Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Dicht vor den Sperlingen blühten ja die Rosen; sie spiegelten sich im Wasser ab, und die verkohlten Balken lehnten an dem überhängenden Schornsteine! »Nein? was ist denn das? Wie kommt dies in das Zimmer auf den Edelhof?«
Und alle drei Sperlinge wollten über die Rosen und den Schornstein wegfliegen, sie flogen aber gegen eine flache Wand an. Alles war ein Gemälde, ein großes prächtiges Bild, welches der Maler nach einer Skizze ausgeführt hatte.
»Piep!« sagten die Sperlinge, »es ist nicht! Es sieht nur nach etwas aus. Piep! das ist das Schöne. Kannst Du es begreifen? Ich nicht!« Und sie flogen davon, denn Menschen traten in die Stube.
Jahre und Tage vergingen; die Tauben hatten oft gekurrt, um nicht zu sagen: geknurrt, die boshaften Thiere: die Sperlinge hatten im Winter gefroren und im Sommer flott gelebt; sie waren alle verlobt oder verheirathet oder wie man es nennen will. Sie hatten Junge, und Jeder hielt natürlich seine für die schönsten und klügsten; einer flog hier hin, einer dort hin, und begegneten sie sich, so erkannten sie einander an ihrem »Piep« und dem dreimaligen Kratzen mit dem linken Fuße. Das Aelteste war ein Sperlingsfräulein geblieben, welches kein Nest und keine Jungen hatte; seine Lieblingsidee war, eine große Stadt zu sehen; es flog daher nach Kopenhagen.
Ein großes Haus erblickte man da mit vielen bunten Farben dicht am Schloß und am Canal, worin viele mit Aepfeln und Töpfen beladene Schiffe schwammen. Die Fenster waren unten breiter, als oben, und wenn die Sperlinge hindurch guckten, so kam ihnen jede Stube wie eine Tulpe mit den buntesten Farben und Schattirungen vor. Mitten in der Tulpe aber standen weiße Menschen, die waren aus Marmor; einige auch aus Gyps; doch mit Sperlingsaugen betrachtet, bleibt sich das gleich. Oben auf dem Dache stand ein Metallwagen mit Metallpferden bespannt, und die Siegesgöttin, ebenfalls aus Metall, lenkte sie. Es war Thorwaldsen's Museum.
»Wie es glänzt, wie es glänzt!« sagte das Sperlingsfräulein. »Das wird wohl das Schöne sein. Piep! Hier ist es aber größer als ein Pfau!« Es erinnerte sich noch aus seinen Kinderjahren an Das, was seine Mutter als das Größte unter dem Schönen erkannt hatte. Es flog in den Hof hinunter; da war Alles außerordentlich prächtig; an die Mauern waren Palmen und Zweige gemalt; mitten im Hofe stand ein großer, blühender Rosenstrauch; er breitete seine frischen Zweige mit den vielen Rosen über ein Grab hin. Dahin flog das Sperlingsfräulein, denn es sah dort mehrere, seines Schlages. Piep und drei Kratzfüße – so hatte es das Jahr hindurch oft gegrüßt und Niemand hier hatte geantwortet; denn die einmal getrennt sind, treffen sich nicht alle Tage: der Gruß war ihm zur Gewohnheit geworden. – Heute aber antworteten zwei alte Sperlinge und ein junger mit »Piep!« und dreimaligem Kratzen mit dem linken Fuße.
»Ah! Guten Tag! Guten Tag!« Es waren zwei Alte aus dem Neste und noch ein Kleiner aus der Familie. »Treffen wir uns hier? Es ist ein vornehmer Ort, aber es giebt nicht viel zu essen. Das ist das Schöne! Piep!«
Und viele Menschen traten aus den Seitengemächern heraus, wo die prächtigen Marmorgestalten standen, und näherten sich dem Grabe, das den großen Meister barg, der die Marmorgestalten gebildet hatte. Alle standen mit verklärten Gesichtern um Thorwaldsen's Grab, und Einzelne lasen die abgefallenen Rosenblätter auf und bewahrten sie auf. Sie waren weit hergekommen: Einer aus dem mächtigen England, Andere aus Deutschland und Frankreich. Die schönste Dame pflückte eine der Rosen und barg sie in ihrem Busen. Da glaubten die Sperlinge, daß die Rosen hier regierten, und daß das Haus ihretwegen gebaut sei; das schien ihnen nun allerdings zu viel, indeß, da die Menschen alle ihre Liebe für die Rosen zeigten, wollten sie nicht zurückbleiben. »Piep!« sagten sie und kehrten den Fußboden mit ihren Schwänzen und blinzelten mit einem Auge nach den Rosen; sie hatten sie nicht lange betrachtet, da überzeugten sie sich, daß es die alten Nachbarn waren. Und sie waren es wirklich. Der Maler, welcher den Rosenbusch bei dem abgebrannten Hause gezeichnet, hatte später Erlaubniß erhalten, ihn auszugraben, und hatte ihn dem Baumeister gegeben, denn schönere Rosen hatte man nie gesehen; und der Baumeister hatte ihn auf Thorwaldsen's Grab gepflanzt, wo er als Bild des Schönen blühte und feine rothen, duftenden Rosenblätter hingab, um nach fernen Landen als Erinnerung getragen zu werden.
