Die Atlanten von Wheed. Gabriele Steininger
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Die Wunder von Shiebe und Lorrent wurden erkundet und gefunden. Auch wenn sie nicht wussten was genau sich dahinter verbarg. Manchmal war ein Stein das Wunder, manchmal einer der gelben Frösche, die sich in den Wasserpfützen tummelten und nicht schnell genug waren, um den behänden Kinderfingern zu entwischen.
Natürlich auch die Platte Thorresum, wo unvorstellbare Schätze und Wunder lagen die niemand auch nur im Ansatz erahnen konnte, weil es die Siebente war. Aber in den Phantasien der Kinderköpfe war es ein Ort, an dem alles möglich war.
Abends lauschten sie den vielen Geschichten, Sagen und Märchen von Magiern und den Atlanten, von dem Buch Sokrum, von Prophezeiungen über den Wahren, von bösen und guten Mächten, gefährlichen Tieren und Wesen, die in den dunklen Baumwäldern lauern konnten. Diese flossen am nächsten Tag in ihr Spiel ein und vermischten sich zu einer komplett neuen Welt, weit ab von den Wohnburgen, welche in die vielen Felsen eingelassen waren und in denen die Sippen wohnen.
Doch die Zeit blieb nicht stehen und so wurden aus den Kindern große Kinder und aus diesen Jugendliche. Sie spielten nicht mehr in den hohen Graswäldern und suchten auch nicht mehr an den vereinzelten Bäumen nach Atlanten. Aus den Phantasien und Träumen die sie gelebt hatten, wurden wieder Märchen, Sagen und Geschichten. Die ersten dunklen Schatten erreichten ihr junges, unbeschwertes Leben, als sie erfuhren was Verlust und Trauer sind. An dem Tag, da ihre Antga für immer die Augen geschlossen hatte. Ihr der Abend nie mehr eine Geschichte zuflüstern würde.
In ihrer letzten Nacht drückte die alte Frau Aura, die spät noch zu ihr geschlichen war, um nach ihr zu sehen, einen Anhänger in die Hand.
"Verwahre ihn gut mein Stern. Niemand darf wissen, dass du ihn hast. Das ist sehr wichtig. Du darfst keinem was von diesem Edelwerk erzählen." Das musste Aura ihrer Antga versprechen und sie hielt es auch.
Vor den Augen aller Anderen verborgen trug sie es an einem Band um den Hals, nahe an ihrem Herzen, unter dem Hemd versteckt. Aura hatte so das Gefühl ihre Antga immer bei sich zu haben. Fühlte sie sich einsam, oder fehlte ihr die alte Frau zu sehr, drückte sie das Schmuckstück gegen ihre Brust, schloss die Augen und wartete bis das Gefühl erlosch.
Vier Monde zählten einen Zyklus und als Marc den Sechzehnten vollendet hatte, war es an der Zeit für ihn einen Beruf zu wählen. Er versuchte sich als Wohnburgbauer, wie sein Vater einer war, was ihm furchtbaren Ärger einbrachte, weil er die falsche Wand aus dem Stein geschlagen hatte. Doch er hatte Glück, denn dem Bauherrn gefiel die Erweiterung des Raumes, weswegen ihm keine ernsten Folgen drohten. Der Beruf des Möbelmachers, wozu er einfach kein Talent besaß, erwies sich nicht als besser. Zuletzt ging er zu einem Wasserwärter. Aber all diese Berufe sagten ihm nicht zu. Sie machten ihm keinen Spaß und es fehlte ihm das nötige Geschick. Betrübt saß der junge Mann in der großen Halle seiner Sippe und die vermeintlich missbilligenden Blicke seines Vaters trafen ihn im Vorübergehen. Kopfschüttelnd ließ er seinen Sohn mit ungutem Gefühl zurück. Die vermutete Abweisung seines Vaters, wenn er erneut mit hängenden Schultern von einem Meister zurückkam, setzte ihm sehr zu.
"Warum wirst du nicht Kartenschreiber?", schlug ihm seine Schwester eines Tages vor, als er sich wieder einmal fragte was aus ihm werden könnte. Sie hatte sich zu ihm an den Tisch in der Halle gesetzt und stützte, die Ellbogen auf der Tischplatte, ihren Kopf mit den Händen unter dem Kinn ab.
"Kartenschreiber?" Marc zog eine Augenbraue hoch. Dieser Gedanke wäre ihm nie in den Sinn gekommen.
"Ja. Kartenschreiber. Erinnerst du dich nicht mehr wie viel Spaß es dir immer gemacht hat? Du hast als kleiner Junge ganz Wheed gemalt." erwiderte seine Schwester. Begeisterung schwang in ihrer Stimme.
