Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 01: Oma Vettel. M.E. Lee Jonas
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Hinter der Glasscheibe von Mrs. Rogans Bürotür, erkennt sie eine markante Silhouette. Doch das ist nicht das, was sie berührt. Da ist dieser betörende Duft und der erfüllt den gesamten Raum.
»Ein Aftershave. Holzig und dennoch leicht.«
Eine leichte Gänsehaut kriecht ihr vom Nacken bis in die Zehen hinab, während ihr Herz vor unbändiger Vorfreude wild pocht. Je weiter sie geht, desto mehr Erinnerungsfetzen kommen zurück.
»Ich kann mich wirklich erinnern! Es war kein Traum! Großmutter, Lincoln und Rosie und …«, denkt sie, als Mrs. Rogan feierlich die Bürotür öffnet und die Person sich langsam erhebt.
Sie ist etwa so groß wie J.J. und leicht untersetzt. Ihr Gesicht kann man nicht gleich erkennen, da sie einen gigantischen, hellbraunen Hut mit einer breiten, kunstvoll verschlungenen Krempe trägt, auf dem zu allem Überfluss noch ein wunderschöner, rosafarbener Schmetterling thront.
J.J. bleibt abrupt stehen, da plötzlich ein uraltes Gefühl der Sehnsucht und Liebe in ihr aufsteigt.
Die unbekannte Person schreitet auf sie zu und je näher sie kommt, desto mehr verblassen die letzten Zweifel. J.J. erkennt ihre Großmutter wieder! Jetzt gibt es für sie kein Halten mehr. Sie fällt der alten Dame, heute in einem pinkfarbenen Hosenanzug gekleidet, in die Arme und fängt furchtbar an zu schluchzen. Dieser Moment nimmt ihr eine schwere Last. Alles, was in den letzten Wochen passiert ist, erscheint ihr nun nicht mehr schrecklich. Das Gefühl, ganz allein auf dieser Welt zu sein, verschwindet. Sie tritt einen Schritt zurück und sieht sich ihre Großmutter genau an.
Die weichen, runden Gesichtszüge haben sich nicht verändert. Nur ihre grauen Augen, die an tiefe Bergseen erinnern, wirken traurig. Sie bemerkt, dass die alte Dame mit den Tränen kämpft.
»Hallo, kleine Jezabel! Ich bin deine Großmutter. Es tut mir leid …«, beginnt sie mit zittriger Stimme zu sprechen, aber J.J. fällt ihr aufgeregt ins Wort.
»Ich kann mich erinnern! Ich habe mit Florence gesprochen«, brüllt sie hektisch los, als sie bemerkt, dass Mrs. Rogan auch im Zimmer ist, und verlegen innehält. Die Direktorin versteht den Wink und lässt die beiden allein.
Der alten Dame huscht ein stolzes Lächeln übers Gesicht.
»Das ist außerordentlich, meine Liebe! Aber was habe ich auch anderes erwartet? Du bist mir eben sehr ähnlich. Ich möchte mich entschuldigen, dass ich dich so überfallen habe. Aber es gibt dringende Gründe, die mich zu dem Entschluss zwangen, dich so plötzlich aufzusuchen. Ich will aber ehrlich sein. Ich bin auch sehr froh, dich endlich wiederzusehen. Du hast uns allen sehr gefehlt!«
Oma Vettel beginnt hemmungslos zu weinen und schnäuzt kräftig in ihr großes Taschentuch. Da springt unerwartet die Bürotür auf. J.J. erhascht einen Schwall des wunderbaren Aftershaves und dreht sich langsam um. Es ist für sie der schönste Duft der Welt und sie weiß nun auch, zu wem er gehört.
In der Tür steht Broaf, ihr Lieblingsdiener, und lächelt sie verlegen an.
»Er war es, der mir das Fahrradfahren, Schwimmen und Seilspringen beigebracht hat.« Feierlich schreitet sie auf ihn zu und haucht ihm ein leichtes Küsschen auf die Wange. So wie sie es früher immer getan hat.
»Hallo Broaf. Ich bin so froh, dich zu sehen!«, flüstert sie, während der Diener eine leichte Verbeugung macht.
