Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Читать онлайн книгу Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen страница 58
»»– Ja, aber Du gabst ihm einen tüchtigen Schlag auf den Backen, daß es klatschte.««
»»Ich wußte ja nicht, daß Du es warst; Du warst eben so geschwinde wie Dein Brief gekommen. Und Du warst so schön; das bist Du noch; Du hattest ein langes, gelbes, seidenes Tuch in der Tasche und einen glänzenden Hut auf. Du warst so fein; Gott, was das doch für ein Wetter war, und wie die Straße aussah!««
»»Dann heiratheten wir uns,«« sagte er, »»entsinnst Du Dich? Und dann, als wir den ersten kleinen Knaben und dann Marie und Niels und Peter und Hans und Christian bekamen?««
»Ja, und wie Alle herangewachsen und zu ordentlichen Menschen geworden sind, die Jeder leiden mag!««
»»Und ihre Kinder haben wieder Kleine bekommen,«« sagte der alte Matrose. »»Ja, das sind Kindeskinder! Da ist Kern drin. – Es war, wenn ich nicht irre, in der Jahreszeit, als wir Hochzeitstag hielten.««
»»Ja, eben heute ist der goldene Hochzeitstag,«« sagte Fliedermütterchen und streckte den Kopf gerade zwischen die beiden Alten hinunter; und die glaubten, es sei die Nachbarin, die da nickte; sie sahen einander an und faßten sich bei den Händen. Bald darauf kamen die Kinder und Kindeskinder: die wußten wohl, daß es der goldene Hochzeitstag sei; sie hatten schon am Morgen gratulirt, aber die Alten hatten es wieder vergessen, während sie sich so gut an alles Das erinnerten, was vor vielen Jahren schon geschehen war. Und der Fliederbaum duftete so stark, und die Sonne, die im Untergehen begriffen war, schien den beiden Alten gerade ins Gesicht; sie sahen Beide so rothwangig aus; und das kleinste der Kindeskinder tanzte um sie herum und rief ganz glücklich, daß diesen Abend Pracht herrschen werde; sie sollten warme Kartoffeln haben; und die Fliedermutter nickte im Baume und rief mit allen Andern: »»Hurrah!«« »Aber das war ja kein Märchen!« sagte der kleine Knabe, der es erzählen hörte.
»Ja, das wirst Du verstehen!« sagte der Alte, der erzählte. »Aber laß uns Fliedermütterchen darnach fragen!«
»Das war kein Märchen,« sagte Fliedermütterchen; »aber nun kommt es! Aus der Wirklichkeit wächst gerade das sonderbarste Märchen heraus; sonst könnte ja mein schöner Fliederbusch nicht aus der Theekanne hervorgesproßt sein.« Und dann nahm sie den kleinen Knaben aus dem Bette und legte ihn an ihre Brust; und die Fliederzweige voll Blüthen schlugen um sie zusammen; sie saßen wie in der dichtesten Laube, und diese flog, mit ihnen durch die Luft; es war unaussprechlich schön. Fliedermütterchen war auf einmal ein junges, niedliches Mädchen geworden, aber das Kleid war noch von demselben grünen, weißgeblümten Zeuge, wie es Fliedermütterchen getragen hatte; am Busen hatte sie eine wirkliche Fliederblume, und um ihr gelbes, gelocktes Haar einen Kranz von Fliederblumen; ihre Augen waren so groß, so blau; o, wie waren sie herrlich anzuschauen: Sie und der Knabe küßten sich und dann waren sie im gleichen Alter und fühlten gleiche Freuden.
