Konfrontation mit einer Selbstvernichtung. Stefan G Rohr

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Konfrontation mit einer Selbstvernichtung - Stefan G Rohr

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Und selbst wenn es auch heutiger Sicht heraus derlei Signale gab, so bedürfen auch diese eines Kontextes, der sich aus Sensibilisierung, Kommunikation und Interpretation nährt. Was Ihnen heute so klar erscheint, war Ihnen damals höchstwahrscheinlich völlig im Verborgenen.

      Wie also war das Kommunikationsverhalten Ihres geliebten Menschen, sehr verehrte/r Leser/in? Insbesondere in der letzten Zeit vor dem Suizid? Welche Verhaltensstörungen konnten Sie identifizieren, die Ihnen (oder anderen) einen Hinweis auf eine bevorstehende Katastrophe oder eine psychische Störung gaben? Und wie war dieser Mensch überhaupt ausgerichtet? War dieser ein ansonsten offener Typ – oder neigte sie/er eher zur Verschlossenheit? Gab es vielleicht gerade vordringliche andere Probleme in Ihrem (gemeinsamen) Leben zu meistern, die Ihnen Sorge bereiteten, Ihre Konzentration abforderten, die existenziell oder zumindest bedeutend waren? Haben Sie vielleicht in der letzten Zeit selbst Lebenssituationen durchlaufen müssen, die ihre massive Zuwendung erforderten? War Ihr geliebter Mensch vielleicht so besorgt um Sie, dass sie/er Ihnen die eigenen Probleme nicht auch noch aufbürden wollte, sich (wie gewohnt) eher zurücknahm und sich selbst nicht so wichtigmachen wollte?

      Wir fragen so oft andere Menschen: „Wie geht´s Dir?“ Fast schon ein Automatismus, wenn wir anderen begegnen. Eine Standardfrage, die meist gar keine Antwort erwartet, außer das stereotype „Danke! Gut!“. Probieren Sie es einmal aus, auf diese Frage ehrlich zu antworten und zu sagen: „Mir geht es schlecht!“ Sie werden entweder in ein recht irritiertes Gesicht blicken, oder vielleicht sogar die Antwort erhalten: „Ach Gott, das tut mir leid. Aber wir haben ja alle unsere Sorgen.“

      Was ich damit sagen will ist folgendes: Wir haben es uns „kulturell“ angewöhnt, dass es uns immer „gut“ geht. Und wenn nicht, dann behaupten wir es dennoch – das jedenfalls gegenüber allen Menschen, die nicht zu unserem intimsten Kreis gehören. Sich aber zu öffnen und zu sagen, dass es einem schlecht geht, man Sorgen, Ängste hat, vielleicht sogar verzweifelt ist, ist nur dann angemessen, wenn wir uns nicht nur absoluter Vertrautheit gewiss sind, sondern zudem auch Hilfe oder zumindest Zuspruch erhoffen. Dieser „Hilferuf“ basiert aber auf gesunder Emotionalität im Einklang mit gesundem Realismus. Ist einer dieser beiden Pfeiler marode, so wird auch der „Hilferuf“ – wenn dieser dann überhaupt vernehmbar abgesetzt wird – ein anderer sein. Vielleicht subtiler, vorsichtiger, verschlüsselter, leiser. Oder er bleibt eben völlig aus. Aus Scham, aus Fürsorge, aus falscher Zurücknahme. Vielleicht auch aus der Komplexität und Verworrenheit der verspürten Probleme, die einfach nicht mehr erklärbar erscheinen. Vielleicht auch aus der Tatsache, dass die Lösung längst bekannt ist und mannigfaltig kommuniziert wurde, im Auge des Präsuizidenten aber keine akzeptable Lösung darstellt, seine Prinzipien verletzt oder sich mit seiner (labilen) Psyche einfach nicht verträgt.

      Meine geliebte Frau war per se eher eine verschlossene Person. Sie neigte gewiss stark dazu, ihr „Herz zu einer Mördergrube“ zu machen. Das betraf nicht alle Problemarten gleichermaßen. In Bezug auf berufliche Themen war sie offen und suchte bis (fast) zuletzt meinen Rat und meine Erfahrung. Hinsichtlich ihres langen und schweren Rückenleidens, den damit einhergehenden vielen Schmerzen und Einschränkungen, war sie nicht nur zurückhaltend, meist sogar verschwiegen oder im besten Falle verniedlichend. In nur sehr seltenen Situationen öffnete sie sich vollends, das aber nur, wenn es nicht mehr anders ging. Ich selbst war in den langen Jahren mit ihr stark sensibilisiert, ihre ganz eignen „Zeichen“ zu erkennen, die sie zum Beispiel aussendete, wenn sie starke Schmerzen hatte. Und wenn ich dann fragte (wissend, dass es so ist) „Hast Du wieder Schmerzen?“, dann war ihre Antwort nahezu immer: „Alles gut!“ Ich hatte gelernt, dass sie auf ihre Weise damit umgehen konnte. Sie war äußerst verantwortungsvoll im Umgang mit ihren starken Schmerzmedikamenten, steuerte die Dosen stets allein, setzte die Mittel immer wieder ganz ab, und sie beteuerte stets, dass Sie nach all den Jahren gelernt hätte, mit einem gewissen Maß an Schmerzen (die normal jeden anderen schwer belastet haben würden) durchaus leben zu können.

