Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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„Kenne ich nicht. Schwarze Augen und dunkles Haar mit blasser Haut? Ich weiß nicht, wer das sein soll. Vielleicht ein Vampir? Hatte er auch etwas großgeratene Zähne?“ Julian grinst und nimmt mich nicht für ganz voll. „Und was suchte der in unserem Garten?“, fragt er, sich ein Lachen verkneifend. „Vielleicht einen Unterschlupf?“
„Tja, wenn ich das wüsste“, antworte ich schnippisch.
Julian sieht mich seltsam an und sein Grinsen verschwindet plötzlich. „Hast du ihn denn nicht angesprochen? Schließlich hat der doch nichts in unserem Garten zu suchen.“
Ich will Julian nicht erzählen, wie ich hinter dem Busch gehockt hatte und dann plump und dümmlich den Jungen anquatschte. So weiche ich etwas in meiner Antwort aus. „Klar! Natürlich wollte ich wissen, was er da sucht. Aber er meinte nur, dass ich das aus meinen Träumen wissen müsste.“
In dem Moment dreht Julian ruckartig seinen Kopf zu mir herum und seine braunen Augen wirken plötzlich erschreckend dunkel, dass ich einen Moment glaube, in die Augen des Jungen aus unserem Garten zu schauen.
„Das hat er gesagt?“, fragt Julian verdattert und sieht mich betroffen an. Dann flüstert er mehr zu sich selbst: „Das gibt es doch gar nicht. Wer ist dieser Kerl?“
Das hätte ich auch zu gerne gewusst. Aber Julian kann mir das augenscheinlich nicht sagen.
Dicht an mich herantretend, raunt er mit eindringlicher Stimme: „Wenn du den irgendwo noch einmal siehst, dann sagst du mir sofort Bescheid. Hast du verstanden?“ Dabei packt er mich an den Armen und schüttelt mich durch, als müsse er mich dazu zwingen.
„Ja! Schon gut!“, antworte ich ihm schnell und verziehe vor Schmerzen das Gesicht. Dass Julian sich plötzlich so aufregt, hatte ich nicht erwartet. Fast habe ich etwas Angst, ihm den Jungen wirklich zu zeigen, wenn ich ihm noch einmal begegne. Wer weiß schon, was Julian mit ihm anstellt? Und eines wird mir auf einmal klar. Ich will auf gar keinen Fall, dass Julian ihm auch nur ein Haar krümmt.
Als ich am Abend ins Bett falle, kann ich wieder nicht einschlafen. Doch diesmal sind es nicht die Geschichten der Vergangenheit, die schwer auf meiner unruhigen Seele lasten, sondern der Gedanke an diesen seltsamen Jungen, der angeblich über meine Träume Bescheid weiß. Ein Zustand, der mich äußerst beunruhigt. Denn wenn Julian ihm nichts davon erzählt hat, wer dann? Es weiß doch sonst niemand davon. Nicht mal Christiane.
Ich schließe nach langem Hin und Her meine Eltern aus. Die sind in dieser Sache so querdenkend, dass sie bestimmt mit niemanden darüber sprechen. So drängt sich mir der Gedanke auf, dass dieser Junge vielleicht mit diesem alten Professor Knecht zu tun hat, der ihn über die Vergangenheit meines Vorfahren informierte und ihn ausschickte, um mehr darüber zu erfahren. Aber der kann unmöglich etwas über meine Träume wissen. Oder hatte ich mich verhört und dieser Junge hatte etwas ganz anderes gesagt?
So sehr ich auch grübele, ich weiß es nicht. Das Einzige, was ich genau weiß, ist - ich will diesen Jungen wiedersehen. Aus irgendeinem Grund bekomme ich ihn nicht mehr aus meinem Kopf.
Irgendwann muss ich dann doch eingeschlafen sein. In meiner Traumwelt werde ich von Julian in einen dunklen Wald geführt. Ich starre auf die Gestalt meines Bruders, der vor mir geht und mich an der Hand hinter sich herzieht. Dabei verwandelt er sich immer mehr in einen dunklen, angsteinflößenden Mann. Als wir auf eine Lichtung kommen, dreht er sich zu mir um und ist plötzlich ein alter Mann mit gehässigem Gesichtsausdruck.
