Spiel des Zufalls. Joseph Conrad

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Spiel des Zufalls - Joseph Conrad

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ihr das Entsetzen zumindest der Fynes zu schildern, wenn nun ein Unglück geschehen wäre. Ich sagte ihr, daß sie die ländliche Gemütsart nicht kenne. Hätte sie Anlaß zu einer Leichenbeschau gegeben, dann hätte der Spruch auf Selbstmord gelautet, mit unglücklicher Liebe als wahrscheinlichem Beweggrund. Niemand hätte es verstehen können, daß sie sich einfach aus Spaß an dem Wagestück die Mühe genommen habe, über zwei Plankenzäune zu klettern. In der Tat fiel mir das jetzt, wo ich halb spaßhaft davon sprach, selbst auf.

      Sie erwiderte, es sei nebensächlich, was ekelhafte Menschen von einem dächten, wenn man nur einmal tot sei. Das war mit unendlicher Verachtung gesagt. Aber ein leises Zittern in ihrer Stimme bewog mich, sie nochmals anzusehen. Da sah ich Tränen an ihren starken Wimpern. Und du kannst mir glauben, daß diese überraschende Entdeckung mich zum Schweigen brachte. Sie sah tiefunglücklich aus und -- wie soll ich mich ausdrücken -- nun, es paßte gut zu ihr. Die finsteren Brauen, der schmerzliche Mund, der leere, starre Blick! Ein Opfer! -- Und diese Einzelheiten machten sie anziehend, gaben ihr eine persönliche Note, verstehst du?

      Der Hund war uns vorangelaufen, sah uns nun vom Gartentor der Fynes gespannt entgegen und wedelte dazu ganz, ganz langsam mit seinem Stummelschwanz. Das Mädchen hastete durch die Zauntüre und in das Haus hinein und ließ mich höchst verdutzt auf dem Wege draußen stehen.

      Einige Stunden später kehrte ich zu dem gewohnten Schach in die Villa zurück. Dabei bekam ich weder das Mädchen noch Frau Fyne zu Gesicht. Wir spielten unsere zwei Partien, und beim Abschied teilte ich Fyne mit, daß ich geschäftlich in die Stadt müsse und vielleicht einige Zeit fortbleiben würde. Er bedauerte es lebhaft. Sein Schwager wurde für den nächsten Tag erwartet, aber er wußte nicht, ob er Schach spiele. Kapitän Anthony (der Sohn des Dichters, Sie wissen ja) sei ein verschlossener Mensch, scheu gegen Fremde, jeder Geselligkeit ungewohnt und seinem Berufe leidenschaftlich ergeben, erklärte Fyne. Während all der Jahre ihrer Ehe habe er sich nur ein einziges Mal dazu bewegen lassen, einige Tage mit ihnen zu verbringen. Er habe eine ziemlich unglückliche Jugend hinter sich. Und das habe ihn zum schweigsamen Mann gemacht. Doch ohne Zweifel, schloß Fyne, als rühre er an ein schweres Geheimnis, würden wir zwei Seeleute einander viel zu sagen haben.

      Das konnte niemals festgestellt werden. Ich wurde von Woche zu Woche in der Stadt festgehalten, bis es kaum mehr der Mühe wert schien, zurückzukehren. Da ich aber meine Zimmer in dem Bauernhause beibehalten hatte, beschloß ich, noch für einige Tage hinauszufahren.

      Es war spät und fast dunkel, als ich an unserer kleinen Station den Zug verließ. Das erste, was ich sah, war der unverkennbare breite Rücken und die muskulösen Beine des kleinen Fyne in Kniestrümpfen. Er eilte den ganzen Zug entlang, der alsbald abdampfte und ihn allein am Ende des Bahnsteigs zurückließ. Als er in meine Nähe kam, bemerkte ich, daß er sehr verwirrt schien, so verwirrt, daß er die übliche Begrüßung vergaß. Er rief nur ›Oh!‹ als er mich erkannte, und blieb unentschlossen stehen. Als ich mich erkundigte, ob er jemand mit diesem Zuge erwartet habe, schien er es nicht zu wissen. Er stammelte zusammenhanglose Worte. Ich blickte ihn scharf an. Soviel sich beurteilen ließ, war er vollkommen nüchtern. Außerdem war es gänzlich unsinnig, Fyne auch nur die geringste Ausschweifung zuzutrauen. Auch war er zu ernsthaft und nüchtern, um etwa plötzlich verrückt werden zu können. Da er aber vergessen zu haben schien, daß er eine Zunge im Munde hatte, so beschloß ich, ihn seiner Geheimnistuerei zu überlassen. Zu meiner Überraschung folgte er mir aber durch den Bahnhof auf die Straße hinaus und blieb an meiner Seite, obwohl ich ihn nicht dazu aufgefordert hatte. Doch wies ich seine Versuche zur Anknüpfung eines Gesprächs auch nicht zurück. Er hätte gar nicht mehr mit meiner Rückkehr gerechnet, sagte er. Habe mich aufgegeben. Das Wetter sei durchweg schön gewesen -- und so fort. Ich entnahm seinen Worten ferner noch, daß der Sohn des Dichters seinen Besuch etwas abgekürzt habe und tags zuvor zu seinem Schiffe zurückgekehrt sei. Ich äußerte kein Bedauern darüber, daß ich Kapitän Anthony verfehlt hatte, und wir gingen schweigend weiter, bis Fyne in der Nähe seines Hauses plötzlich erklärte, er wolle noch ein Stück mit mir weitergehen.