      Alles gut! Das war das Credo ihrer Problemkommunikation. Und auch wenn ich – was ich nie aufgab – tiefer nachfragte, sie zur Öffnung ihrer „Mördergrube“ drängte, blieb sie fast immer dabei, lenkte ab, wechselte das Thema oder fauchte mich irgendwann an: „Hör auf mich zu fragen. Ich melde mich schon, wenn es schlimmer wird.“ Sie war seit vielen Jahren, mehr als ihr halbes Leben, daran gewöhnt, ihre Probleme nicht zu diskutieren. Ihr Ehrgeiz, ihr Perfektionismus, aber auch ihre Fürsorge für ihr intimstes Umfeld sorgten dafür, dass ihre Lasten nicht die der anderen zu sein hätten. Sie würde mit alledem ganz allein zurechtkommen.

      Wenn man daran gewöhnt ist, dass jemand wegen seiner vielen Rückenschmerzen so manche Nacht nicht ruhig (oder gar nicht) schläft, dann ist die Signalgebung einer depressiv bedingten Schlafstörung weder auffällig, noch ist diese von dem bisher Gewohnten zu unterscheiden. Ich erwähne das als Beispiel, denn dieses soll dazu dienen, das Kommunikations- und Sendungsverhalten Ihres geliebten und nun verlorenen Menschen im Nachgang zu betrachten, mit dem Ziel, sich die folgende Frage zu beantworten: War es Ihnen objektiv (!) möglich, die Katastrophe zu erkennen? Und wenn ja, dann schließen sich die Betrachtungen über das „Wann?“ sowie die „Signalstärken“ an.

      Niemand in der Welt läuft herum und stellt Menschen, denen es gerade nicht besonders gut zu gehen scheint, die Frage: „Denkst Du gerade an Suizid?“ Dazu bedarf es eindeutiger, zumindest aber klarerer Hinweise und Alarmmomente. Wenn hingegen ein Präsuizident sich auch noch tarnt, sein Innerstes eben nicht preisgeben will (aus welchen Gründen auch immer), dann haben es selbst versierte Therapeuten äußerst schwer, dem drohenden Drama auf die Spur zu kommen.

      Andrew Solomon schreibt in seinem Buch „Saturns Schatten“ auch über seine eigenen schweren Depressionen sowie über seine häufigen Suizidgedanken. Selbst erfahrener Therapeut und Psychoanalytiker, bestätigt er dabei sehr eindrücklich, dass es Experten so gut wie unmöglich ist, eine Suizidgefahr zu diagnostizieren, wenn der Patient sich verschließt und tarnt. Dem laienhaften Umfeld ist das somit noch weniger möglich. Das bestätigt nahezu die gesamte Fachwelt. Und das sollten wir uns in unseren Überlegungen stets vor Augen führen.

      Wie also war die Kommunikation des geliebten Menschen, als er noch unentschlossen, ambivalent oder gar schon entschieden war? Vor Ihrer Antwort, sehr geehrte/r Leser/in, versuchen Sie bitte alle Erkenntnisse auszublenden, die Ihnen nun – nach Kenntnis um die Tragödie – im Kopf herumsausen. Damit meine ich die Denkansätze: Man hätte …! Versuchen Sie so objektiv wie möglich zu bewerten. Und kommen Sie zu einer Antwort, die im Kerne aussagt, dass Sie in bestimmten Gesprächen oder Situationen etwas hätten merken, in Alarmbereitschaft geraten müssen, dann wäre es ratsam diesem Aspekt ihre Erklärung gegenüber zu stellen, die Sie sich aufgrund der Lebensgewohnheiten und der damaligen Lebensumstände selbst (ganz logisch) erklärend (und beruhigend) gegeben haben.

      Meine geliebte Frau hatte in den letzten neun Monaten ihres Lebens eine zunehmend reduzierte Libido. Ein drei Viertel Jahr ist schon ein langer Zeitraum, der den anderen Partner zum Nachdenken (und vielleicht sogar Nachfragen) kommen lässt. Doch wenn in dieser Zeit bestimmte Lebensereignisse und –umstände vorherrschen, die den Spaß an einem lebendigen Sexualleben ganz nachvollziehbar trüben können, dann ist es eher die Sorge um die Ereignisse und Umstände, als um den (temporär) sexualgehemmten Partner. In meinem Fall waren es drei Ereignisse, die signifikant waren: die Weiterbildung (mit Examen) meiner Frau, die Krebsdiagnose ihres Vaters (mit allen nachfolgenden Unannehmlichkeiten) und ihr Start in einer neuen Firma mit der jüngst erworbenen Qualifikation (einschließlich Probezeit). In dieser Zeit war es für alle schwer genug, die Ereignisse und Verantwortung so unter einen Hut zu bekommen, dass alles irgendwie noch bewältigt werden konnte. Dass in einer solchen Zeit das eheliche Sexleben hinten herunter fällt, ist weder verwunderlich noch ungewöhnlich. Und ein sorgenvolles, betrübtes Verhalten, deutlich weniger Fröhlichkeit und durchblitzender Pessimismus stellt niemand in einer solchen Situation mit Depressionen und Selbsttötungsüberlegungen in den Zusammenhang.

      Wie oft habe ich mir im Nachgang die Fragen gestellt: Warum hat sie mir nur nie

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