Sie gingen Hand in Hand aus der Laube und standen nun in der Heimath schönem Blumengarten, bei dem frischen Grasplätze war des Vaters Stock an einem Pflocke angebunden; für die Kleinen war Leben im Stocke; sobald sie sich quer über denselben setzten, verwandelte sich der blanke Knopf in einen Prächtig wiehernden Pferdekopf, die lange schwarze Mahne flatterte, vier schlanke, starke Beine schossen hervor; das Thier war stark und muthig; im Galopp fuhren sie um den Grasplatz herum: hussa! – »Nun reiten wir viele Meilen weit fort!« sagte der Knabe; »wir reiten nach dem Rittergute, wo wir im vorigen Jahre waren!« Und sie ritten um den Rasenplatz herum, und immer rief das kleine Mädchen, die, wie wir wissen, keine andere als das Fliedermütterchen war: »Nun sind wir auf dem Lande! Siehst Du das Bauernhaus mit dem großen Backofen, der wie ein riesengroßes Ei aus der Mauer nach dem Wege heraussteht? Der Fliederbaum breitet seine Zweige über sie hin, und der Hahn geht und kratzt für die Hühner; sieh, wie er sich brüstet! – Nun sind wir bei der Kirche; die liegt hoch auf dem Hügel unter den großen Eichbäumen, von denen der eine halb abgestorben ist! – Nun sind wir bei der Schmiede, wo das Feuer brennt, und die halbnackten Männer mit den Hämmern schlagen, daß die Funken weit umher sprühen. Fort, fort nach dem prächtigen Rittergute!« Und Alles, was das kleine Mädchen sagte, die hinten auf dem Stocke saß, das flog auch vorbei; der Knabe sah es, doch kamen sie nur um den Grasplatz herum. Dann spielten sie im Seitengange und ritzten in die Erde einen kleinen Garten; und sie nahm Fliederblumen aus ihrem Haar und pflanzte sie; diese wuchsen gerade wie die bei den Alten damals, als diese noch klein waren, wie früher erzählt worden ist. Sie gingen Hand in Hand, gerade wie die alten Leute es als Kinder gemacht hatten; aber nicht auf den runden Thurm hinauf, oder nach dem Friedrichsburger Garten – nein, das kleine Mädchen faßte den Knaben um den Leib und dann flogen sie weit umher im ganzen Lande. Es war Frühling, und es wurde Sommer; es war Herbst und es wurde Winter, und Tausende von Bildern spiegelten sich in des Knaben Augen und Herz ab, und immer sang das kleine Mädchen ihm vor: »Das wirst Du nie vergessen!« Und auf dem ganzen Fluge duftete der Fliederbaum so süß, so herrlich; er bemerkte wohl die Rosen und die frischen Buchen; aber der Fliederbaum duftete noch stärker, denn seine Blumen hingen an des Mädchens Herzen, und daran lehnte er oft im Fluge den Kopf.
»Hier ist es schön im Frühlinge!« sagte das kleine Mädchen; und sie standen in dem aufs Neue grünenden Buchenwalde, wo der Waldmeister zu ihren Füßen duftete; und in dem Grünen sahen die blaßrothen Anemonen so lieblich aus. »O, wäre es immer Frühling in dem duftenden Buchenwalde!«
»Hier ist es herrlich im Sommer!« sagte sie; und sie fuhren an alten Schlössern aus der Ritterzeit vorbei, wo sich die hohen Mauern und gezackten Giebel in den Canälen spiegelten, wo die Schwäne schwammen und in die alten kühlen Alleen hinein sahen. Auf dem Felde wogte das Korn gleich einem See; in den Gräben standen rothe und gelbe Blumen und in den Gehegen wilder Hopfen und blühende Winden; Abends stieg der Mond groß und rund empor; die Heuhaufen auf den Wiesen dufteten süß. »Das vergißt sich nicht!«
»Hier ist es herrlich im Herbste!« sagte das kleine Mädchen; und die Luft war doppelt so hoch und blau; der Wald bekam die schönsten Farben von Roth, Gelb und Grün. Die Jagdhunde jagten davon; ganze Schaaren Vogelwild flogen schreiend über die Hünengräber hin, auf denen sich Brombeerranken um die alten Steine schlangen. Das Meer war schwarzblau, mit Schiffen voll weißer Segel bedeckt; und auf der Tenne saßen alte Frauen, Mädchen und Kinder und pflückten Hopfen in ein großes Gefäß; die Jungen sangen Lieder, aber die Alten erzählten Märchen von Kobolden und Zauberern, Besser konnte es nirgends sein.
»Hier ist es schön im Winter!« sagte das kleine Mädchen, und alle Bäume waren mit Reif bedeckt, so daß sie wie weiße Korallen aussahen! Der Schnee knarrte unter den Füßen als hätte man immer neue Stiefeln an; vom Himmel fiel eine Sternschnuppe nach der andern. Im Zimmer wurde der Weihnachtsbaum angezündet, da gab es Gesang und Fröhlichkeit! auf dem Lande ertönte in der Bauernstube die Violine; es wurde um Aepfelschnitzeln gespielt; selbst das ärmste Kind sagte: »Es ist doch schön im Winter!«
Ja, es war schön! Und das kleine Mädchen zeigte dem Knaben Alles; immer duftete der Blüthenbaum, immer wehte die rothe Flagge mit dem weißen Kreuze, die Flagge, unter welcher der alte Seemann gesegelt war. Der Knabe wurde zum Jüngling, er sollte in die weite Welt hinaus, weit fort nach den warmen Ländern, wo der Kaffee wächst. Aber beim Abschiede nahm das kleine Mädchen eine Fliederblume von ihrer Brust, gab sie ihm zum Aufbewahren;