Die steinernen Türme. Margarete Hachenberg
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Читать онлайн книгу Die steinernen Türme - Margarete Hachenberg страница 3
„Nein! Wir geben nichts mehr!“ Darauf nahmen die Soldaten keinerlei Rücksicht. Wer nicht freiwillig gab, bezahlte mit seinem Leben. Sie raubten Geschirr, den Hausrat, Herden von Schweinen zogen sie mit sich fort, Korn, Schmuck, einfach alles, was die Not in dieser Zeit linderte. Selbst die Kirche verschonten sie nicht, sie brachen die Fenster heraus und gossen aus dem Blei die todbringenden Kugeln. Die Söldner schlugen die Hütten mit ihren Äxten ein. Das Holz stapelten sie in ihrem Quartier am Friedhof, machten Feuer, kochten und brauten Bier. Die Männer plünderten dort, wo sie nicht aus freien Stücken erhielten und machten sich alles zu Eigen.
Mit ihren brennenden Fackeln zündeten die Soldaten die Dächer an. Dunkelgrauer Rauch stieg in den Himmel auf. Wer nicht durch die Hand der Soldaten starb, den raffte die Pestilenz dahin.
Erstarrt vor Entsetzen stoben die Menschen schreiend auseinander. „Nehmt die Kinder und flieht in den Wald!“ schrie Caspar Kretzer seinem Weib zu. „Versteckt Euch im Dickicht!“ Seine Gedanken jagten. Er führte seine beiden Kühe und die verbliebenen drei Schweine, trieb sie vor sich her und folgte seiner Familie. So machten es dann auch andere Familien. Andere flohen zur eichenen Eingangstüre der Kirche, gingen hinein in die heiligen Hallen und flehten kniend um Hilfe.
„Macht Euch ab in das Erdloch!“ schrie Jacob Meier, denn in den ruhigen Zeiten, in denen das Heer abgezogen war, hatte er ein tiefes Loch in die Erde gegraben zwischen zwei Pfähle für sich und seine Familie. Über dem Loch lagen abgeholzte Baumstämme, Erde und Laub, so dass man es von oben nicht sofort entdecken konnte.
„Herrgott, sei uns gnädig. Der Teufel lebt mitten unter uns! Befreie mich und die Meinen aus der Knechtschaft dieses verheerenden Krieges!“ Tränen rannen über die Wangen Irmels, die zitternd betete. Das Dach ihres Hauses brannte lichterloh und Rauch stieg in die Luft. Die Söldner hatten den hölzernen Zaun mit ihren Beilen in Stücke geschlagen. Bestürzt suchte Irmel das Weite.
Friedrich Kaulbach wiederum, der in dem prächtigen Patrizierhaus mit den vielen dunklen Balken rechts neben dem Mittelturm lebte, versteckte sich gleich nach dem Glockenläuten im Gewölbe seines Kellers.
Seine Wohnstube sah sehr schön und reich eingerichtet aus. So war die Decke mit Holz getäfelt, dicke Querbalken hielten die dünnen Bretter, die in Zweierreihen angeordnet waren. In goldenen Rahmen steckten Bilder edler Frauen und zierten den Rand unter der Decke. Ein sechseckiger Spiegel mit einem runden Aufhänger hing an einem Nagel. Drei genietete, mit Leder bezogene Stühle reihten sich nebeneinander. Daneben standen einige geschnitzte Holzfiguren auf einem schmal geschwungenen Sims und gleich nebenan zwei kleine Schränkchen. An der Wand am Ende der Stube gliederte sich ein großes Fenster in vier kleine Quadrate, von kleinen metallenen Dreiecken und Streben durchzogen. Eine lange Kommode stand an der anderen Wand, die durch Pfeilornamente in jeder Ecke sehr edel aussah.
Er war unter den vielen Bauern hier in Thierdorff der einzige Kaufmann, der sehr gut lebte. Mit seinem Kuhkarren fuhr er sogar bis Coblentz, verkaufte das Vieh auf dem Markt. Sein Geschäft lief gut, so lange er auch das Heer Soldaten bediente und von seinen Tieren und etwas von seinen Einnahmen abgab. Ständig kaufte und verkaufte er Hühner, Gänse, Schweine, Pferde und Kühe. Ihm ging es auch in diesen Kriegszeiten gut.
Im Gewölbe seines Kellers hatte Friedrich sein Vieh untergebracht und versorgte es. So bekam niemand mit, auch die Söldner nicht, welchen Bestand er tatsächlich besaß. Außerdem fühlte er sich in dem kalten Gewölbe seines Kellers sehr sicher. Die Wände waren so dick, dass ihnen das Pulver aus den Musketen nichts anhaben konnte. Nur eine Kanone konnte es zerstören. „Gott bewahre, dass mir das geschieht!“ flüsterte er. Ein dicker Balken innen verschloss die breite Holztüre zu seinem Haus.
