Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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ihm zuvor. „Natürlich!“ Zu ihm gewandt, sage ich: „Ich bin noch so müde und du willst doch bestimmt auch noch mal etwas anderes tun, als auf meiner Bettkante zu hocken.“ Ich streiche ihm über die Wange und schenk ihm ein Lächeln.

      „Das war nur, weil Ihr Freund sich weigerte von Ihrer Seite zu weichen und Ihre Eltern noch nicht da waren. Da haben wir eine Ausnahme gemacht und ihn bleiben lassen. Aber da es Ihnen nun bessergeht, müssen wir uns auch wieder an die Vorschriften halten“, gibt mir die Krankenschwester zu verstehen und lächelt freundlich. Sie findet das Ganze hier wohl ausgesprochen romantisch.

      In meinem Kopf schwirrt allerdings nur der Ausspruch: Mein Freund!

      Ich sehe Marcel verwirrt an und er erwidert den Blick vorsichtig, als erwarte er ein Donnerwetter. Aber ich will heute nicht darüber diskutieren, warum er sich als meinen Freund ausgab. Ich möchte lieber die Möglichkeit nutzen, Marcel nach Hause schicken zu können, ohne ihn erneut vor den Kopf zu stoßen. Er hatte so viel Gefühl preisgegeben, dass ich im Moment nicht wechseln kann. Doch ich bin mir sicher, dass er darauf wartet. Aber dass im Krankenhaus alle Marcel für meinen Freund halten, reicht eigentlich schon für unseren ersten Tag. Ich muss erst mal über alles nachdenken und alles wirken lassen. Es ist so viel passiert! Ich weiß nicht, was ich fühle und was nicht … und irgendwo in meinem tiefsten Inneren herrscht auch noch Tim über sein Reich. Es ist in Marcels fürsorglicher Gegenwart zwar geschrumpft, aber ganz klar noch vorhanden.

      „Du kannst mich morgen wieder besuchen“, raune ich ihm zu. „Ich werde auch auf dich warten.“

      Mann, klingt das geschwollen. Wie aus einem Kitschroman. Aber ich glaube, dass das die richtigen Worte sind, um Marcel beruhigt und glücklich nach Hause fahren zu lassen.

      „Verdammt! Ich will aber noch nicht gehen“, zischt er aufgebracht. „Ich will dich nicht wieder allein lassen!“

      Marcel kann störrisch wie ein Maulesel sein und scheinbar lässt er sich nicht gerne etwas sagen. „Bitte, wenigstens noch eine Stunde“, wendet er sich an die Krankenschwester.

      Ich schalte mich schnell ein. „Wir wollen doch keinen Ärger. Es ist doch nicht lange. Morgen sehen wir uns wieder, okay?“, versuche ich ihn dazu zu bewegen mit der Schwester mitzugehen.

      Marcel blickt zu der Frau, die immer noch an der Tür wartet und dann sieht er mich wieder an. „Ich kann morgen leider erst am späten Nachmittag kommen. Ich müsste eigentlich mal wieder zur Arbeit gehen. Mein Chef ist jetzt schon sauer, weil ich einfach weggeblieben bin“, erklärt er bedrückt.

      Später Nachmittag … vollkommen ausreichend. Bis dahin werde ich mich und meine Gefühlswelt wieder im Griff haben.

      „Dann sehen wir uns morgen Nachmittag. Gar kein Problem.“

      Gar kein Problem klingt auch wieder nicht nett. Es ist für Marcel augenscheinlich schon ein Problem und ich habe natürlich auch eins damit zu haben. Ich sehe es an seinem Blick. „Ich meine, ich werde es schon irgendwie überleben … und mich nicht von der Stelle rühren, bis du wieder da bist“, sage ich und streiche wieder über seine Wange.

      Er nickt und grinst mich mit seinem Lausbubenlächeln an, das wieder den alten Marcel zeigt. So ist er mir schon lieber. Damit kann ich eher umgehen.

      „Gut, Schatz. Ich komme morgen so schnell ich kann.“ Er küsst mich auf den Mund, als solle das den Bund besiegeln.

      In meinem Kopf rumpelte das Wort „Schatz“ wie ein Viehwagen mit eckigen Rädern auf einem Kopfsteinpflaster. Doch ich lasse mir nichts anmerken und versuche ein freudiges Lächeln.

