Konfrontation mit einer Selbstvernichtung. Stefan G Rohr
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Vilma Espin (1959 – 2007),
kubanische Revolutionärin
Wie oft haben Sie sich in Ihrer Tragödie schon gefragt, warum Sie nicht mehr über „alles“ gesprochen haben, warum Sie vielleicht nicht aufmerksam genug zugehört haben, warum Ihr geliebter Mensch so verschlossen und so still war. Sie haben doch sonst immer über alles miteinander sprechen können. Ihre Vertrauensbasis war doch intakt. Die Liebe war das Bindemittel. Geheimnisse gab es doch zwischen Ihnen nie wirklich.
Und hat sich bei Ihnen nicht auch der Gedanke nach und nach eingeschlichen, dass Sie wahrscheinlich nur zu ignorant, zu oberflächlich, zu sehr mit sich selbst beschäftig waren? Dass Sie – wenn Sie denn nur ein wenig aufmerksamer und einfühlsamer gewesen wären – es natürlich gemerkt hätten, was in Ihrem geliebten Menschen innerlich vorging? Und in dem furchtbaren Wissen um dessen Suizid mischt sich nun die Tragik in Ihren Schmerz, dass Sie es doch hätten verhindern können, sofern Sie nicht so egoistisch, Sie nur ein wenig mehr fürsorglicher, kommunikativer gewesen wären.
Ob dieses nun ein Reflex ist, oder tatsächlich in einzelnen Situationen sogar zutreffend war, es ist ein innerlicher Ablauf bei Ihnen, der damit zu vergleichen ist, was ein Vater oder eine Mutter fühlen, die einen kurzen Moment weggeschaut haben, und in dieser Sekunde ist der Vierjährige gegen die offene Türe gerannt und hat sich eine Platzwunde zugezogen, die zeitlebens eine deutliche Narbe hinterlassen wird.
Wie konnte ich nur wegsehen?
Ich hatte doch die Verantwortung!
Warum habe ich die Türe auch offen gelassen?
Wie konnte ich so leichtfertig sein?
Nur weil das Handy klingelte!
Weil ich in diesem Moment so egoistisch war!
Es war doch nur ein kurzer Augenblick der Unaufmerksamkeit!
Das ist ein Beispiel, na klar. Doch ähnelt es nicht in seinem Charakter Ihrer heutigen Situation? Das tragische Unglück ist geschehen, Sie wissen nun (plötzlich), was in Ihrem geliebten Menschen vor sich ging. Und Sie haben – so ist Ihre Empfindung – nicht ausreichend hingeschaut! Nicht genug gefragt! Signale übersehen! Nicht aufmerksam hingehört! Waren vielleicht gerade zu sehr mit sich selbst beschäftigt! Und so weiter, und so weiter …
Falls Sie es vorhaben, diese Selbstmarterung fortzusetzen, dann werden Sie sich einen massiven Schuldkomplex einhandeln – und das ganz sicher zu Unrecht (siehe hierzu „Schuld“). Das wäre noch nicht einmal berechtigt, wenn Sie vorsätzlich gehandelt haben würden, oder zumindest grob fahrlässig. Denn für den Suizid ist nur Ihr geliebter Mensch selbst verantwortlich. Doch weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit werden bei Ihnen in Ansatz zu bringen sein. Auch da bin ich mir sicher. Wie „schlecht“ Sie auch immer gegenwärtig über sich denken und urteilen möchten, Sie werden wohl kaum beabsichtigt oder bewusst in Kauf genommen haben, dass Ihrem geliebten Menschen etwas Derartiges passiert.
Sie gleichen derzeit aber die Erkenntnis um das tragische Ende mit den (theoretischen) Möglichkeiten ab, die (allein) Sie sich nun im Nachgang als rettende Maßnahme vorstellen. Wie in so vielen harmlosen Beispielen gesagt wird: Hätte, hätte, Fahrradkette. Denn Fakt wird es sein, dass in Ihnen kein (ausreichender) Verdacht aufkam, Ihnen nichts (oder zu wenig) merkwürdig oder gefährlich erschien, Sie keine (oder zu wenige) Anlasspunkte besaßen, eine solche Tragödie anzunehmen, vorherzusehen und die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten. Die Lage war aus Ihrer subjektiven Wahrnehmung höchstwahrscheinlich einfach eine völlig andere!