»Habt ihr hier in der Stadt Anstellung gefunden?« fragten die Sperlinge.
Die Rosen nickten; sie erkannten die grauen Nachbarn, und freuten sich, sie wiederzusehen. »Wie es doch herrlich ist, zu leben und zu blühen, alte Freunde wiederzusehen und jeden Tag fröhliche Gesichter! Es ist, als wäre jeder ein Festtag.« »Piep!« sagten die Sperlinge. »Ja, es sind wahrlich die alten Nachbarn; ihre Abstammung vom Teiche her ist uns erinnerlich. Piep! Wie die zu Ansehen gekommen sind. Ja, Manchem gelingt es im Schlafe! – – Ah! da sitzt ein verwelktes Blatt, das sehe ich ganz deutlich!« Und sie pickten so lange daran, bis das Blatt abfiel. Aber frischer und grüner stand der Busch da; die Rosen dufteten im Sonnenschein auf Thorwaldsen's Grabe, an dessen unsterblichen Namen sie sich anschlossen.
Eine Rose vom Grabe Homers.
In allen Gesängen des Orients ertönt die Liebe der Nachtigall zur Rose; in den schweigenden, sternenhellen Nächten bringt der geflügelte Sänger seiner duftenden Blume eine Serenade.
Nicht weit von Smyrna unter den hohen Platanen, wo der Kaufmann seine beladenen Kameele treibt, die stolz ihren langen Hals erheben und plump auf einen Boden treten, der heilig ist, sah ich eine blühende Rosenhecke; wilde Tauben flogen zwischen den Zweigen der hohen Bäume und ihre Flügel schimmerten, während ein Sonnenstrahl über die Flügel hinglitt, als waren sie von Perlmutter.
Die Rosenhecke trug eine Blume, die unter allen die schönste war, und dieser sang die Nachtigall ihren Liebesschmerz; aber die Rose schwieg, ein Thautropfen lag, wie eine Thräne des Mitleids, auf ihren Blättern, sie beugte sich mit dem Zweige hinab über einige große Steine.
»Hier ruht der Erde größter Sänger!« sagte die Rose, »aber seinem Grabe will ich duften, auf dieses meine Blätter streuen, wenn der Sturm mich entblättert! Iliums Sänger wurde Erde, der ich entsprieße! – Ich, eine Rose vom Grabe Homer's, bin zu heilig, um für eine arme Nachtigall zu blühen!«
Und die Nachtigall sang sich zu Tode!
Der Kameeltreiber kam mit seinen beladenen Kameelen und schwarzen Sklaven; sein Söhnchen fand den todten Vogel und beerdigte den kleinen Sänger in dem Grabe des großen Homer; die Rose bebte im Winde. Der Abend kam, die Rose faltete ihre Blätter dichter zusammen und träumte! – es war ein schöner, sonnenheller Tag; eine Schaar fremder Männer nahte, sie hatten eine Pilgerreise nach Homer's Grabe unternommen. Unter den Fremden war ein Sänger aus dem Norden, aus der Heimath der Nebel und des Nordlichts; er brach die Rose ab, preßte sie fest in ein Buch und führte sie so mit sich in einen andern Welttheil, in sein fernes Vaterland. Die Rose welkte aus Kummer und lag in dem engen Buche, das er in seiner Heimath öffnete und sagte: »»hier ist eine Rose vom Grabe Homer's!««
Das träumte die Blume, und sie erwachte und zitterte im Winde: ein Thautropfen fiel von ihren Blättern auf das Grab des Sängers. Die Sonne ging auf, und schöner als zuvor glühte die Rose; es wurde ein heißer Tag, sie war in ihrem warmen Asien. Da wurden Fußtritte hörbar, fremde Franken kamen, wie die Rose sie im Traume gesehen, und unter den Fremden war ein Dichter aus dem Norden, er brach die Rose ab, drückte einen Kuß auf ihren schönen Mund und führte sie mit sich zur Heimath der Nebel und des Nordlichts.
Als eine Mumie ruht nun die Blumenleiche in seiner Iliade, und wie im Traum hört sie ihn das Buch öffnen und sprechen: »Hier ist eine Rose vom Grabe Homer's!«