Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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nicht noch einmal anhören zu wollen, wie toll mein „Freund“ ist. Das verkrafte ich nicht.

      Ich bin zwar unendlich müde und erschöpft. Aber schlafen kann ich trotzdem nicht.

      Lange liege ich nur da und lasse meine Gedanken ihre Bahnen ziehen. Dabei versuche ich zu ergründen, was wirklich in mir vorgeht und wie nun alles weitergehen soll. Es erschüttert mich nicht so sehr, was mir zugestoßen ist und der Verband an meinem Hals. Vielmehr erschüttert mich der Gedanke, dass ich mein Leben immer noch nicht im Griff habe.

      War ich mir nicht immer sicher gewesen, dass, sobald wir diese Geschichte mit Kurt Gräbler hinter uns haben, auf welche Art auch immer, mein Leben klar und völlig problemlos aussehen wird. War ich nicht immer der Meinung gewesen, dass das der Lohn dafür sein wird, dass ich meine ganze Kindheit so gelitten habe. Und was ist daraus geworden? Ein immer noch voll problematisches Leben.

      Ich lasse die letzten zwei Tage, vor Julians Angriff auf uns, noch einmal an mir vorbeiziehen, in der Hoffnung, alles klarer zu sehen. Da waren Tim und seine heißen Küsse an der Waldhütte … und Julian, der mich am liebsten geluncht hätte, weil er nicht wusste, mit wem ich zusammen gewesen bin … und Marcel, der wie immer zur rechten Zeit sich in mein Leben drängte, um mir aus der Patsche zu helfen und wieder zu meinem Alibi wurde. Und dann der Abend bei ihm und unsere endlosen Gespräche, und die Nacht in seinen Armen, und seine Küsse …

      Ich fühle ein unglaublich schlechtes Gewissen durch meine Adern kriechen. War ich nicht kurz davor sicher gewesen, Tim zu lieben? Und kurz danach lag ich mit Marcel im Bett und küsste ihn sogar. Ich hatte ihm damit so viel Hoffnung gemacht.

      Ich fühle mich noch schlechter und schüttele über mich selbst den Kopf.

      Draußen vor der Tür höre ich irgendwo eine Glocke bimmeln. Kurz darauf hallen die Schritte der Nachtschwester durch den Gang und eine Tür fällt ins Schloss.

      Ich reiße die Augen auf.

      Es ist nicht dunkel in meinem Zimmer. Von draußen erhellt eine Straßenlaterne einen Teil des Zimmers und an der Tür brennt eine Notbeleuchtung. Die weißen Wände, Schränke und mein weißes Bett scheinen auch nicht für ein in tiefste Dunkelheit getauchtes Zimmer geschaffen zu sein.

      Mir ist es recht. Ich mag keine tiefschwarze Dunkelheit.

      In meinem Kopf rotieren die Gedanken weiter.

      Marcel hatte mich verraten. Er hatte Julian ausgerichtet, dass ich den Standort des Labors kenne und ich habe Tim verraten. Ich hatte Julian das Labor gezeigt und ihm die Unterlagen gegeben.

      Und nun bin ich Marcels Freundin.

      Ich fühle mich immer schlechter.

      Tim wollte mich nicht retten, als Julian ihm sagte, er hätte mich in seiner Gewalt. Marcel hingegen hat mir und Tim das Leben gerettet … und gesagt, dass er mich liebt. Aber ich … ich liebe Tim.

      Poor, fühle ich mich schlecht.

      Tim ist der Bruder meines Bruders … und Marcel ist gar nichts.

      Klar liebe ich Tim. In meiner Familie liebt doch jeder den Bruder eines Bruders und setzt mit dem Kinder in die Welt.

      Ich drehe mich vorsichtig auf die Seite und rolle mich, so gut es mit meinem verletzten Hals geht, zusammen.

      Oder mit der eigenen Tochter … oder mit dem Cousin …

      Mir kommt die Frage in den Sinn, was meine Mutter und der Vater von Julian und Tim für ein Verwandtschaftsverhältnis haben. Aber so sehr ich mich auch bemühe, klar kann ich das nicht definieren. Aber mit Cousin und Cousine liege ich bestimmt nicht ganz so falsch. Also ist doch klar, dass ich mich in Tim verlieben musste.