»Jezabel, du bist ein wunderschönes Mädchen geworden. Ich bin ebenfalls sehr dankbar für die Chance, dich wiedersehen zu dürfen. Ich habe mir erlaubt, deine Taschen schon ins Auto zu bringen. Wir sollten uns beeilen, da wir noch eine anstrengende Reise vor uns haben.«
Er macht eine leichte Verbeugung und starrt zu Oma Vettel, die ihm zustimmend anlächelt. Nun kommt die Direktorin dazu und sieht gerührt in die Runde.
J.J. geht zögerlich auf sie zu.
»Danke, Mrs. Rogan. Ich denke, nach den Ferien wird es mir besser gehen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer.«
Mrs. Rogan nimmt ihre Hand und lächelt sanft.
»Das werden wir sehen, J.J.! Ich hoffe, dass du ein paar wundervolle Wochen bei deiner Großmutter verbringst und dich dort gut erholst. Wir sehen uns in vier Wochen wieder.«
J.J. nickt und verabschiedet sich, bevor sie gemeinsam mit Oma Vettel und deren eigentümlichen Diener das Schulgebäude verlässt. Broaf öffnet galant die Autotür. Zögerlich setzt sie sich auf die Rückbank, wo sie sogleich Gesellschaft von ihrer Großmutter bekommt. Die Stimmung ist nicht gedrückt oder peinlich, sondern natürlich und bedächtig. J.J. weiß, dass ihr Leben sich nun grundlegend ändern wird.
Der Moment, von dem sie so oft gehört hat, ist gekommen. Dieser eine Augenblick, der alles verändert. Für sie, Josie Jezabel Smith, bedeutet es eine Reise zurück. Zurück in ihre Vergangenheit, die für sie noch ganz neu ist. Doch sie erinnert sich vage, dass sie dieses alte Leben sehr geliebt hat.
Als sie das Schulgelände verlassen, dreht sie sich noch einmal zu Pippa, die mit hängenden Schultern auf dem Schulhof steht und mit einem großen Taschentuch hinterherwinkt. Sie schickt ihr einen Luftkuss und wendet sich schnell wieder um, da sie plötzlich tieftraurig wird.
»Ich bin froh, dass du sie hast. Pippa ist ein selten guter Mensch«, sagt Oma Vettel, die bemerkt, dass ihrer Enkelin dieser Abschied sehr schwer fällt.
J.J. lächelt und genießt den Rest der langen Fahrt nach Havelock. Als sie ungefähr eineinhalb Stunden dem State Highway entlanggetuckert sind, hält Broaf in einer kleinen Parkbucht an.
»So, meine Liebe. Ich denke, es wird Zeit für ein kräftiges Picknick«, sagt Oma Vettel fröhlich, während sie ihrer Enkelin beim Aussteigen behilflich ist.
J.J. steht etwas verloren auf dem staubigen Parkplatz und sieht sich verwirrt um.
»Ich sehe hier weit und breit kein Diner oder eine Tankstelle, wo man etwas essen könnte.«
Verwundert beobachtet sie Broaf, der flink den Kofferraum öffnet und zu J.J.s Überraschung einen Klapptisch, drei Stühle und einen Sonnenschirm heraushievt, die er behände hinter dem Wagen aufbaut.
»Wie passt das alles in diesen Minikofferraum?«
Sie ist überrascht, als er daraufhin noch einen großen Picknickkorb herausholt und den Tisch sorgsam deckt. Im Nu stehen Sandwichplatten, Hühnchen, Salat, Kuchen, Brötchen und Limonade darauf und verbreiten einen köstlichen Duft. J.J. bekommt bei dem Anblick einen wahnsinnigen Appetit und geht mit knurrendem Magen zu der ungewöhnlichen Tafel.
»Nicht schlecht für den Anfang.«
Angetan setzt sie sich neben ihre Großmutter.
»Greif zu, Jezabel. Wir haben ausschließlich Dinge mitgebracht, die du früher immer gern gegessen hast. Wir müssen uns nämlich für die restliche Reise stärken«, sagt Vettel, während sie ihr einen Korb mit herrlich duftenden Brötchen reicht.
Als J.J. sich eins greift, ist sie erstaunt, da sie noch warm sind. Nach einem kurzen Moment