Einer der Söldner schwenkte eine Fahne, andere schossen auf die Leute in und außerhalb ihrer Hütten. Niemand war vor ihnen sicher. Die Soldaten auf ihren Pferden hetzten den in den Wald fliehenden Menschen hinterher. Sie schwangen ihre Hellebarden und nahmen auf das Leben der Menschen keine Rücksicht. Die Soldaten schnappten sich Mädchen und Frauen, auch die hochschwangeren, zerrten sie mit sich, banden sie an der Sattelnase fest und bedienten sich an ihnen.
Es regnete in Strömen, die Höhe des Wassers auf den lehmigen Pfaden stieg. Das stetige Rauschen der Fluten wurde lauter. Die Ölmühle zerbarst, Menschen und Kühe ertranken. Schreie wie Schüsse hallten durch das Städtchen, Steine flogen aus den Händen der Thierdorffer gegen die Soldaten. Auch Granaten fielen und fanden ihre Ziele. „Macht Euch hier weg, Ihr Dreckspack! Wir werden es Euch zeigen!“ schrien die aufgebrachten Leute, während die Soldaten ihr Leben ließen. „Der Teufel soll Euch holen!“
„Weib, pack Eier, Speck und Gemüse in Eure Schürze und bring das dem Kriegsvolk. Nur so bleiben wir vielleicht verschont.“ Das war Thönges, der mit seiner Frau sprach und an seinen kleinen Sohn dachte.
Bettbezüge stahlen sich die Soldaten von der Bleiche, schüttelten sie aus und packten dort alles hinein, was sie in der Nachbarschaft plündern konnten.
Zaghaft, Angst stand in ihren Augen, ging Agathe langsam nach draußen. Ludwig weinte, denn vom Lärm der Soldaten war er wach geworden. Agathe schaute noch einmal zurück auf ihren kleinen Sohn. Sie wagte es nicht, ihn mitzunehmen.
„Allmächtiger! Wann findet dieses Gemetzel endlich ein Ende. Herr, erbarme dich unserer kleinen Familie!“ Zitternd stolperte Agathe durch die Gassen, die übersät war mit Toten, die im Krieg ihr Leben gelassen hatten. Krumm, mit weit aufgerissenen Augen, aus denen noch die Fassungslosigkeit sprach, drangen die Därme aus den offenen Bäuchen, die Köpfe lagen hier, die Körper dort. Der Regen bildete Rinnsale, die sich mit dem Blut mischten und zu Bächen heranwuchsen, die die Fäkalien aus den Häusern wegschwemmten in den Holzbach, dessen Rauschen durch das Donnern der Kanonen und der Musketen gar nicht mehr zu hören war. Agathe kämpfte sich durch das Gewühl. Zitternd hielt sie, am Ziel angekommen, ihre Schürze vor einen der Männer, der sofort danach griff.
„Schon lange keine Frau mehr in den Händen gehabt:“ Ein lautes Rülpsen entfuhr seiner Kehle, seine Hände streckten sich Agathe entgegen. Angewidert lief Agathe zurück zu ihrer Kate. Bisher blieb das Holzhaus mit dem angrenzenden Stall verschont so wie auch sie selbst. Die Soldaten zogen von ihrer Hütte ab.
„Der Teufel tut sein Werk, es ist abscheulich!“ Lieschens Hände griffen den Rock des knöchellangen Kleides, schreiend rannte sie dem nahen Wald entgegen. „Herrgott, sei mir gnädig“, winselte sie, Tränen perlten an ihren Wangen herunter. Schnell versteckte sie sich im dichten Gestrüpp. Agathe sah ihr nach.
„Genau wie die vorherigen Armeen wird auch dieses Heer hier sicher Quartier beziehen. Das dauert, bis sie abziehen. Was sollen wir bloß machen?“ fragte Gertrude ihren Mann Hinrich. Die Frau war abgemagert, schon lange hatten weder sie noch ihr Mann Gemüsebrei oder ein winziges Stück Fleisch, auch kein Stück Brot gegessen. „In mein Haus will ich nicht mehr zurück.“ Sie schlug ihre Hände vor das Gesicht. Agnes beobachtete die beiden und schüttelte ihren Kopf.
„Alles haben uns die Soldaten genommen!“ Heinrich Abresch konnte das alles gar nicht fassen. Sein Haus lag in Trümmern. Mit Hilfe seiner Nachbarn und begrenzten Mitteln wollte er sich eine Hütte aus Stroh aufbauen.
Zerstörerisch war dieser Krieg, der kein Ende nahm. Verzweifelt waren die Bürger dieser kleinen Stadt. Der kleine Ludwig spielte in einer Ecke mit bunten Murmeln. Der Junge lachte, seine blauen Augen strahlten. „Mama!“ stammelte er und kam auf Agathe zugelaufen und legte seine Ärmchen um das knöchellange Kleid mit Schürze. Agathe beugte