"Sicher erinnere ich mich. Aber als Kartenschreiber muss man sich an Tatsachen halten. Man kann nicht einfach darauf los malen wie man es gerne hätte. Außerdem bin ich kein kleiner Junge mehr." wandte er ein.
"Vielleicht bist du kein kleiner Junge mehr. Vielleicht versuchst du auch nur zu erwachsen zu sein." setzte seine Schwester nach.
Sie hatte ihm eine Idee in den Kopf gepflanzt. Marc fragte sich, warum er diesen Beruf nicht erlernen sollte. Für Handwerk war er anscheinend zu ungeschickt. Warum sollte er es also nicht mit Kopfwerk versuchen. Mehr als eine Ablehnung würde ihm schließlich nicht passieren.
"Ach komm. Versuche es doch." ermunterte ihn Aura. "Weniger als bei den anderen Berufen kann hierbei auch nicht herauskommen." Frech grinste sie ihn an.
"Gut. Ich werde Kurwat Ersol morgen fragen, ob er es mir lernen möchte." Als Sohn einer Handwerk Sippe einen gelehrten Beruf zu ergreifen kam Marc sonderbar vor. Aber vielleicht hatte seine Schwester Recht mit dem was sie sagte. Ihr Vorschlag fing an ihm zu gefallen.
Ich bin mir sicher. Er ist es. Er muss es sein." ließ Tieben Eck in die Runde der Wächter verlauten. Mort Rieger aus Shiebe, Selben Sint von Mhorra, Randag Col aus Soventum, Gilbert Heck aus Corsas und Sam Guldra, Sternendeuter und Berater des Höchsten von Lorent, saßen um den Tisch.
"Was macht dich denn so sicher?", fragte Mort skeptisch. Der alte Mann hatte seine faltigen Hände auf den Tisch abgelegt und sein Gesicht nahm einen ungläubigen Ausdruck an.
"Er ist anders als andere. Er schlägt aus der Art. Anders kann man es nicht beschreiben." versuchte Tieben sie zu überzeugen. Er stand am Ende des Tisches und benutzte aufgeregt seinen ganzen Körper um zu kommunizieren. Selbens Doppelkinn geriet stark ins Vibrieren, als er anfing zu lachen.
"Es gibt immer einen der aus der Art schlägt. Das ist nicht unbedingt ein Anzeichen dafür der Wahre zu sein." warf er immer noch grinsend ein.
"Ich sage euch, er ist es. Er kam in der Nacht des Vielsternzeichens zur Welt, er ist anders als ALLE, die ich beobachtet habe. Schon als Kind war er etwas Besonderes."
"Hast du jemals seine Brust gesehen? Hast du das Zeichen des Sterns auf seiner Haut gesehen?", hielt Selben ihm entgegen.
"Ja. Ich habe auf seiner Brust etwas gesehen. Es sieht nicht so aus wie es beschrieben wird. Doch ER ist der EINZIGE, der überhaupt ein Zeichen hat. Und zwar von allen Kindern auf Wheed. Oder irre ich mich?" Bedeutungsvoll blickte der junge Späher den Alten an.
"Nein du irrst nicht." bestätigte ihm Sam. "Keiner der anderen Jungen, die in Frage kommen, hatte bei der Geburt auch nur einen Punkt an der Stelle des Herzens. Vielleicht hast du Recht und das Zeichen, welches der Hauptsplitter hinterlassen hat, sieht anders aus als bei den anderen Steinen."
Eine heftige Diskussion brach los. Drei der Steine hatten sich bereits ihren Weg gesucht und ihre Träger gefunden, um mit ihnen zu verschmelzen. Alle Jungen trugen ein sternförmiges Mal auf der Brust. Feine Linien beschrieben die Form auf der Haut über ihrem Herzen. Warum also sollte ausgerechnet der, auf den sie Generation um Generation gewartet hatten, ein anderes Zeichen tragen. Man hatte sie ausfindig gemacht und wachte im Geheimen über ihre Entwicklung. Nur der Wahre, den sie seit dem Auftauchen des Vielsternes im Himmel suchten, war unentdeckt geblieben. Die Verdachtsmomente, die sie bis jetzt hatten, wollten sich nicht bestätigten. Keiner der Jungen die sie im Blickfeld behielten, zeigte auch nur den geringsten Ansatz von derlei starker Magie, wie sie der Wahre besitzen sollte.
"Vielleicht kommt es erst im Mannesalter." warf Tieben in die Diskussion, "es wäre doch unlogisch. Ein Kind mit solchen Kräften? Sogar Aravon musste lernen mit seiner Magie umzugehen und er war bereits erwachsen als sich der Splitter mit ihm vereinte."
"Das ist ein tragendes Argument." Die dröhnende Stimme von Gilbert Heck verursachte Schweigen in der Runde. Es gab