Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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durch eine Bretterwand in zwei Theile gesondert war; in deren einen Hälfte hingen Fälle und Häute, rohe und gegerbte. Hier befanden sich alle Materialien einer Gerberei, und dieselbe gehörte der Witwe. – Moppelchen war an diesem Morgen gestorben und in diesem Theile des Hofraumes begraben worden; die Enkel der Witwe, das heißt, die der Gerberwitwe, denn Moppelchen war nie verheirathet, deckten das Grab zu, und es war ein schönes Grab, es mußte ein wahres Vergnügen sein, darin zu liegen.

      Das Grab war mit Topfscherben eingezäunt und mit Sand bestreut; ganz oben hatten sie eine halbe Bierflasche hingepflanzt, den Hals derselben nach oben gekehrt, und das war durchaus nicht allegorisch.

      Die Kinder tanzten um das Grab herum, und der älteste der Knaben unter ihnen, ein praktischer Junge von sieben Jahren, machte den Vorschlag, daß eine Ausstellung der Moppelchen-Grabstätte stattfinden solle, und zwar für Alle aus dem Gäßchen; der Eintritt solle mit einem Hosenknopfe bezahlt werden, einen solchen besäße jeder Knabe, und jeder könne gleichfalls einen für ein kleines Mädchen hergeben; dieser Vorschlag wurde einstimmig genehmigt.

      Alle Kinder aus dem Gäßchen, ja selbst aus dem Hintergäßchen strömten herbei, und jedes gab einen Knopf; gar Viele gingen an diesem Nachmittage nur mit einem Hosenträger umher, aber dafür hatte man das Grab des Moppelchen gesehen, und der Anblick war viel mehr werth.

      Doch draußen vor dem Gerberhofe, dicht neben dem Eingange, stand ein kleines in Lumpen gekleidetes Mädchen, gar schön von Gestalt, mit gelocktem Haar und mit Augen, blau und klar, daß es eine Lust war; es sprach kein Wort, es weinte auch nicht, aber jedesmal, wenn das Pförtchen sich öffnete, warf es einen langen, langen Blick in den Hof. Es hatte keinen Knopf, das wußte es wohl, und deshalb blieb es traurig draußen stehen, bis alle die Anderen das Grab gesehen und sich wieder entfernt hatten; alsdann setzte es sich nieder, hielt die kleinen braunen Hände vor die Augen und brach in Thränen aus; das Mädchen allein hatte Moppelchens Grab nicht gesehen. Es war ein Herzeleid, so groß wie ein Erwachsener es nur empfinden kann.

      Wir sahen dies von oben – und von oben gesehen – dieses, wie manches eigene und Anderer Leute Herzeleid, ja, dann können wir darüber lächeln! – Das ist die Geschichte, und Derjenige, der sie nicht versteht, mag sich eine Actie in der Gerberei bei der Witwe kaufen.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Es war einmal ein kleiner Knabe, der hatte sich erkältet; er war ausgegangen und hatte nasse Füße bekommen; Niemand konnte begreifen, wie er sie erhalten hatte, denn es war ganz trockenes Wetter. Nun entkleidete ihn seine Mutter, brachte ihn zu Bette und ließ die Theemaschine hereinbringen, um ihm eine gute Tasse Fliederthee zu bereiten, denn der erwärmt! Zu gleicher Zeit kam auch der alte freundliche Mann zur Thür herein, der oben im Hause allein wohnte und sehr vereinsamt lebte. Er hatte weder Frau noch Kinder, hielt aber viel auf alle Kinder und wußte gar viele Märchen und Geschichten zu erzählen, daß es eine Lust war.

      »Nun trinkst Du Deinen Thee!« sagte die Mutter; »vielleicht bekommst Du dann auch ein Märchen zu hören.«

      »Ja, wenn man nur ein neues wüßte!« sagte der alte Mann und nickte freundlich. »Wo aber hat der Kleine die nassen Füße bekommen?« fragte er.

      »Ja, wie das geschehen ist,« sagte die Mutter, »kann Niemand begreifen.«

      »Erhalte ich ein Märchen?« fragte der Knabe.

