Spiel des Zufalls. Joseph Conrad

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Spiel des Zufalls - Joseph Conrad

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er feierlich. Dann sprang er auf, wie von einer Feder hochgeschnellt, und griff nach seiner Mütze. ›Vielleicht ist sie nach Hause gekommen‹, rief er mit seiner Baßstimme. Ich folgte ihm auf die Straße hinaus.

      Es war eine der tauigen, sternenhellen Nächte, die unseren Geist bedrücken, unseren Stolz niederzwingen, durch die Erkenntnis, wie trostlos einsam und nichtssagend unsere Erdkugel sich verliert in den strahlenden Weiten des unbeseelten Raumes. Ich hasse solchen Nachthimmel. Das Tageslicht ist dem Manne Freund, der unter wärmender Sonne seine Arbeit tut; auch wolkige, laue Nächte sind unserem Daseinsgefühl günstig. Am liebsten wäre ich in mein erleuchtetes Wohnzimmer zurückgelaufen. Denn es schien mir doch gar zu lächerlich, mich mit Fyne abzugeben, der da in Kniehosen unter den Gestirnen auf der nächtigen Erde stand und sich wegen eines unbedeutenden, kleinen Mädchens aufregte. Anderseits lag gerade in der Torheit auch wieder ein gewisser Reiz. Er hängte sein bestes Tempo ein, und ich sah mich so um elf Uhr nachts zu einer ernsthaften Leibesübung gezwungen. Weither über die Felder und Bäume, die im Dunkel verschwanden, grüßte ein erleuchtetes Fenster des Landhauses, ohne Vorhänge, wie ein Leuchtfeuer, das dem verlorenen Wanderer den Weg weisen sollte. Wir sahen Frau Fyne drinnen an dem Tisch unter der Lampe sitzen, mit gekreuzten Armen, jedes Haar sauber glatt gestrichen. Sie sah ganz und gar wie eine Gouvernante aus, die die Kinder zu Bett gebracht hat. Auch ihr Benehmen mir gegenüber war das einer Gouvernante. Ihrem Mann gegenüber auch, nebenbei bemerkt.

      Fyne sagte ihr, daß ich von allem unterrichtet sei. Kein Muskel in ihrem sonnverbrannten, glatten Gesicht rührte sich. Wahrscheinlich war sie sehr stolz auf diese eiserne Selbstbeherrschung. Denn da sie es mitangesehen hatte, wie zwei Frauen des feinsinnigen Dichters nacheinander durch allerlei Quälereien ins Grab gebracht worden waren, so hatte sie wohl diese kühle, abwesende Art angenommen, um den Ausbrüchen ihres begabten Vaters zu begegnen. Nun war sie ihr zur zweiten Natur geworden. Sie konnte, glaube ich, gar nicht mehr davon lassen; wohl auch nicht in der Stunde, als sie mit dem kleinen Fyne durchgebrannt war. Erinnerte man sich übrigens in ihrer Gegenwart an diese letztere Tatsache, so kam sie einem ganz unglaublich vor. Immerhin paßte ihre Selbstbeherrschung gut zu Fynes ewiger Feierlichkeit.

      Er tat mir richtig leid. Wie nahe es ihm ging! Schattenseiten der Feierlichkeit. Es belustigte mich aber auch. Ich sah die ganze Sache mit dem verschwundenen Mädchen nicht mehr so tragisch an. Konnte es nicht. Doch sagte ich auch nichts. Keiner von uns sagte ein Wort. Wir saßen um den großen runden Tisch herum, als hätten wir uns zu einer Beratung versammelt, und sahen einander nicht sonderlich geistreich an. Ich war daran, laut herauszulachen, als mich Fyne davor bewahrte, indem er letzte Weisheit von sich gab.

      Er eröffnete uns mit ernster Bekümmernis, daß er am nächsten Morgen zur Polizei gehen, eine Personalbeschreibung drucken lassen und Leute dazu anstellen wolle, die Brunnen in der Umgegend abzusuchen. Es klang sehr unheimlich. Ich murmelte etwas von einer Verständigung der Verwandten der jungen Dame. Das schien mir ganz natürlich. Fyne aber wechselte mit seiner Frau einen so bedeutungsvollen Blick, daß ich mir vorkam, als hätte ich eine Taktlosigkeit begangen.

      Ich wollte aber dem armen Fyne helfen, und da ich sah, wie er männlich unter der Unfähigkeit zu handeln, dem tatenlosen Warten litt, so sagte ich: ›Nichts davon kann bis morgen früh veranlaßt werden. Da Sie mir aber nun gezeigt haben, in welcher Richtung sich Ihre Vermutungen bewegen, so kann ich Ihnen etwas sagen, was wir sofort tun können: wir können auf dem Grunde des alten Steinbruchs nachsehen gehen, der etwa eine Meile von hier an der Landstraße liegt.‹

      Das Ehepaar schien hierüber sehr erstaunt, und so erzählte ich ihnen von meinem Zusammentreffen mit dem Mädchen. Es wird dich vielleicht überraschen, und doch versichere ich dir, daß mir bis zu diesem Augenblick diese Seite der Frage nicht zum Bewußtsein gekommen war. Es war wie eine plötzliche Erleuchtung, wobei die Vergangenheit ein düsteres Licht auf die Zukunft warf. Fyne öffnete feierlich den Mund und schloß ihn ebenso feierlich wieder. Nichts sonst. Frau Fyne sagte: ›Ihr solltet wirklich gehen!‹ mit einem Ausdruck, als wäre ihre Selbstbeherrschung an irgendeinem geheimen Fleckchen mit einer Stecknadel gekitzelt worden.