      ›Ich werde Sie bis zu Ihrer Türe begleiten‹, brummte er und ging auf die Gartentüre zu, wo die offenbar wartende Frau Fyne in Umrissen zu erkennen war. Sie war allein. Die Kinder mußten wohl schon zu Bett gegangen sein, und es fehlte der Schatten eines jungen Mädchens neben ihr.

      Ich hörte, wie ihr Fyne ein ›Nichts!‹ zurief und wie sie mit ihrer wohlgesetzten, ruhigen Stimme gleichmäßig betont zurückgab: ›Es ist, wie ich dir sagte!‹ Unterdessen war ich nach stummem Gruß weitergegangen. Doch Fyne holte mich fast augenblicklich ein und paßte sich meinem langsamen Schlenderschritte an, was ihm bei seinem hochentwickelten Gehstil recht schwer gefallen sein muß. Ich bin überzeugt, daß sein ganzer, muskulöser Körper unter einer unglaublichen physischen Langeweile zu leiden hatte; aber er machte auch nicht den leisesten Versuch, ihr durch eine Unterhaltung abzuhelfen. Er hüllte sich in ein düsteres Schweigen. Und das langweilte mich auch. Plötzlich sah ich eine noch viel ärgere Langeweile voraus. Gewiß! Er war deshalb so schweigsam, weil er mir etwas zu sagen hatte.

      Ich bekam einen ungeheuren Schrecken. Aber der Mann, dieses achtlose Tier, ist so beschaffen, daß in ihm die Neugierde, die niedrigste Neugierde, jedes Entsetzen überwiegt, jeden Abscheu und sogar die Verzweiflung. Meine gleichmütige Aufforderung, mit hereinzukommen und ein Glas zu trinken, beantwortete er mit einem tiefen, tragisch betonten ›Danke, ich will es‹, als spräche er vor dem Altar. Der Ausdruck seines Gesichtes, soviel ich davon beim Lampenlicht sehen konnte, gab mir keinen Aufschluß über die Art der bevorstehenden Mitteilung; wie es ja auch ganz natürlich war, da er sich für gewöhnlich schon so tiefernst zeigte. Er wirkte immer förmlich und unbeweglich und hätte das ganz gewiß auch getan, wenn er mir etwas ganz unglaublich Komisches mitzuteilen gehabt hätte.

      Er blickte mich ernsthaft an und entledigte sich einiger gewichtiger Bemerkungen darüber, daß Frau Fyne die Neigung hege, sich mit jungen Mädchen jedes Standes anzufreunden und ihnen Rat und Geleit zu geben auf den Pfaden des Lebens. Es war eine freiwillige Mission. Er billigte dieses Tun seiner Gattin und desgleichen ihre Ansichten und Grundsätze überhaupt.

      All dies mit undurchdringlichem Gesichte und tiefer, abgemessener Stimme. Trotzdem drängte sich mir die Überzeugung auf, daß er über irgendein besonderes Geschehnis außer sich war. In der bösen Hoffnung, mich an dem Unglück eines Mitmenschen erfreuen zu können, fragte ich ihn geradeswegs, was denn eigentlich passiert sei.

      Nun, es war passiert, daß eine junge Freundin vermißt wurde, und zwar seit genau sechs Uhr an jenem Morgen. Die Bedienerin, die die Hausarbeit tat, hatte sie zu der genannten Stunde zu einem Spaziergang das Haus verlassen sehen. Der Begriff ›Spaziergang‹ war im Hause der Fynes, der Wandersportler, nicht eben eng. Aber das Mädchen war weder zum Mittagessen, noch zum Tee, noch zum Nachtmahl heimgekehrt. Weder zu Fuß, noch im Wagen oder mit der Bahn. Er hatte sich nicht entschließen können, Erkundigungen einzuziehen, um nicht den Dorfklatsch zu entfesseln. Die Fynes hatten sie jeden Augenblick zurückerwartet, bis die Schatten der Nacht und das Schweigen des Schlafes sich allmählich über die friedliche Landschaft gesenkt hatten, die sich rings um die Villa dehnte.

      Nach dieser Eröffnung saß Fyne in quälenden Zweifeln da. Schlafengehen kam ja nicht in Frage -- und doch konnte augenblicklich auch nichts weiter unternommen werden. Was er mit sich selbst anfangen sollte, wußte er auch nicht.

      Ich fragte ihn, ob dies dasselbe junge Mädchen sei, das ich kurz vor meiner Abreise in die Stadt gesehen hätte. Er konnte sich nicht erinnern. ›Hatte sie dunkles Haar und blaue Augen?‹ fragte ich weiter. Er konnte beim besten Willen nicht sagen, welche Farbe ihre Augen hatten. Seine Beobachtungsgabe beschränkte sich ausschließlich auf Fußwege, in denen er allerdings Sachverständiger war.

      Ich bedachte mit Staunen, daß Frau Fynes junge Anhängerinnen für ihren Gatten nicht mehr bedeuteten als gleitende Schatten. Nach kurzem Zögern vermochte Fyne aber doch zu bestätigen, ja ... daß ihr Haar von einer dunklen Tönung gewesen

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