      »Ja, kannst Du mir einigermaßen genau sagen – denn das muß ich zuerst wissen – wie tief der Rinnstein in der kleinen Straße ist, wo Du in die Schule gehst?«

      »Gerade bis mitten auf die Schäfte,« sagte der Knabe; »aber dann muß ich in das tiefe Loch gehen!«

      »Sieh, davon haben wir die nassen Füße,« sagte der Alte. »Nun sollte ich freilich ein Märchen erzählen, aber weiß keins mehr!«

      »Sie können gleich eins machen,« sagte der kleine Knabe. »Mutter sagt, daß Alles, was Sie betrachten, zu einem Märchen werden kann, und von Allem, was Sie berühren, können Sie eine Geschichte machen.«

      »Ja, aber die Märchen und Geschichten taugen nichts! Nein, die rechten kommen von selbst, die klopfen mir an die Stirn und sagen: Hier bin ich!«

      »Klopft es nicht bald?« fragte der kleine Knabe; und die Mutter lachte, that Fliederthee in die Kanne und goß kochendes Wasser darauf.

      »Erzähle, erzähle!«

      »Ja, wenn ein Märchen von selbst käme; aber so eins ist vornehm; es kommt nur, wenn es selbst Lust hat.« – »Warte!« sagte er auf einmal. »Da haben wir es! Gieb Acht, nun ist eins in der Theekanne!«

      Und der kleine Knabe sah nach der Theekanne hin: der Deckel hob sich mehr und mehr, und die Fliederblumen kamen frisch und weiß daraus hervor; sie schossen große, lange Zweige; selbst aus der Tülle verbreiteten sie sich nach allen Seiten und wurden größer und größer; es war der herrlichste Fliederbusch, ein großer Baum; er ragte in das Bett hinein und schob die Gardinen zur Seite; nein, wie das blühte und duftete! Und mitten im Baume saß eine alte, freundliche Frau mit einem sonderbaren Kleide; es war ganz grün, gleich den Blättern des Fliederbaumes, und mit großen, weißen Fliederblumen besetzt; man konnte nicht gleich erkennen, ob es Zeug oder lebendiges Grün und Blumen waren.

      »Wie heißt die Frau?« fragte der kleine Knabe.

      »Ja, die Römer und Griechen,« sagte der alte Mann, »nannten sie eine Dryade, aber das verstehen wir nicht; draußen in der Vorstadt der Matrosen haben wir einen besseren Namen für dieselbe; dort wird sie Fliedermütterchen genannt, und sie ist es, auf die Du Acht geben mußt; horch' nur, und betrachte den herrlichen Fliederbaum.«

      »Gerade ein solcher großer, blühender Baum steht da draußen; er wuchs dort in einem Winkel eines kleinen, ärmlichen Hofes; unter diesem Baume saßen eines Nachmittags im schönsten Sonnenschein zwei alte Leute. Es war ein alter, alter Seemann und seine alte, alte Frau; sie waren Urgroßeltern und sollten bald ihre goldene Hochzeit feiern, aber sie konnten sich des Datums nicht recht entsinnen; und die Fliedermutter saß im Baume und sah so vergnügt aus, gerade wie hier. »»Ich weiß wohl, wann die goldene Hochzeit ist!«« sagte sie; aber sie hörten es nicht, sie sprachen von alten Zeiten.«

      »»Ja, entsinnst Du Dich?«« sagte der alte Seemann, »»damals, als wir noch ganz klein waren und herumliefen und spielten; es war gerade in demselben Hofe, in dem wir jetzt sitzen; wir pflanzten kleine Zweige in den Hof und machten einen Garten!««

      »»Ja,«« sagte die alte Frau; »»dessen erinnere ich mich recht gut; und wir begossen die Zweige, und einer derselben war ein Fliederzweig, der schlug Wurzeln, schoß grüne Zweige und ist ein großer Baum geworden, unter dem wir alten Leute eben sitzen.««

      »»Ja sicher!«« sagte er; »»und dort in der Ecke stand ein Wasserkübel; dort schwamm mein Fahrzeug; ich hatte es selbst ausgeschnitten. Wie das segeln konnte; aber ich kam freilich bald anderswohin zu segeln.««

      »»Ja, aber zuerst gingen wir in die Schule und lernten etwas,«« sagte sie; »»und dann wurden wir eingesegnet; wir weinten Beide; aber des Nachmittags gingen wir Hand in Hand auf den runden Thurm und sahen in die weite Welt hinaus über Kopenhagen und das Wasser; dann gingen wir nach Friedrichsburg, wo der König und die Königin in ihrem prächtigen Boote auf den Kanälen umherfuhren.««

      »»Aber ich mußte wahrlich anderswo umherfahren, und das viele Jahre, weit weg, auf langen Reisen!««

      »»Ja,

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