Die steinernen Türme. Margarete Hachenberg
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Читать онлайн книгу Die steinernen Türme - Margarete Hachenberg страница 4
Agathe hob ihren Kopf und schaute zu ihrem Mann. „Thönges, schon wieder ein Überfall von Soldaten. Ich habe Angst. Was sollen wir bloß machen?“ Als ältester Sohn hatte Thönges den Hof seines Vaters übernommen. „Was haben wir nur falsch gemacht? Ihre Worte kamen sehr zaghaft über die Lippen.
„Verdammt Weib, lasst Euer Jammern!“ sagte Thönges unwirsch. Wir müssen an Ludwig denken, Euer Klagen nutzt nichts. Gott wird uns nur dann helfen, wenn wir uns selbst helfen. Also reiß dich zusammen!“ Thönges war mehr als doppelt so alt wie Agathe, die gerade einmal siebzehn Jahre alt war.
Das Hemd unter seinem Wams hatte Löcher, es war an vielen Stellen zerfetzt, die Ärmel hochgekrempelt. Seine dunklen Haare waren struppig und seine Kopfhaut juckte. Er kratzte sich.
Mit diesem verheerenden Krieg und den ständig durchziehenden Armeen begann eine schreckliche Zeit. Korn wie Kraut und die Früchte der Bäume schleppten die Soldaten in ihr Lager. Abgemagert waren sie selbst nach all den Jahren des Hungers und der Not, noch ärger sah es bei den Thierdorffern aus. Sie stoben auseinander und suchten sich allesamt bei diesem Wüten der Söldner ein Versteck für ganze Familien und ihr Vieh, das ihnen noch geblieben war.
Ein quadratischer Bau erstreckte sich mit vielen kleinen Fenstern, Türme mit einem spitz zulaufenden Dach standen an jeder Ecke. Erhaben thronte die Burg auf der kleinen Insel des Weihers. Neben der Burg stand die Hofkapelle, die zur Kirche des Ortes gehörte. Stolz zeigten die Pfauen dort in einem schön angelegten Garten ihr buntes Gefieder und es wuchsen allerlei bunte Blumen. Hier lebte der Graf zu Wied mit seiner Frau Juliane Elisabeth und seinen 14 Kindern.
Seine Ritter überwachten genau das Treiben hinter den Mauern der Stadt. Alle hofften, dass das Wasser des kleinen Sees das Eindringen in die Burg unmöglich machte. Dazu hätte ein Wallgraben und eine Mauer noch zusätzlich überwunden werden müssen, zudem für die Nacht eine Zugbrücke hochgezogen und die Tore fanden Schutz durch ein Fallgitter. Danach erst folgte die Vorburg mit den Vorräten an Wasser und Nahrungsmitteln, die Ställe für die Ziegen und die Hühner. Außerdem gab es den Bergfried, in den die Bewohner der Burg flüchteten, sollte es Angriffe geben. Im Palast befanden sich der Rittersaal und das Zimmer für die Frauen. Leise Musik klang heraus wie auch Kinderlachen. Es war der Wohnbereich des Grafen Hermann II. Gleich daneben tagten die Grafen.
„Erbarme dich, Gütiger!“ Kopfschüttelnd stampfte Graf Hermann II durch sein Gemach. Am hölzernen Tisch saßen die Grafen von Sayn und Westerburg. „Ständige Erpressungen, Plünderungen, Belagerungen – es geht nicht mehr!“ Bei jedem Schritt knarrten die Bretter auf dem Boden. Humpen aus Zinn, gefüllt mit Bier, standen vor den hohen Herren mit den lockigen Perücken und den Schnallenschuhen.
Vornehm sahen die Herren aus. Über einem weißen Hemd mit einem großen, den Hals umschließenden Spitzenkragen trugen die Grafen ein enganliegendes Wams mit Ärmeln. Ein Rock mit glitzernden Streifen und Mustern umschloss die Beine.
Diese Burg lag etwas entfernt von der lehmigen Straße , die auf der rechten Seite nach Coblentz führte und links nach Altenkirchen. Hier rumpelten ratternd, wenn Markttag war, die Karren mit den vorgespannten Kühen in beide Richtungen. Kaufleute, Bauern und Handwerker machten sich früh morgens auf den Weg, um ihre Waren zu verkaufen. An manchen Tagen waren die Gassen unbefahrbar, immer dann, wenn es in Strömen geregnet hatte. Durch diese Wolkenbrüche bildeten sich Rillen im Boden. Da rumpelten Fuhrwerke daher mit Gewürzen, Zitronen und Apfelsinen, mit Johannisbrot und Zimt, Baumwolle, Pfeffersäcken und Muskat, Safran, Rosinen, Ingwer, Papier zum Schreiben, die schönsten Stoffe hatten sie geladen und noch vieles mehr. Diese Dinge blieben verdeckt unter einer Plane.
