anflug von Wehmut ging sie ins Wohnzimmer und kramte ihr altes Fotoalbum aus dem Schubfach hervor. Entstanden vor dem Zeitalter der digitalen Fotografie.
Sie übersprang die ganzen Kinderfotos und stieg ein in der Zeit um ihr Abitur. Sie sah sich und Ulla Arm im Arm vor den Pyramiden am Eingang des Louvre stehen, neben dem Grab von Jim Morrison und ein Foto, das Ulla von ihr und einem Verehrer namens Sören gemacht hatte, der ebenfalls seinen ersten Urlaub in Schulfreiheit in Paris verbracht hatte. Sie zog auf dem Bild mit ihm genüsslich an einer Zigarette, er hielt sie lässig im Arm und grinste selbstgefällig. Sören und wie weiter? Der Nachname blieb verschollen in ihrem alternden Langzeitgedächtnis. Irgendwann flogen halt die unwichtigen Infos über Bord, und der Nachname eines Typen, mit dem sie vor 13 Jahren in Paris einen Joint geraucht und anschließend eine erbärmliche, bekiffte Kicher-Nummer geschoben hatte, war so eine unwichtige Info.
Dann fand sie das Bild, das sie suchte. Ihre Mutter mit ihrem Vater tanzend auf ihrer Silberhochzeit. Sie tanzten Twist, sie lachte und ließ ihren Petticoat schwingen – ihr Faible für die Sechziger war mitreißend gewesen und sie hatte die Party ganz im Stile dieser Zeit ausgerichtet. Die beiden flirteten miteinander wie zwei Honigkuchenpferde, kurz, sie wirkten sehr glücklich miteinander. Sie stand klatschend am Rand und trug ein gepunktetes Minikleid, Ballerinas und eine furchtbare Schleife im Haar. Neben ihr stand Sven, ein netter Kerl, mit dem sie damals zusammen gewesen war. Sven, den sie für Florian verlassen hatte. Dumm gelaufen, mit Sven hättest du bestimmt mehr Spaß haben können als mit der Mensch gewordenen Spaßbremse.
So glücklich hatte sie ihren Vater nach dem Tod ihrer Mutter nie wieder gesehen. Und Kirsten hatte mit ihrem Tod ihre ganze Leichtigkeit eingebüßt. Der Tod ihrer Mutter hatte aus Kirsten eine andere Frau gemacht, die meilenweit entfernt war von der spontanen, lustigen, qualmenden, Sex habenden Kiki. Die Kirsten heute war geplagt von Zweifeln, Ängsten und gönnte sich kaum mehr ein Vergnügen. Der ernsthafte Mann, den sie geheiratet hatte, versetzte ihrem wilden Wesen zusätzlich den Todesstoß.
Zurück blieb eine Frau, die sich auf den Bildern von einst kaum wiedererkannte. Die beim Anblick der Bilder aber ein sehnsüchtiges Ziehen verspürte und sich dazu entschloss, etwas zu ändern, um ihrem Glück wieder auf die Sprünge zu helfen.
Seelenpflege
Am Montag ging Kirsten wie gewohnt zur Arbeit in das Büro ihres Vaters. Der musterte sie beim Betreten des Hauses kritisch wie immer durch die offene Bürotür und murmelte über den Rand seiner kleinen Lesebrille hinweg ein mürrisches „Morgen“. Dann sah er wieder in die Tageszeitung, die er vor sich auf dem Schreibtisch ausgebreitet hatte.
Kirsten zog ihren Mantel und die triefenden Schuhe aus, legte ihre vom Schneeregen durchnässte Mütze, den Schal und die Handschuhe auf die Heizung im Flur und ging zu der kleinen Kaffeestation.
„Möchtest du auch was zu trinken, Papa?“, fragte sie laut und als Antwort kam nur ein genuscheltes „Mhmh“.
Sie drückte den Knopf für den Kaffee und der Automat begann zu arbeiten. In der Zwischenzeit schlüpfte sie in die bequemen Schuhe, die unter ihrem Schreibtisch standen. Eigentlich lief sie gerne auf Socken herum, doch ihr Vater fand die Aussicht auf eine schuhlose Sekretärin indiskutabel, auch wenn fast nie jemand kam, während sie anwesend war. Tochter hin oder her, er hatte gewisse Ansprüche, die es einzuhalten galt. Vorsichtig nahm sie die Tasse mit dem heißen Inhalt vom Gitter herunter und balancierte sie durch den Gang in das Büro ihres Vaters. Ihr eigener Schreibtisch stand im Flur, der allerdings so großzügig war, dass er von der Quadratmeterzahl her locker mit dem Büro konkurrieren konnte. Ihr Vater hatte ihren Schreibtisch ungefragt in den Flur gestellt, als Kirsten begann, für ihn zu arbeiten. Die Enttäuschung über ihren Studienabbruch hatte er bis heute nicht verkraftet und es gab Tage, da behandelte er sie wie eine Aussätzige. Heute war wieder mal so ein Tag. Für den Kaffee bedankte er sich mit knapper Mühe und Not und gab Kirsten zu verstehen, dass seinerseits keinerlei Interesse an einem Gespräch bestand. So ging sie wieder aus dem Raum und schloss leise die Tür hinter sich. Ihr war bewusst, dass er sie nur bei sich arbeiten ließ, um dritten gegenüber nach dem Studienabbruch zu allem Überfluss nicht auch noch die daraus resultierende Arbeitslosigkeit seiner Tochter eingestehen zu müssen. Da seine damalige Sekretärin zu dieser Zeit sowieso mit dem Gedanken spielte, in Altersteilzeit zu gehen, hatte er Kirsten den Posten verschafft.
Trotz der Kürze ihres Treffens bemerkte sie, dass er müde aussah, müde und irgendwie krank. Sie beschloss, ihn später darauf anzusprechen, wenn sich seine Laune gebessert hatte. Sie kannte und fürchtete seine Morgenmuffeligkeit noch bestens aus den Zeiten ihres Zusammenlebens.
Heute gab es nicht so viel zu tun. Den Ablagekorb hatte sie fast geleert am Freitag, einem Auftraggeber musste sie ein Angebot zusammenstellen und ansonsten die normal anfallende tägliche Arbeit erledigen.
Innerlich ging sie durch, was sie nach Feierabend in dieser Woche alles erledigen musste, um am Samstag eine gute Figur zu machen. Sie brauchte einen