      Ein Räuspern von der Tür her veranlasst mich dazu, Marcel von mir zu schieben. „Bis morgen“, sage ich verlegen, den Blick der Krankenschwester auf uns fühlend.

      Ich sehe schnell zu ihr hinüber und erblicke nur ihr breites Grinsen. Fast wünsche ich mir, sie wäre eine alte Furie, die ihn jetzt ergreift und hinausschleift.

      „Okay, Schatz. Du fehlst mir jetzt schon“, sagt Marcel und seine Augen blitzen glücklich auf.

      Ah, … rumpel … rumpel.

      Endlich steht er auf und greift nach seiner Jacke. Er kommt erneut zum Bett und ich taste nach der Fernbedienung, um mein Rückenteil wieder umzustellen. Dabei hantiere ich umständlich damit herum, als wüsste ich nicht, wie das funktioniert.

      Er lässt sich nicht beirren und wartet bis ich fertig bin, als hätte er und die Krankenschwester, die wohl den Auftrag hat, ihn auch wirklich von der Station zu geleiten, alle Zeit der Welt.

      „Dann bis morgen und schlaf gut“, flüstert er und gibt mir erneut einen Kuss. Dann geht er mit einem langen Blick auf mich zur Tür.

      „Du auch“, entgegne ich nur und bin froh, als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt.

      Es ist still um mich herum und ich spüre, wie müde und erschöpft ich bin. Aber in meinem Inneren tobt ein Orkan. Ich bin völlig durcheinander. Marcel bringt mich durcheinander … und meine Eltern … und was in den letzten Tagen passiert ist … und was in den nächsten Tagen alles passieren wird. Scheinbar habe ich jetzt einen offiziellen Freund. Sein „Schatz“ wallt immer noch durch meine Gehirnwindungen und lässt diesen Aspekt erschreckend real werden.

      Vorsichtig fühle ich nach dem Verband an meinem Hals. Ein leichtes Stechen durchzuckt mich, als ich sachte darüberstreiche. Langsam lasse ich die Hand sinken und seufze, als hätte ich das ganze Elend dieser Welt auf meine Schultern geladen. Jetzt, in der Stille meines Zimmers, fühle ich mich auch elend. Es ist so viel Schreckliches passiert. Ich sehe plötzlich Julian vor mir, wie er in einer kalten Zelle auf einer Pritsche hockt und über alles nachdenken kann, was er getan hat. Wie denkt er jetzt wohl darüber, wo alles vorbei ist und er sich den Folgen stellen muss? Bestimmt tut ihm alles schrecklich leid.

      Und dann ist da Tim. Ich muss daran denken, wie Julian ihn schlug und wie er sich vor Schmerzen krümmte. Was habe ich ihm angetan? Er hatte mich gewarnt und ich habe nicht auf ihn gehört.

      Am liebsten würde ich aufstehen und nach ihm sehen. Er liegt vielleicht nur ein paar Zimmer weiter oder ein Stockwerk tiefer. Aber ich fühle mich viel zu schwach.

      Morgen muss ich aber zu ihm. Ich muss ihn sehen!

      Die Schwester kommt wieder in mein Zimmer und meint lächelnd: „Sie haben wirklich einen netten Freund. Nicht jeder kümmert sich so aufopferungsvoll.“

      Ich sehe sie nur groß an, während sie die Infusion checkt und sagt: „So, den sind Sie gleich auch los.“

      Bevor mich die Panik packen kann, weil sie gleich den Schlauch aus meiner Ader zieht, ist er schon verschwunden.

      „Danke“, hauche ich nur und lasse mich schwer in mein Kissen sinken.

      „Ich werde Ihnen jetzt noch etwas zum Essen holen und einen Tee“, sagt sie und geht. Keine zehn Minuten später kommt sie mit einem Tablett zurück, auf dem eine Schüssel Hühnersuppe und ein Kännchen Tee zu finden ist. Wieder das Kopfende hochfahrend, lasse ich sie mir das Tablett vor die Nase schieben und lächele sie an. Ich bin froh, noch so spät etwas zum Essen zu bekommen. Langsam beginne ich die Suppe zu löffeln und trinke hinterher den Tee. Das nimmt mir den Rest meiner Kraft und ich schiebe das Tischen, das mit dem Tablett über mir prangt, zur Seite und lasse das Kopfende wieder sinken. Zu mehr sehe ich mich nicht in der Lage.

      Irgendwann kommt jemand und holt das Tablett aus dem

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