      Und ich -- du weißt, wie dumm ich gelegentlich sein kann -- ich sah dabei erst ein, daß ich mir eine neuerliche scharfe Leibesübung auf den Hals geladen hatte, indem ich Fynes trüben Gedankengängen gefolgt war. Und ob es mir leid tat, daß ich geredet hatte! Du weißt, wie mir das Gehen verhaßt ist, zumindest auf der festen, ländlichen Erde. Denn auf einem Schiffsdeck kann ich eine ganze Nebelnacht auf und ab gehen, ohne daß es mir was ausmacht. Es kann ja auch gelegentlich seinen Reiz haben, die Straßen einer großen Stadt zu durchwandern, bis der Himmel über den Klippen der Dächer verblaßt. Damit habe ich mich öfter als einmal unterhalten. Doch ist es mir immer als der Inbegriff des Schrecklichen erschienen, bei Nacht über offenes Land hinzutrotten.

      Frau Fyne sah völlig unbeteiligt zu, wie ich hinter ihrem Gatten zur Tür hinausging. Die Frau war hart wie Stein.

      Die frische Nacht war erfüllt vom Geruch der Erde, der aufgebrochenen Scholle, wie ein Grab -- eine Gedankenverbindung, die einem Seemann besonders verhaßt ist, weil sie ihn an Enge und Begrenzung gemahnt; sogar dann noch, wenn er die Hoffnung aufgegeben hat, im Meer bestattet zu werden. Und das ist so ziemlich die letzte Hoffnung, die ein Seemann wissentlich aufgibt, auch wenn er, wie es ja vorkommt, durch irgendeinen Zufall dazu gebracht worden ist, sich an Land sein Brot zu verdienen. Ein scharfer Grabesgeruch. Der Straßengraben mochte wohl in nächster Nähe des Dorfes neu ausgehoben worden sein.

      Sobald wir vom Garten klar waren, schoß Fyne dahin wie ein Rennboot. Was war ihm eine Meile -- oder zwanzig Meilen? Glaubst du vielleicht, er hätte sich zögernd auf die Suche gemacht? Es war wohl die Macht des Gehsportgeistes, der ihn erfüllte. Ich rannte neben ihm her, verhöhnte mich selbst und fühlte einen Riesenzorn gegen den Backfisch. Denn das war sie für mich, ob tot oder lebendig ... Ein Backfisch!«

      Ich lächelte ein wenig ungläubig über Marlows Heftigkeit. Marlow hielt mit einem spöttisch-nachdenklichen Ausdruck kurz im Sprechen inne, ließ sich aber im übrigen nicht beirren.

      »Ja, ja, sogar tot. Und das empört dich. Du armer Teufel bist ein gar so ritterlicher Mann. Ich aber habe genug Weibliches in mir, um mein Urteil über Frauen von ritterlicher Ehrfurcht frei zu halten. Und warum sollte ich mich auch anders machen, als ich bin? Für mich ist eine Frau nicht notwendig eine Puppe oder ein Engel. Sie ist ein menschliches Wesen, mir selbst recht ähnlich. Und zu viele, zu viele habe ich am Fuße unersteigbarer Riffe abgestürzt liegen sehen, als daß die bloße Möglichkeit, einen Leichnam am Grunde eines Steinbruchs zu finden, meinen Freimut hätte bändigen können.

      Die Steilwand des Steinbruchs erhob sich drohend vor uns. Ich gebe zu, daß Fyne und ich einen Augenblick zauderten, bevor wir uns von der Straße weg in das Gebüsch stürzten, das breit den Eingang abschloß. Die Sträucher hingen alle schwer voll Tau. Es gab auch ein paar verborgene Löcher. Wir krochen und strauchelten und tasteten uns mit den Händen am Boden vorwärts, wurden durch und durch naß, ganz voll Schmutz und reichlich zerkratzt. Fyne stürzte plötzlich in eine merkwürdige Höhle -- wahrscheinlich einen aufgelassenen Kalkofen. Als er betrübt seine Stimme erhob, da dröhnte sie feierlicher und tiefer noch als sonst. Das war die komische Kehrseite einer angeblich tragischen Situation. Während ich ihm heraushalf, erlaubte ich mir endlich ein offenes Gelächter. Fyne natürlich tat nicht mit.

      Ich brauche dir nicht zu sagen, daß wir trotz gewissenhafter Suche schließlich doch nichts fanden. Fyne bahnte sich sogar einen Weg bis zu einem verfallenen Schuppen, der in taunassem Gestrüpp verborgen lag. Er rieb Streichhölzer an, immer ein paar auf einmal, als wollte er sich unbedingte Gewißheit darüber verschaffen, daß die verschwundene Freundin seiner Frau sich nicht etwa dort verbarg. Das kurze Aufflammen beleuchtete sein ernstes, unbewegtes Gesicht, während ich mich ganz hemmungslos gehen ließ und in förmliche Lachkrämpfe verfiel.

      Ich fragte ihn, ob er ernsthaft und wirklich glaube, daß irgendein gesundes Mädel hergehen und

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