Im Nachgang sind wir immer schlauer. Das ist nicht schwer, das müssen auch Sie zugeben, und das sollten sich auch alle Menschen in Ihrem Umfeld immer wieder selbst vorsprechen. Und selbst wenn wir an der einen oder anderen Stelle, in einer vielleicht problematischen Situation, etwas verspürt, geahnt oder einfach nur anders reagiert hätten, wäre es dann garantiert gewesen, dass der Suizid unseres geliebten Menschen damit ein für alle Mal vom Tisch gewesen wäre? Das ist nicht nur höchst unwahrscheinlich, zudem auch eine rein theoretische Annahme, die sich in keiner Weise belegen lässt.
Wir leben nun einmal in Momenten, in Zeitfenstern und Fügungen. Sich im Nachhinein vorzuwerfen, es hätte von Ihnen mit mehr Vernunft oder Fürsorge verhindert werden können, träfen allenfalls zu, wenn Sie einen Unfall mit 2,5 Promille Alkohol im Blut verursacht hätten. Dann dürften Sie sich Schuld zuweisen und den Rest mit Ihrem Gewissen ausmachen.
Verzeihen Sie mir bitte diese profane Metapher. Aber sie dient der Objektivierung. Sie haben gehandelt – ob im Detail (objektiv/subjektiv) fehlerhaft ist nur eine Nuance. Welche Chancen waren Ihnen denn gegeben? Ihr Handeln fand auf einem längst bestellten Acker statt, denn das Unglück hängt meist in seiner kausalen Kette von vielen Faktoren ab, die Sie persönlich gar nicht komplett verantworten und nur zu einem geringen Teil selbst beeinflussen können.
Im Fokus dieser Betrachtungen steht die Kommunikation. Und mit dieser die Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit der Gespräche zwischen Ihnen (und Ihrem Umfeld) und dem nun verlorenen geliebten Menschen. War es so, dass Sie etwas von dem gesagt (oder gemeint) haben, was ich jetzt exemplarisch aufführe?
Mich interessieren Deine Probleme nicht!
Lass mich in Ruhe mit Deinen Sorgen!
Ich habe kein Interesse Dir zuzuhören!
Ich will von alledem nichts wissen!
Es ist mir egal wie Du Dich fühlst!
Es ist mir Wurst ob Du an Suizid denkst!
Oder ist es nicht vielmehr so gewesen, dass der geliebte Mensch Ihnen gegenüber seine Probleme, Ängste, Sorgen, Depressionen, innersten Gedanken verborgen hat? Hat er Sie vielleicht sogar belogen, getäuscht, in die Irre geführt? Erkennen Sie nicht heute ein Schauspiel, geschickte Tarnung, gezielte Ablenkung von Plänen und Vorbereitungen?
Und haben Sie nicht doch verschiedentlich hier oder dort sogar kritische, besorgte Fragen gestellt? Was ist in letzter Zeit los mit Dir? Wieso bist Du so still? Hast Du Sorgen? Hast Du Schmerzen? Warum schläfst Du so schlecht? Kann ich Dir irgendwie helfen? Soll ich Dir etwas abnehmen? Haben Sie vielleicht sogar Problemzonen erkannt, Empfehlungen und Ratschläge gegeben, gemahnt, zur Vorsicht aufgerufen, zur Besinnung oder zur „Entschleunigung“ aufgefordert?
Und welche Antworten haben Sie darauf bekommen? Hat Ihnen der geliebte Mensch gesagt: „Ich habe Depressionen!“ – „Ich kann es nicht mehr ertragen!“ – „Ich habe sehr schlechte Gedanken!“ - „Ich denke an Suizid!“ Ja, gereicht hätte mit Sicherheit ein einfaches Sätzchen: „Hilf mir!“
Kommunikation ist weder eine Bring- noch eine Holschuld. Kommunikation ist ein interaktiver Prozess der darauf beruht, dass jeder Teilnehmer seinen Teil dazu beiträgt, dass der notwendige Informationsaustausch in Gang kommt, aufrechterhalten bleibt und die jeweiligen Ziele erreicht werden. Das ist innerhalb von Geschäftsprozessen in keiner Weise anders als im privaten Zwischenmenschlichen, einschließlich des Zusammenlebens mit einem geliebten Menschen.
Blicken Sie nun zurück, so wird es Ihnen ganz sicher wie Schuppen von den Augen fallen, dass es mit der aller