Hochfrequent. Stephan Kesper
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Brandtner lachte gehässig. Sie gingen in ein chinesisches Restaurant in der Nähe. Ein kleiner, dunkler Schlauch, mit einer offenen Küche hinter der Theke am Eingang, wo Kunden ihre Bestellungen aufgaben und bezahlten. Die meisten der Leute kamen kurz herein, tauschten Geld gegen Ware und verschwanden mit weißen, unbedruckten Plastik-Tüten.
»Was hältst Du davon?«, fragte Hohenstein seine Partnerin.
»Schwer zu sagen, aber das meiste deutet auf einen Selbstmord hin. Allerdings haben wir noch keinen Abschiedsbrief gefunden. Vielleicht steckt der im Laptop? Möglicherweise sogar per E-Mail verschickt?«
»Hm, ich denke, dass es am Ende genau darauf hinauslaufen wird. Irgendwas ist ihm heute Morgen über die Leber gelaufen und er springt vom Dach. Nur die fehlenden DVD's machen mich stutzig. Aber vermutlich hat ein Dummkopf vergessen, sie nachzufüllen.«
»Käme Borell gerade recht.«
»Pff. Der kann mich mal«, er schob sich einen Haufen gebratenen Reis in den Mund.
Brandtner kicherte leise in sich hinein.
»Was, wenn die DVD's nicht vergessen wurden?«
Hohenstein trank einen Schluck Wasser und antwortete nachdenklich: »Dann haben wir ein Problem. Denn das bedeutet, dass jemand von den Sicherheitsleuten lügt.«
»Warum? Es war doch niemand im Überwachungsraum.«
»Glaubst Du, dass da irgendjemand einfach so reinspazieren und sich an den Geräten zu schaffen machen kann? Da müssen Schlüssel, Codes, Ausweise oder sonst was benutzt worden sein.«
»Davon sollte es ein Protokoll geben.«
»Das denke ich auch.«
»Sollten wir checken«, ihr Mobiltelefon spielte plötzlich Y.M.C.A. von den Village People.
»Brandtner«, meldete sie sich.
»Wir sind noch die Umstände am überprüfen«, Hohenstein hörte eine Stimme am anderen Ende der Leitung, sie kratzte und keifte so laut, dass er es auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches hören konnte.
»Schon gut, ich komme ja gleich, kein Grund ausfallend zu werden«, dann drückte sie auf den Knopf zur Beendigung des Gesprächs. Sie sah das Telefon kurz an und murmelte dann: »Der kann mich ebenfalls.«
Nun war es an Hohenstein zu kichern. Sie aßen in Ruhe zu Ende. Dann verabschiedete sich Brandter und nahm den Dienstwagen. Hohenstein ging zur nächsten Ecke und stieg in eine U-Bahn zur anderen Main-Seite. James Cox hatte sich in Sachsenhausen einquartiert.
Als er endlich das Haus gefunden hatte, sah er auf die Uhr: 13:21.
Er klingelte bei »Thorens/Cox« – nichts passierte. Er nahm den Schlüsselbund, den er Cox abgenommen hatte, aus seiner Umhängetasche und probierte den ersten, der aussah, wie ein Haustürschlüssel. Er passte.
Es gab keinen Fahrstuhl, er musste die vier Stockwerke zu Fuß gehen. Im Zweiten kam er bereits ins Schnaufen. Oben angekommen brauchte er eine Minute, um wieder Luft zu bekommen. Im Treppenhaus war es heiß und stickig. Mehrere große Fenster ließen viel Licht herein und die Sonne konnte ungehindert Thermodynamik-Experimente durchführen: Wie heiß kann ein Treppenhaus werden, bevor sich die Stufen wellen?
Er klingelte noch einmal. Dann benutzte er denselben Schlüssel an der Wohnungstür. Sie ging sofort auf, nicht abgeschlossen.
Vorsichtig folgte er dem Flur, der sich zu einem freizügigen Wohn- und Essbereich öffnete. Die hintere Wand bestand praktisch nur aus Fenstern, die sich über zwei Stockwerke erhoben. Eine Maisonnette Wohnung.
Hinter den Fenstern befand sich eine Dachterrasse mit einer modernen, geraden Sitzecke und einem Gasgrill. Sie lag nur halb in der Sonne. Im Hintergrund erkannte Hohenstein über den Dächern anderer Gebäude die Frankfurter Skyline. Der Raum besaß eine seltsame geometrische Form, er musste an einer Stelle liegen, an der mehrere Dächer aneinanderstießen. An den hohen Wänden hingen bunte, abstrakte Bilder. Die dunkle Küche machte eher den Eindruck eines Kunstwerkes statt eines Arbeitsplatzes. Und die wenigen, aber mit viel Geschmack ausgesuchten Möbel gaben dem Raum ein Flair jener »Schöner-Wohnen« Beispiele, die er beim Besuch bei seiner Zahnärztin im Wartezimmer regelmäßig las. Die Wohnung zu mieten war sicher teuer, aber die Einrichtung musste ein Vermögen gekostet haben.
»Hallo! Ist jemand hier? Kriminalpolizei.«
Plötzlich ging über Hohenstein eine Tür auf und eine Frau in einem Bademantel kam auf die Galerie.
»Was machen Sie hier?«, fragte sie, aufgeregt und etwas wütend.
»Entschuldigen Sie, ich hatte zwei Mal geklingelt. Hätte ich gewusst, dass jemand hier ist, hätte ich den Schlüssel nicht benutzt.«
»Wie kommen Sie an den Schlüssel?«, fragte sie verwirrt und kam eine Wendeltreppe herunter. Sie lief beinahe lautlos barfuß auf dem Holz der Treppe und dem Parkett und zog den Bademantel mit jedem Schritt enger um ihre Hüften. Sie hielt ihn am Ausschnitt fest mit ihrer rechten Hand geschlossen.
»Vielleicht wäre es besser, wenn Sie sich setzen. Ich habe schlechte Nachrichten für Sie.«
Sie sagte nichts, setzte sich auf die vorderste Kante einer schwarzen Designer-Ledercouch und sah auf den niedrigen, wengefarbenen Tisch vor ihr.
»Sie sind Frau Thorens?«, er mutmaßte das von der Klingel.
»Juliane Thorens. Ich bin die Freundin von James.«
»Sie leben hier zusammen?«
Sie nickte, »Seit zwei Jahren.«
Er setzte sich ihr gegenüber auf einen Sessel. Die Tür zur Dachterrasse war geschlossen und so heizte sich der Raum langsam aber sicher immer weiter auf. Hohenstein schwitzte.
»Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Herr Cox heute Morgen verstorben ist.«
Sie sah ihn mit großen Augen an, »Was?«
»Er ist vom Dach des Bankgebäudes gefallen, in dem er gearbeitet hat.«
Eine Träne lief ihre Wange herab.
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
Sie schluchzte laut, fing sich dann wieder und antwortete: »Heute Morgen. Er verabschiedete sich ganz früh von mir.«
»Früher als sonst?«
Sie nickte, »Es passierte hin und wieder, dass er sehr früh zur Arbeit ging. Er sagte, dass er dann seine Ruhe hätte. Ich habe mir nichts dabei gedacht.«
Hohenstein bemerkte ein Rumpeln von oben.
»Ist da noch jemand?«
Die junge Frau sah ihn abwesend an, »Das ist niemand.«
Hohenstein stand auf und rief: »Sie da, kommen Sie bitte runter.«