      Wie schrecklich! Da muss es einem schlecht gehen. Wie hatte Kurt Gräbler es nur geschafft, seine Nachkommen derart zu manipulieren?

      Ich denke an Marcel, dass er immer da ist, mich beschützt, mich umhegt, wie er meine Hand hält, wütend wird, wenn meine Eltern Julian die Schuld an allem absprechen und unendlich traurig, wenn ich seine Zuneigung nicht erwidere. Der bloße Gedanke an seine Tränen rührt mich immer noch, und dieser Satz … Was hatte er gesagt? Wäre ich gestorben, hätte er auch nicht mehr leben wollen. Mein Gott! Ich kann Tim nicht lieben. Das wird Marcel umbringen!

      Verdammt, wo ist nur mein problemloses Leben hin? Hatte ich mir das nicht versprochen, wenn ich jemals das Vermächtnis unseres Vorfahren loswerde?

      Die Tür meines Zimmers öffnet sich und die Nachtschwester kommt herein. Sie sieht, dass ich nicht schlafe: „Haben Sie Schmerzen? Brauchen Sie etwas?“

      „Ich kann nicht schlafen“, sage ich kleinlaut. Lauthals herumzujammern liegt mir eigentlich nicht.

      „Ich hole Ihnen ein Schlafmittel“, antwortet die Schwester nur freundlich und geht.

      So einfach ist das also. Ich werde mich mal wieder mit Schlaftabletten ausknocken.

      Die Schwester kommt wieder und gibt mir einen winzigen Becher aus Plastik mit einer weißen Tablette. Dazu reicht sie mir ein Glas Wasser.

      Ich setze mich auf und schlucke brav meinen Garanten für einen guten Schlaf.

      „So, nun werden Sie bestimmt zur Ruhe kommen“, sagt sie noch und will gerade gehen, als mir noch etwas einfällt.

      „Was mache ich, wenn ich auf die Toilette muss?“

      Die Schwester dreht sich genervt um und kommt zurück an mein Bett. „Nah, ich denke, wir sollten dann sofort gehen. Sonst schlafen Sie unterwegs ein.“ Ihr Lächeln wirkt aufgesetzt.

      Ich nicke. Dabei stelle ich mir die Frage, wie das in den letzten Tagen abgelaufen war. Aber ich verdränge das Thema lieber, da sich sofort Marcel wieder in meine Gedanken schleicht und ich ihn mit einer Pipipfanne an meinem Bett stehen sehe. Ich kann nur hoffen, dass Marcel nichts damit zu tun hatte, wenn ich für kleine Königstiger war.

      Es fällt mir unendlich schwer aufzustehen und die Schwester hilft mir. Mein Kreislauf weiß erst nicht, ob er linksrum oder rechtsrum drehend ist. Aber dann geht es doch einigermaßen und ich gehe die wenigen Schritte zu der Seitentür, die mich ins Bad bringt. Der Blick in den Spiegel über dem Waschbecken erschreckt mich zutiefst. Mann, muss Marcels Liebe groß sein. Ich sehe aus wie das letzte Nachtgespenst.

      Die Schwester bleibt vorsichtshalber bei der Tür stehen und wartet, bis ich fertig bin, um mich zu meinem Bett zurückzubringen.

      Ich krieche unter die Decke und bin froh, mich wieder ausstrecken zu können und vertraue meinen bleischweren Körper der Obhut der Matratze an. Ich sehe der Schwester nach und lalle noch ein „Danke“, bevor mich der Schlaf packt und in die Dunkelheit zieht.

      Als ich wach werde, zwitschern draußen die Vögel und heller Sonnenschein durchflutet mein Zimmer.

      Im ersten Moment weiß ich gar nicht, wo ich bin. Doch dann schießt mir alles wie ein Blitz durch meine Gehirnwindungen.

      Marcel … Tim … Julian.

      Ich stöhne auf, als ich mich aufsetzen will. Mein Hals schmerzt. Mir fällt meine Wunde ein, die ich von Julians Übergriff davongetragen habe. Einen Moment reißt mich die Erinnerung in ein Tief und ich schließe betroffen die Augen. Mit aller Macht versuche ich

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