Jeder einzelne Raum in dieser Burg glich einer Halle. Die Bibliothek, in der die Grafen ihr Gespräch führten, war mit Pechfackeln an der Wand hell erleuchtet.
Im Erdgeschoss gab es eine riesige Küche und sogar ein Zimmer, in dem gebacken wurde. Die angereisten Grafen würden wohl in den Kammern nebenan übernachten und morgen in den Wäldern jagen.
Knechte huschten über den Hof, eilten von den Wirtschaftsgebäuden direkt zur Küche, sie holten Fleisch, Kräuter und andere Lebensmittel. Am Brunnen schöpften sie Wasser in Zinneimern und schleppten Holz zum Heizen der Kochstelle. Die Grafen wollten bewirtet werden.
Die Notlage der kleinen Stadt, die sehr gelitten hatte, wollten die Grafen miteinander besprechen und versuchten, eine Lösung zu finden, die Soldaten zur Ruhe zu bringen.
„Wir müssen weitere Übergriffe und Einfälle auf jeden Fall verhindern. Ich habe sehr viele Pferde an diese Armeen verloren und habe kaum noch Schweine. Die letzte Kuh aus dem Stall hat sich die Horde auch noch genommen. Es ist ein Jammer!“ sagte Hermann II zu seinen Gästen.
„In unserem Hoheitsgebiet haben die Häuser keine Dächer, keine Türen und keine Tore mehr. Alles wurde eingeschlagen oder in Brand gesetzt!“ Es war der Graf von Sayn, der seine Lage schilderte. Aus seinem Humpen nahm er einen großen Schluck und ließ den Krug polternd auf den Tisch fallen. „Da habt Ihr es gut, Eure Burg ist noch unbeschädigt.“
„Diese Bande hat die Glocken aus dem Kirchturm gestohlen und das Gebäude so beschädigt, dass es repariert werden muss, sonst kann Dionysius Franzius, unser Pfarrer, keinen Gottesdienst an Weihnachten halten. Um das zu bezahlen, muss ich mir Geld leihen. „Thierdorff hatte im vergangenen Jahr nur 100 Gulden Einnahmen.“ Es war Graf Hermann, der jetzt redete.
„Bei uns ist es dasselbe Übel. Dieses Kriegsvolk hat unser Korn von den Äckern gemäht, alles, was unsere Bauern aussäten, verfütterte die Horde an ihre Pferde. Wir haben nur noch zwei Pferde, zwei Kühe und ein paar Hühner in der ganzen Stadt. Nichts ist uns geblieben.“ Das Elend stand dem Grafen von Westerburg ins Gesicht geschrieben. Auf seiner Stirn bildeten sich Sorgenfalten.
„Alles wird teurer, unsere Scheunen und die Ställe sind ausgeräumt. Was können wir machen, damit die Soldaten mit den Erpressungen und Plünderungen aufhören?“ Die Gedanken des Grafen zu Wied quälten ihn und er war froh, gerade jetzt nicht alleine zu sein.
„Die Auswüchse des Elends nehmen überhand und es wird immer ärger! Die Leute verkaufen das, was ihnen noch geblieben ist.“ Der Graf von Sayn schlug aufgeregt mit seiner Hand auf den Eichentisch.
Die Zustände, die im Moment in der unteren Grafschaft Wied herrschten, müssen irgendwie abgewendet werden. Die Frage, die sich dazu stellte: Wie? Wie schaffen wir das?
Graf Hermann II genoss bereits als kleiner Junge eine wissenschaftliche Ausbildung, für die er mit vier Jahren sein Elternhaus verlassen musste. Auf das, was jetzt in den letzten Jahren geschehen war, war er nicht vorbereitet. Hätte er doch bloß genügend Geld, würde er es dem Heer zur Verfügung stellen, aber genau daran mangelte es ihm. Alles hatten sich die Soldaten bereits genommen und Unmengen an Geldsummen erpressten sie. Woher sollte er die geforderte Summe denn nur nehmen?
Tag und Nacht hatte er darüber nachgedacht, doch Gott wollte ihm keinen einzigen klaren Gedanken schicken.
„Die Bürger unserer Städte müssen uns Steuern zahlen. Etwas ist da sicher noch zu holen und wie wäre es, wenn sich auch Euer Bruder aus Runckel daran beteiligt, Geld aufzutreiben, um die Soldaten mit dem Geld von den Angriffen abzuhalten?“ Hoffnung schöpfend sprach der Graf von Westerburg.
„Glaubt Ihr denn, dass dann die Soldaten wirklich Ruhe geben und nicht noch mehr Geld verlangen?“ Es war Graf Hermann II, der seine Zweifel äußerte.
„Wir werden sehen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als es darauf ankommen zu lassen. Je mehr Leute wir sind, desto mehr Geld bringen wir letztendlich zusammen.“ Das war der Graf von Sayn.