Konfrontation mit einer Selbstvernichtung. Stefan G Rohr
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Zuhören allein nutzt (dem Laien) so gut wie gar nichts, wenn es an den wahrhaftigen Inhalten mangelt.
Und schlussendlich müssen wir uns bei all diesen Fragen in Bezug auf „Sendungen“ und „Empfang“ stets mit dem Wissen arbeiten, dass der Wille zu sterben ein enorm großer gewesen ist. Und mit diesem Willen wird – ganz gewiss innerhalb der Entschlussphase (siehe Suizid-Phasen) – ein starker Reflex einhergegangen sein, alles daran zu setzen, dass das Vorhaben vom direkten Umfeld nicht vorzeitig erkannt und damit verhindert werden konnte.
Meine geliebte Frau empfand es in ihrer gestörten Psyche noch wenige Stunden vor ihrem Suizid für wichtiger, ihr berufliches E-Mail-Postfach zu bearbeiten und offene Aufgaben zu erledigen. Parallel dazu täuschte Sie noch „geschickt“ und äußerst glaubwürdig Zuversicht und Normalität vor – dieses, obwohl sie davon ausging, nur drei bis vier Stunden hiernach bereits tot zu sein. Sie spielte mir ein letztes Mal ihr Schauspiel vor, erklärte mir mit sensibler Vorausschau auf meine möglicherweise entstehende Skepsis ihr Verhalten und tat alles, um mich nicht zu beunruhigen oder gar „wachzurütteln“. Sie wollte mit großer Kraft ihren Tod herbeiführen – und dafür tat sie alles, was diesen Plan ohne Störung oder gar Entdeckung umsetzen lassen sollte.
Nicht zuletzt auch aus diesen Gründen bezeichne ich uns Hinterbliebene als „Opfer“. Dieses im doppelten Sinne: Wir sind Opfer der Tat, weil wir mit dieser in so fürchterlicher Weise belastet worden sind, und wir sind Opfer, weil wir auf vielfältige Weise „hintergangen“ und „betrogen“ wurden. Auch wenn diese Aspekte nicht mehr auf gesunder Psyche beruhten, somit in deutlich anderer Weise zu bewerten sind, so bleibt es im Kerne aber ein Faktum, dass unserer Erkenntnismöglichkeit bewusst entgegengewirkt wurde. Und die Frage nach einer rettenden Kommunikation (Warum hat sie/er mir denn nichts gesagt?) ist damit nahezu obsolet. Das „Schweigen“ ist ein Teil des suizidären Prozesses gewesen, alles andere hätte diesem verhindernd entgegengewirkt.
Teil 2: Mit dem Unfassbaren umgehen
In diesem Buchteil werden die sicher sensibelsten Probleme und Emotionen aufgegriffen, die es uns Suizid-Hinterbliebenen so unendlich schwer macht, mit dem Unfassbaren richtig umzugehen. Es ist das „Warum?“, die Frage nach der „Liebe“, die quälenden Überlegungen zur eigenen „Schuld“, die aufkeimende „Wut“ , welche uns über den tiefen Schmerz hinaus zusätzlich belasten. Und wir müssen uns wappnen, denn es kommt nun auch auf unser Umfeld an – dieses kann in unserer aktuellen Situation viel Gutes, aber eben auch viel Fehlerhaftes erzeugen.
Aus meiner eigenen Erfahrung sowie aus vielen Berichten betroffener Suizid-Hinterbliebenen weiß ich, wie sehr (und wie schnell) sich der fürchterliche Kreislauf der Fragen nach dem „Warum?“, „Wie konntest Du mir das antun?“ oder nach der „Schuld“ zu einem tosenden Taifun in unserem Inneren aufbäumt. In diesem Buch widme ich mich ganz gewiss und in zentraler Weise auch exakt um diese Problematiken, denn es sind wohl die quälendsten Ungewissheiten, die sich uns Hinterbliebenen bohrend und zermürbend aufzwingen.