Ich versuche mich loszureißen und höre mich rufen: „Kurt, lass mich los! Hilfe! Was willst du von mir?“
Doch der Mann grinst nur böse und zerrt mich auf eine Lichtung hinaus. Dort sehe ich im hohen Gras ein riesiges Holzkreuz liegen, auf dem eine Gestalt festgenagelt ist.
Vollkommen entsetzt erkenne ich den Jungen aus unserem Garten, der in diesem Moment die Augen öffnet und schreit: „Lauf! Carolin, verschwinde von hier! Julian ist besessen!“
Nass geschwitzt und völlig verängstigt schrecke ich aus dem Traum hoch und reiße das Licht an.
Am Ende meines Bettes sitzt mein Bruder und starrt mich an.
„Julian!“, rufe ich erschrocken und versuche mir bewusst zu machen, dass ich in meinem Bett liege, nur geträumt habe und Julian mein mich liebender Bruder ist.
Verstört raune ich: „Mensch, ich hatte wieder so einen schrecklichen Traum. Wenn das doch bloß mal aufhören würde.“ Dabei wische ich mir den Schweiß von der Stirn.
„Was hast du geträumt? Du riefst meinen Namen“, fragt Julian und klingt lauernd.
Ich schüttele nur den Kopf, die Verständnislose spielend. Es erscheint mir unmöglich, Julian von diesem Traum zu erzählen. „Ach, ist doch egal“, erwidere ich und werfe mich in mein Kissen zurück.
Julian springt von der Bettkante auf, tritt an das Kopfende meines Bettes, beugt sich zu mir runter und faucht: „Carolin, das ist nicht egal!“
Ich sehe ihn überrascht und verunsichert an. Sein Ausbruch erschreckt mich.
Julian scheint sich bei meinem ängstlichen Zurückweichen zu besinnen. Er rückt sofort wieder etwas von mir ab, um mir im milden Ton zu versichern: „Ich meine natürlich, dass es deswegen nicht egal ist, weil du dich sonst immer tiefer in diese Träume verstricken könntest. Das wollen wir doch nicht, oder?“
Ich schüttele den Kopf und ziehe die Bettdecke bis unter mein Kinn. Mir ist kalt und ich fange zu zittern an.
„Nah, siehst du! Deswegen solltest du mir besser jeden deiner Träume genau schildern, verstehst du?“
Ich nicke zwar, spüre aber ganz klar einen heftigen Widerwillen gegen Julians Wunsch. Ich kann es nicht genau deuten, aber irgendetwas sagt mir, dass Julian der Letzte ist, dem ich meine Träume genau schildern sollte. Erschreckend baut sich vor meinem inneren Auge wieder das Bild von dem Jungen am Kreuz auf, der mich so eindringlich vor Julian warnte.
Ich schüttele leicht den Kopf, um den Gedanken daran zu vertreiben. Julian würde mir nie etwas zuleide tun.
„Ich habe dir ein Buch gekauft“, raunt der mir zu und ich sehe in seiner Hand ein kleines, blaues Büchlein. „In das schreibst du am besten jeden Traum auf. Dann schaffen wir es bestimmt bald, dich von den Träumen zu befreien.“ Dabei lächelt er mich aufmunternd an. „Glaub mir, das ist wirklich das beste Heilmittel. Besser auf jeden Fall als so ein Quacksalber von Arzt, der deinen Kopf wieder durchwühlt.“
Ich nicke und starre Julian über den Rand der Bettdecke hinweg an.
Mit einem zufriedenen Lächeln zwinkert er mir zu und legt das Buch auf mein Nachtschränkchen und einen Kugelschreiber oben drauf. „Es ist nur zu deinem Besten“, sagt er noch und verlässt mein Zimmer.
Ein schneller Blick auf meinen Wecker sagt mir, dass es schon nach Mitternacht ist. Muss Julian denn nie schlafen?
Ich liege noch einige Zeit wach und versuche zu verstehen, was eigentlich mitten in der Nacht um mich herum geschieht. Was mir die vielen Nächte lang nicht weiter in den Sinn kam, drängte sich mir plötzlich erschreckend auf. Was macht Julian eigentlich immer in meinem Zimmer, egal ob ich böse träume oder nicht? Und … hatte er überhaupt vorgehabt, mich