Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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näherte sich die alte Frau, vor sich hin lächelnd, der Laterne und sagte: »Ich will heute meinem Alten zu Ehren illuminiren!« Und die Laterne knarrte mit den blechernen Beschlägen und dachte: »Na! endlich geht ihnen doch ein Licht auf!« Es blieb aber bei Oel, und kein Wachslicht kam zum Vorschein. Sie brannte den ganzen Abend hindurch, sah aber jetzt zu gut ein, daß die Gabe der Sterne ein todter Schatz für dieses Leben bleiben würde. – Da hatte sie einen Traum – bei ihren Fähigkeiten war es eben keine Kunst zu träumen! Es kam ihr vor, als ob die alten Leute gestorben wären und sie selbst in die Eisengießerei gekommen sei, um umgegossen zu werden. Es wurde ihr dabei eben so ängstlich zu Muthe wie damals, als sie auf's Rathhaus mußte, um vom Bürgermeister und Rath besichtigt zu werden. Aber obwohl ihr die Kraft geworden war, nach Belieben in Rost und Staub zerfallen zu können, that sie es doch nicht. Sie wurde in den Schmelzofen gesteckt und in einen eisernen Leuchter verwandelt, so schön, wie ihn nur Jemand wünschen konnte, um Wachslichter darauf zu stecken. Sie hatte die Form eines Engels bekommen, der ein großes Bouquet trägt; mitten in das Bouquet wurde das Wachslicht gesteckt. Der Leuchter erhielt seinen Platz auf einem grünen Schreibtische; das Zimmer war höchst gemüthlich: es standen viele Bücher um ihn herum, die Wände waren mit herrlichen Bildern behangen; es gehörte einem Dichter. Alles, was er dachte oder schrieb, zeigte sich rings um ihn. Die Natur verwandelte sich in dichte, finstere Wälder, in freundliche Wiesen, wo die Störche umherstolzirten, in das Schiffsdeck auf der wogenden See, in den klaren Himmel mit allen seinen Sternen.

      »Was doch für Fähigkeiten in mir liegen!« sagte die alte Laterne, indem sie erwachte. »Beinahe möchte ich wünschen, umgegossen zu werden! Doch nein! Das darf nicht geschehen, so lange die Alten leben! Sie lieben mich meiner Person wegen; sie haben mich geputzt und mir Oel gereicht. Ich habe es ja auch eben so gut wie der ganze Congreß, in dessen Betrachtung sie ebenfalls Vergnügen finden.«

      Und seit dieser Zeit genoß sie mehr innere Ruhe, und das hatte die alte ehrliche Straßenlaterne verdient.

      In der Stadt Florenz, nicht weit von der piazza del granduca, zieht sich eine kleine Querstraße hin, ich glaube, sie wird porta rosa genannt. In dieser, vor einer Art von Markthalle, wo Gemüse verkauft wird, liegt ein aus Metall künstlich gearbeitetes Schwein. Das frische klare Wasser rieselt aus dem Maule des Thieres, welches vom Alter schwärzlich grün geworden ist, nur der Rüssel glänzt, als sei er polirt, und das ist er auch von vielen hundert Kindern und Lazzaronis (Bettler), die ihn mit den Händen anfassen und ihren Mund an den Rüssel des Thieres legen, um zu trinken. Es ist ein vollständiges Gemälde, das wohlgestaltete Thier von einem hübschen, halbnackten Knaben umfaßt zu sehen, der seine frischen Lippen an dessen Rüssel legt.

      Jeder, der nach Florenz kommt, findet leicht die Stelle, er darf nur den ersten besten Bettler nach dem Metallschweine fragen, und er wird es finden.

      Es war ein später Winterabend; die Berge waren mit Schnee bedeckt, aber es war Mondschein, und der Mondschein in Italien giebt eine Beleuchtung, die eben so gut ist wie ein trüber nördlicher Wintertag, ja besser; denn die Luft glänzt und erhebt uns, während im Norden die kalte graue Bleidecke uns zur Erde drückt, zur kalten, nassen Erde, die einst auch unsern Sarg drücken wird.

      In des Großherzogs Schloßgarten, unter einem Piniendach, wo tausend Rosen zur Winterszeit blühen, hatte ein kleiner zerlumpter Knabe den ganzen Tag gesessen, ein Knabe, der ein Bild Italiens abgeben konnte, hübsch, lächelnd und dabei doch leidend. Es hungerte und durstete ihn, aber Niemand reichte ihm eine Gabe, und als es dunkelte und der Garten geschlossen werden sollte, jagte der Pförtner ihn hinaus. Lange stand er träumend auf der Brücke, die über den Arno führt, und blickte die Sterne an, die im Wasser zwischen ihm und der prächtigen Marmorbrücke della Trinità erglänzten.