Doch habe ich in diesem Teil des Ihnen vorliegenden Buches dennoch zwei andere Themenkomplexe vorangestellt, von denen ich – nach vielen Analysen, Überlegungen und Erkenntnissen – der Auffassung bin, dass sie gerade am Anfang unseres chaotischen Leidensweges von großer Bedeutung sein können. Das ist zum einen die Suche nach Antworten, warum die Liebe nicht mehr vorhanden zu sein schien, denn mit dem Suizid unseres geliebten Menschen hat sie/er diese doch aufgegeben. Und zum anderen ist da diese unsägliche, immer wieder aufblühende Wut, die in uns brodelt, was uns nicht nur noch mehr aufwühlt, sondern zugleich auch irritiert und Zweifel an unserer Integrität weckt.
Ich empfinde diese beiden Aspekte besonders wichtig, denn sie bereiten uns – wenn Sie und ich in unseren Ansichten im Grunde zu einer gewissen Übereinstimmung gelangen – auf die nachfolgenden Themen besser vor. Aber wie ich schon zuvor geschrieben habe: Es obliegt Ihnen allein, welche Reihenfolge Sie für sich wählen, denn in unserer aktuellen Lage sind alle Themen, Fragen, Aspekte und Wahrheiten am Ende gleich schwer erträglich.
Der Verlust der Liebe
Trauer ist instinktiv, nicht rational.
Das Heulen im Zentrum der Trauer ist roh und real.
Trauer ist Liebe in ihrer wildesten Form.
Megan Devine,
amerikanische Psychotherapeutin und Trauerbegleiterin
Sowohl für den Schmerz, als auch für die Liebe, gibt es keine Sprache. Wir sind lediglich in der Lage von tiefem, bisher ungeahnten Schmerz, oder der unendlichen, allumfassenden Liebe zu sprechen. Das sind aber nicht mehr als nur Worte. Die tatsächliche Dimension, vor allem das Wahrhaftige, können wir in keiner Sprache nachempfindbar erklären.
Unabhängig davon, ob sich unser Verlust auf einen geliebten Partner, Verwandten, das eigene Kind oder einen guten Freund bezieht, es ist der Verlust der Liebe, den Sie, liebe/r Leser/in, als das Schmerzhafteste verspüren. Und Ihre Trauer (so Megan Devine) ist der Schmerz um die verlorene Liebe, die Unerfüllbarkeit dieser im Zusammensein mit dem Menschen, dessen Tod zu beklagen ist. Bei uns als Hinterbliebene ist die Liebe nämlich ungebrochen vorhanden, wir verspüren sie nicht nur weiter, sondern nochmals viel intensiver. Der Sendungsempfänger, der Gegenpol ist jedoch nicht mehr (weltlich) gegenwärtig, unsere Liebe sehen wir deshalb als verloren an, sie geht auf einen Schlag ins Leere, findet keinen „Abnehmer“ mehr, keinen Mund zum Küssen, keine Hand zum Halten, keine Arme und Schultern, die uns noch empfangen können.
Und das ist grausam, ich kann es nicht anders beschreiben.
Zu all unserer Erkenntnis über die „verlorene“ Liebe drängt sich zusätzlich eine quälende Frage, ein Verdacht, eine zerstörerische Befürchtung auf: Hat mich der von mir so geliebte Mensch eigentlich selbst noch geliebt? Denn der Suizid – vielleicht haben wir den Toten auch noch selbst finden müssen – erzeugt bei uns reflexartig den Vorwurf: „Wie konntest Du mir dieses Bild, diesen Schmerz, diese Qual antun, wenn Du mich doch geliebt hast?“
Ohne den Anspruch auf umfassende Allgemeingültigkeit zu erheben, erlaube ich mir an dieser Stelle jedoch die womöglich ernüchternde (und erneut schmerzhafte) Einschätzung meinerseits, dass ich davon ausgehe, dass die von uns verstandene Liebe im Moment