      Er schlug den Weg zum Metallschweine ein, kniete halb nieder, schlang seine Arme um dasselbe, legte seinen Mund an dessen glänzenden Rüssel und trank das frische Wasser in großen Zügen. Dicht daneben lagen einige Salatblätter und ein Paar Kastanien; sie wurden seine Abendmahlzeit. Kein Mensch außer ihm war auf der Straße; sie gehörte ihm allein, und getrost setzte er sich auf des Metallschweins Rücken, bog sich vorn über, so daß sein lockiges Haupt auf dem des Thieres ruhte, und ehe er sich dessen bewußt war, umfing ihn der Schlaf.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Es war Mitternacht, das Metallschwein regte sich, er hörte es deutlich sagen: »Du kleiner Knabe halte dich fest, denn nun laufe ich,« und fort lief es mit ihm; es war ein wunderbarer Ritt. – Zuerst gelangten sie auf die Piazza del granduca, und das metallene Pferd, welches des Herzogs Statue trägt, wieherte laut auf, die bunten Wappen auf dem alten Rathhause erschienen wie transparente Bilder, und Michael Angelo's David schwang seine Schleuder; es regte sich ein seltsames Leben! Die Metallgruppen, welche Perseus und den Raub der Sabinerinnen darstellen, standen da, als seien sie lebendig; ein Schrei der Todesangst entströmte ihnen und scholl über den prachtvollen Platz dahin.

      Beim Palazzo degli Uffizi im Bogengänge, wo der Adel sich zur Carnevalsfreude versammelt, hielt das Metallschwein an.

      »Halte Dich fest,« sagte das Thier, »halte Dich fest, denn nun geht es die Treppe hinan!« Der Kleine sagte noch kein Wort, halb zitterte er, halb war er glücklich.

      Sie betraten eine lange Galerie, er war schon früher hier gewesen; die Wände prangten mit Malereien: hier standen Statuen und Büsten, alles im schönsten Lichte, als sei es heller Tag; aber am prächtigsten war es, als die Thüre eines der Seitengemächer sich öffnete; ja der Herrlichkeit dort erinnerte sich der Kleine; doch in dieser Nacht war Alles in seinem höchsten Glänze.

      Hier stand ein nacktes, schönes Weib, so schön, wie nur Natur und des Marmors größter Meister es formen konnten; es bewegte die schönen Glieder, Delphine sprangen zu seinen Füßen, Unsterblichkeit leuchtete aus seinen Augen. Die Welt nennt es die mediceische Venus. An ihren Seiten prangen Marmorbilder, bei welchen des Geistes Leben den Stein durchdrungen hat; es sind nackte, schöne Männer, der eine wetzte das Schwert, der Schleifer wurde er genannt; die ringenden Gladiatoren bildeten eine andere Gruppe; das Schwert wurde gewetzt, es wurde gekämpft für die Göttin der Schönheit.

      Der Knabe war von diesem Glänze wie geblendet; die Wände strahlten von Farben, Alles war dort Leben und Bewegung. Das Bild der Venus zeigte sich verdoppelt, die irdische Venus so hingebend, so feurig, wie Titian sie an sein Herz gedrückt. Es war wunderbar zu schauen. Sie waren zwei schöne Weiber; ihre herrlichen, unverhüllten Glieder streckten sich auf den weichen Polstern, ihre Brüste hoben und ihre Köpfe bewegten sich, so daß die reichen Locken auf die runden Schultern herabfielen, während die dunkeln Augen des Blutes glühende Gedanken aussprachen; aber keins der Bilder wagte doch ganz aus dem Rahmen herauszutreten. Die Schönheitsgöttin selbst, die Gladiatoren und der Schleifer blieben an ihrem Platze, denn die Glorie, welche von Madonna, Jesus und Johannes ausstrahlte, bannte sie. Die heiligen Bilder waren keine Bilder mehr, sie waren die Heiligen selbst.

      Welcher Glanz und welche Schönheit von Saal zu Saal! Der Kleine sah sie alle; das Metallschwein ging ja Schritt vor Schritt durch all' diese Pracht und Herrlichkeit. Ein Anblick verdrängte den andern; nur ein Bild prägte sich tief in seine Seele ein, und das besonders durch die frohen, glücklichen Kinder, welche es zeigte, – der Kleine hatte sie einst im Tageslichte begrüßt.

      Viele gehen gewiß achtlos an dem Bilde vorüber, und doch umschließt es einen Schatz von Poesie, es ist Christus, der hinabsteigt in die Unterwelt; aber es sind nicht die Verdammten, welche man um ihn her sieht, nein, es sind Heiden. Der Florentiner Angiolo Bronzino hat dieses Bild gemalt! Am herrlichsten ist der Gesichtsausdruck der Kinder, das volle Vertrauen, daß sie in den Himmel kommen werden; zwei Kleine umarmen sich schon, ein Kleiner streckt die Hand nach einem andern, tiefer stehenden aus und zeigt auf sich, als

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